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Was können Frauen noch twittern?

Courtney Tenz so/sw
17. Januar 2019

Hate Speech, Verleumdung, Missbrauch: DW-Autorin Courtney Tenz beschreibt, wie Twitter die Gesprächskultur vergiften kann. Auf dem Netzwerk wird immer öfter Hass verbreitet, vor allem gegen Frauen.

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Symbolbild Hate Speech, Frau hat ein Smartphone in der Hand und liest ihre Twitter Timeline
Bild: DW/P. Böll

Im Januar 2016 habe ich meinen Twitteraccount zum ersten Mal stillgelegt. Es ging mir dabei nicht um den Neujahrsvorsatz, weniger Zeit online zu verbringen. Die Gründe waren ernsthafter.

Als freie Journalistin, die oft über Frauenthemen berichtet, hatte ich damals einen Artikel in einer Kölner Lokalzeitung gelesen. Er handelte von den massenhaften Übergriffen auf Frauen am Silvesterabend 2015 am Kölner Hauptbahnhof. Ich übersetzte die deutsche Schlagzeile für meine Follower ins Englische und setzte den Hashtag #cologne dazu. Der Tweet stieß zunächst auf wenig Interesse und rutschte meine Timeline hinunter. Dann wurde der Rest der Welt auf die Ereignisse aufmerksam.

Deutschland Köln - Domplatte zur Silvesternacht
Silvester 2015: Die Polizei konnte die zahlreichen sexuellen Übergriffe kaum verhindernBild: DW/D. Regev

Drei Tage später ging es los mit den Kommentaren. Die meisten kamen von anonymen Profilen. Sie fingen an, fremden- und frauenfeindliche Kommentare über mich zu twittern. Weil ich ihre Drohungen nicht ertragen konnte, löschte ich den Tweet. Als sie nicht aufhörten, deaktivierte ich mein Konto.

Twitter - ein notwendiges Übel?

Als Autorin war mir klar, dass es eigentlich keine gute Idee war, meinen Twitter-Account zu deaktivieren. Die meisten Medienschaffenden nutzen die Sozialen Netzwerke nicht nur, um nach Geschichten zu suchen, sondern auch, um die eigene Arbeit zu verbreiten. Aus Twitter zu verschwinden, war für mich als Freiberuflerin eigentlich keine gute Idee. Deshalb habe ich mich nach kurzer Zeit wieder eingeloggt.

Dennoch scheint es für mich, ebenso wie für meine Kolleginnen, immer schwieriger zu werden, mit Twitter zu arbeiten. Schon 2014 berichtete das Handbuch der "International Association of Women in Radio and Television", dass Frauen auf Twitter sich dreimal so viel Aggressionen wie ihre männlichen Kollegen ausgesetzt sahen.

#ToxicTwitter = giftige Plattform?

Die Anfeindungen, denen einige Frauen auf der Plattform ausgesetzt sind, veranlassten sogar Amnesty International zur Durchführung einer zweijährigen Studie, deren Ergebnisse Ende 2018 unter dem Titel #ToxicTwitter veröffentlicht wurden.

"Obwohl Menschen aller Geschlechter online Aggressionen und Verleumdungen erleben, sind Frauen oft sexistischer oder frauenfeindlicher Gewalt ausgesetzt", stellte Amnesty fest. Zahlreiche Frauen hatten Amnesty International berichtet, dass verbale Gewalt und Übergriffe auf Twitter florieren und dies selten seitens des Unternehmens geahndet werde. Das Recht der Frauen, sich frei und ohne Angst zu äußern, werde ­dadurch stark beeinträchtigt, ist im Dezember 2018 auf der Homepage von Amnesty nachzulesen.

Courtney Tenz Porträt
Courtney TenzBild: A. Berry

Wenn du nichts Nettes zu sagen hast…

Seit dem Vorfall im Januar 2016 habe ich Schwierigkeiten, mich online frei auszudrücken. Anfangs habe ich Twitter hauptsächlich dazu verwendet, mit meinen Freunden und auch Kollegen aus aller Welt in Kontakt zu bleiben. Ich habe auch gerne mal was Lustiges gepostet oder geteilt und natürlich auch Artikel, die ich geschrieben habe, beworben. Inzwischen fühlt sich selbst so etwas nicht mehr richtig an.

