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ReiseChile

Chile: Touristen bleiben aus

Judith Mintrop
2. August 2020

Die südchilenische Stadt Pucón warb damit, die Hauptstadt der Sonnenfinsternis 2020 zu werden. Man erwartete nie da gewesene Besuchermassen. Doch seit März hat die Corona-Pandemie Chile im Griff.

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Chile Pucon
Bild: picture-alliance/U. Bernhart

Rauch steigt aus dem Villarrica, einem der aktivsten Vulkane Südamerikas. Die Besucher der Stadt Pucón sind davon stets beeindruckt. Aber für die Bewohner ist der Anblick normal. Was für sie nicht normal ist, ist die Leere in ihrer Stadt. Pucón ist eine der Touristen-Hochburgen Chiles, ein international beliebtes Reiseziel für Outdoor-Fans. Es gibt nichts, was man hier in der Sommersaison zwischen Dezember und April nicht machen kann: Trekking, Rafting, Reiten, Mountainbiking, Kayaking, Parasailing. Und dann wären da natürlich die beliebten Trekkingtouren auf den Villarrica oder den Quetrupillán, ein weiterer Vulkan. Im Hochsommer schwirrt es in der Stadt. Touristen überall. Und Anbieter, die um ihre Gunst buhlen. Mitten in der Hauptsaison, Mitte März, erreichte  die Corona-Pandemie die Region, und die Einnahmequelle vieler Puconer brach weg.

Keine Trekkingtouren, keine Verdienstmöglichkeiten

Auch Rafting-Guide Ricardo Pineda konnte in diesem Jahr nicht genug verdienen. Seit Mitte März hat der 27-Jährige kein Einkommen mehr, und sein Erspartes ist nun aufgebraucht, für Miete und Lebensmittel. Seine Wohnung bleibt jetzt im chilenischen Winter kalt, er hat kein Geld mehr, um Feuerholz für seinen Holzofen zu kaufen. Dass die Pandemie solche Ausmaße annehmen würde, hätte er nie gedacht. Finanzielle Unterstützung vom Staat könne er als Freiberufler kaum erwarten. Und die Stadtverwaltung? "Sie kümmern sich nicht ausreichend um Unterstützung für uns. Sie wissen, dass der Tourismus das Geld bringt. Aber es scheint sie nicht zu kümmern, wie es den Guides ergeht." 

Chile Weißer Sandstrand Lago Caburga bei Pucon
Ein Bild aus besseren Tagen: In Pucón ruhen alle Hoffnungen auf der Sommersaison 2020Bild: picture-alliance/imageBROKER/M. Runkel

Der Tourismus ist eine der Haupteinnahmequellen der fast 29.000 Einwohner Pucóns. Tiefgrüne Wälder, kobaltblaue Seen, das sind die Farben der Landschaft in der Region La Auracanía. Über allem thront der Villarrica. Ein Wanderparadies im Sommer, ein Wintersportparadies im Winter. Zwar ist Pucón in der kalten Jahreszeit nicht so gut besucht, wie im Sommer, aber die Vulkane Villarrica und Quetrupillán sind auch beliebte Ausflugsziele für Wintersportler. Der Tourismus spült also das ganze Jahr über Geld in die Kassen. Rund 300.000 Besucher zieht die Region La Araucanía jährlich an. 

In diesem Jahr sind das Skizentrum und die Nationalparks geschlossen. Nur vereinzelt bieten Restaurants ihre Spezialitäten zum Mitnehmen an. Die Straßen der Stadt sind verwaist. In den letzten Jahren machten im Juli zwischen 15.000 und 40.000 Besucher in La Araucanía Urlaub, Pucón ist dabei eines der beliebtesten Ziele. Aktuell kommen aufgrund von Quarantäne und Reisebeschränkungen nicht einmal nationale Gäste - gerade diese gehören, zusammen mit den Argentiniern, in den Wintermonaten aber normalerweise zu den Hauptbesuchern.  

Sonnenfinsternis ohne Touristen?

Noch hoffen einige auf die kommende Sommersaison, die im Dezember beginnt. Eigentlich. Man hatte Rekordzahlen erwartet - bis zu einer Million für die Region allein für die Tage um den 14. Dezember dieses Jahres. Der Grund: Die totale Sonnenfinsternis, die besonders im Süden des südamerikanischen Kontinents perfekt beobachtet werden kann. Pucón wäre weltweit einer der Hotspots.