Je mehr Zeit ich auf Twitter verbringe, desto mehr geht meine Stimmung in den Keller. Ich kann den Grünen-Politiker Robert Habeck verstehen, der letzte Woche nach einem Hackerangriff seine Social-Media-Profile gelöscht hat. Nach dem Datendiebstahl schrieb er: "Offenbar triggert Twitter in mir etwas an: aggressiver, lauter, polemischer und zugespitzter zu sein - und das alles in einer Schnelligkeit, die es schwer macht, dem Nachdenken Raum zu lassen. Offenbar bin ich nicht immun dagegen."

Auch ich habe schon Tweets verfasst, um sie kurz danach wieder zu löschen, mit dem alten Sprichwort im Kopf: "Wenn man nichts Nettes zu sagen hat, soll man lieber den Mund halten."

Egal, was man (frau) twittert

Und doch setzen sich Frauen immer wieder der Gefahr aus, bedroht zu werden, auch wenn sie sich über ganz banale Themen im Netz äußern. Die US-Autorin und Bloggerin Geraldine DeRuiter fragte kürzlich Frauen danach, welche ihrer Tweets zu Belästigungen geführt hätten. Die Antworten waren so banal wie vorhersehbar. Geraldine brachte selbst ein Beispiel: "Ich habe letztens einen Liter Milch rosa gefärbt, um meinem Mann einen Streich zu spielen. Daraufhin bekam ich Vergewaltigungs- und Todesdrohungen."

Wer sich über ein Videospiel oder über einen angesagten Musiker kritisch äußert, kann davon ausgehen, dass er beschimpft oder lächerlich gemacht wird. Und dass ihm Hass von völlig fremden Menschen entgegenschlägt. Bei politischen Themen oder bei Inhalten, in denen es um die Gleichberechtigung von Männern und Frauen geht, können Frauen erst recht damit rechnen, Opfer von Hasskommentaren oder von Trollen zu werden.

Hasskommentare mehren sich

Ich habe nicht die Größe einer Schriftstellerin wie die Feministin Roxane Gay, deren Kommentarleiste jeden Tag voller Hasskommentare ist. Ich habe nicht die Kraft der ägyptisch-amerikanischen Journalistin Mona Eltahawy, die sich selber als "säkulare radikalefeministische Muslimin" bezeichnet und die es auf sich nimmt, in zahlreichen Sprachen beschimpft zu werden.

Mona Eltahawy bei einer Rede
Mona Eltahawy Bild: Getty Images/The Women's Media Center/B. Ach

Ich halte mich mit Posts zurück, die große Kontroversen auslösen. Dabei frage ich mich natürlich einerseits, warum ich den Mund halten soll. Aus Angst vor Typen, die sich hinter Fake-Accounts verbergen, die ihre wahre Identität verschleiern? Vor Leuten, die aus ihrer Anonymität heraus andere Menschen beleidigen, bedrohen oder zum Schweigen bringen wollen? Andererseits: Warum sollte ich das aushalten - nur weil ich als Autorin und Journalistin ein öffentliches Profil habe?

Twitter ist nicht real

Vor zwei Jahren beobachtete ich bei einer Veranstaltung einen Mann, der genau wie ich in der hintersten Reihe der überfüllten Halle stand. Er rauchte - oder besser: Er dampfte seelenruhig aus seinem Vaporizer. Ich war drauf und dran, darüber zu twittern, wie unverschämt dieser Typ war, trotz Rauchverbot und Überwachungskameras hier zu dampfen. Ich ließ es sein. Wenn ich ihm schon nicht ins Gesicht sagen wollte, wie idiotisch sein Verhalten war, warum sollte ich darüber quasi anonym auf Twitter schreiben? Spiegelt mein Twitter-Feed wirklich ein Gespräch wider, das ich im "richtigen" Leben hätte? Sind Twitter-Diskussionen vergleichbar mit realen Diskussionen?

Umgekehrt: Würde ich im richtigen Leben einen Menschen ernst nehmen, der mich mit dem Tod bedroht, weil ich Ed Sheeran nicht so toll finde?

Wenn Twitter darüber Auskunft gibt, wo wir als Gesellschaft stehen, dann ist es höchste Zeit, innezuhalten, sich selbst zu betrachten und genau hinzuschauen, wo wir stehen. Gemeint ist unsere Diskussionskultur - und damit auch unsere Rolle als "öffentliche" Frau in den Sozialen Netzwerken.