Chile I Tourguide Joagquín Figueroa vor Kulisse des Villarrica
Joaquín Figueroa sehnt sich danach, wieder Besucher zum Krater des Vulkans hinaufzuführenBild: Judith Mintrop

Die Bewohner hatten sich auf eine Ausnahme-Saison eingestellt - aufgrund von zu erwartenden Touristenmassen, nicht aufgrund von Corona. "Meine Touren waren für den Tag der Sonnenfinsternis ausgebucht. Jetzt weiß keiner, ob die Besucher kommen können. Niemand weiß, ob Pucón, ob Chile bis dahin ausreichend vorbereitet ist, um die Türen wieder zu öffnen", sagt Joaquín Figueroa. Der 44-Jährige hat sich vor fünf Jahren als Guide mit einer Agentur für Trekkingtouren selbständig gemacht.

Figueroa hofft, die Zeit, bis der Tourismus wieder in Schwung kommt, zu überstehen. Seine Ersparnisse reichten bis zum Jahresende. Neben der Agentur betreibt er eine kleine Schule für Rafting- und Bergführer. "Damit wird man kein Millionär und es hilft nicht, um Schulden zu tilgen. Aber so kann ich meinen Kollegen Arbeit geben", sagt er. Sieben Leute beschäftigt er gerade. "Ich bezahle, was ich bezahlen kann. Das ist nicht viel. Aber es reicht, um Lebensmittel zu kaufen und die Rechnungen für Wasser, Strom und Heizung zu begleichen."  37 Trekking-Agenturen gibt es im Ort, an jeder Agentur hängen Schicksale. Wie viele Anbieter die Krise überstehen werden, weiß keiner.

Gemeinsam stark – die Bürger von Pucón halten zusammen

Der junge Rafting-Guide Ricardo Pineda gehört zu denen, die die Krise voll erwischt hat. Vor wenigen Wochen, als die Essensvorräte aufgebraucht waren, nahm er zum ersten Mal ein Lebensmittel-Hilfspaket an. Organisiert von Verónica Castillo. Sie ist in Pucón zu einer Anlaufstelle für Hilfsbedürftige geworden. "Ich konnte nicht mehr zu Hause sitzen, mit Internet und Fernsehen und nichts tun", sagt Castillo. Sie ist in Pucón geboren und gut vernetzt. Jetzt sammelt sie Sach- und Lebensmittelspenden, um diese an Bedürftige weiterzugeben.

Chile I Tourismusbranche in Pucón
Seit 21 Jahren betreibt Verónica Castillo eine Reiseagentur in PucónBild: Judith Mintrop

Von der Stadtverwaltung ist Verónica Castillo enttäuscht: "Meiner Meinung nach müssten die Behörden die Menschen besuchen, ihnen Medikamente bringen und ihnen helfen, den Alltag zu bewältigen. Sie haben die Möglichkeiten, das Geld, die Netzwerke und Beziehungen, die dafür nötig sind." Die gebürtige Puconerin hat in den 21 Jahren im Tourismusgeschäft viel erlebt. "Ich gehöre zu der Generation, die es immer wieder getroffen hat. Wir haben schwere Erdbeben erlebt, Tsunamis, den Vulkanausbruch 2015 und jetzt diese Pandemie."

Trotz der dunklen Aussichten ist bei den meisten keine Verzweiflung zu spüren. "Sollte sich der Tourismus nicht erholen, müssen wir umstrukturieren. Vielleicht eröffne ich einen Kiosk. Man darf den Kopf nicht in den Sand stecken. Wir Chilenen sind gut darin, unsere Kräfte zu ballen und wieder aufzustehen", sagt Joaquín Figueroa. Auch Verónica Castillo will die Hoffnung nicht aufgeben: "Ich glaube alle Tragödien bringen auch eine positive Seite mit. Diese Pandemie ist ein klares Stopp-Zeichen, das uns die Erde gegeben hat. Hoffentlich merken wir nun, dass wir auf unsere Erde aufpassen müssen, und nicht weiter Wälder und Meere verschmutzen können. Ich glaube, dass wir durch die Pandemie dazu lernen werden. Und ich hoffe, dass auch die Regierenden erkannt haben, worauf es ankommt. Denn sie sind es, die die Welt lenken."