Todesursache: Ehrenmord
18. März 2004Gewalt gegen Frauen ist nach UN-Angaben die häufigste Todesursache bei Frauen im Alter zwischen 15 und 44 Jahren - und kein anderes Verbrechen auf der Welt bleibe so ungesühnt. Eine Form solcher Verbrechen ist der Ehrenmord. Mehr als 5000 Fälle von Ehrenmord sind weltweit dokumentiert, und allein in Indien werden jährlich 5000 Mitgiftmorde registriert. Die Dunkelziffer liegt jeweils weitaus höher.
Meist ungesühnt
Eines der Länder, in denen diese Form der Gewalt ausgeübt wird, ist Jordanien. Hier haben Frauenorganisationen versucht Ehrenmord unter Strafe stellen zu lassen - bislang vergeblich. Meist wird der Täter als Held angesehen und - wenn überhaupt - drohen ihm weniger als sieben Monate Gefängnis. Dies, obwohl Jordanien das UN-Frauenrechtsabkommen (CEDAW-Konvention) unterschrieben hat. Allerdings hat Jordanien die Einschränkung vorgenommen, dass alle Gewalt, die religiös begründet wird, davon ausgenommen ist.
Eines der wenigen Opfer, das einen Ehrenmordanschlag in Jordanien überlebt hat, ist Souad. Sie hatte die Ehre ihrer Familie verletzt, weil sie sich mit 17 Jahren verliebte und ein Kind erwartete. Ihre Geschichte hat sie in dem erschütternden Buch "Bei lebendigem Leib" veröffentlicht, das bereit in 23 Sprachen übersetzt wurde.
Das archaische Gesetz
Die Geschichte von Souads erstem Leben spielt im Westjordanland. Sie ist eine von vier Schwestern, sie arbeitet von Kindesbeinen an als Schäferin, sie geht nicht zur Schule, wird nicht aufgeklärt. Sie lernt lediglich als Mädchen immer mit gesenktem Blick zu gehen, dass Schläge vom Vater, Bruder oder Ehemann zum Frauenleben wie selbstverständlich dazu gehören. Zu den archaischen Gesetzen des Dorflebens zählt auch, dass Frauen und Mädchen sehr leicht als "Charmuta" - als Hure - gelten. Und eine "Charmuta" zu sein, kommt einem Todesurteil gleich. Ist das heute auch noch so wie vor 20 Jahren? "Nach dem, was ich damals erlebt habe, denke ich nicht, dass sich groß etwas geändert hat", sagt Souad. "Es handelt sich um eine gesellschaftliche Tradition, die damals so ist wie sie auch heute ist. Wenn es Veränderungen gegeben hat, dann nur sehr geringe."
Souad wurde vom Familienrat zum Tode verurteilt. Sie hat sogar ihr eigenes Todesurteil mit angehört. "Du musst es so machen, wie es sich gehört", sagte ihr Vater, als Souad an der Wand lauschte, die Mutter ergänzte: "Aber du musst sie ein für allemal loswerden." Und der Schwager, der den Mord ausführen sollte, versprach: " Wenn ihr zurückkommt, ist die Sache erledigt." Einige Tage später kam dann ihr Schwager zu ihr in den Hof, sie war allein, ihre Eltern waren zum Markt gegangen. Souad war misstrauisch. Ihr Schwager begrüßt sie freundlich, versucht sie zu beruhigen. Plötzlich spürte sie, wie etwas Kaltes über sie geschüttet und angezündet wurde. Sie rannte schreiend in den Garten, flieht über eine Mauer auf die Straße. Einige Nachbarinnen löschten die Flammen. An den Rest kann Souad sich nur nach und nach in Bruchstücken erinnern. Sie hat schwere Verbrennungen. Sie liegt in einem Krankenhaus, gebiert als Todgeweihte - halb im Koma liegend - ihr Kind, ihren Sohn. Das Kind verschwindet in einem Waisenhaus, Souad selbst wird als Opfer einer so genannten "Familienangelegenheit" ihrem Schicksal überlassen.
"Männer müssen sich ändern"
Das Schicksal kommt in Gestalt von Jaqueline Thibault zu ihr, einer Mitarbeiterin der Frauenhilfsorganisation "Surgir". Ihr verdankt Souad ihr zweites Leben. Was muss Thibaults Meinung nach geschehen, um Mädchen und Frauen zu helfen? "Zunächst müsste sich der Mann ändern", ist sie sich sicher. "Er müsste aufhören, die Frauen zu schlagen, seine Töchter zu schlagen. Wenn sich der Mann verändert, kann sich auch die Gesellschaft verändern." Thibault ruft daher zum weiteren Engagement auf: "Es wäre wichtig, wenn weitere Stiftungen wie SURGIR in Europa entstehen, in Italien, in Deutschland und dass alle zusammenhalten, um etwas zu verändern."
In Palästina, sagt Jaqueline Thibault, werden die Mordanschläge auf Frauen und Mädchen häufig kaschiert. Es heißt dann, sie hätten mit den Israelis kollaboriert. Zu verhindern sind diese Ehrenmorde kaum. Ist erst einmal ein Ehrenmord beschlossen worden, muss er nach der traditionellen Denkweise auf alle Fälle durchgeführt werden.
Noch immer droht der Tod
Das Todesurteil schwebt auch immer noch über Souad. Deshalb tritt sie in der Öffentlichkeit nur mit einem Decknamen auf und verbirgt ihr Gesicht hinter einer weißen Maske. Diese Maske braucht sie nur zu ihrer Sicherheit, denn die Verletzungen im Gesicht sind gut verheilt. Über 20 Hauttransplantationen waren nötig, um ihre Gesundheit einigermaßen wiederherzustellen. 20 Jahre nach den Ereignissen im Westjordanland führt Souad ein normales Leben. Sie ist verheiratet, hat zwei Töchter und einen Beruf.
Souads Buch schließt mit einer Familienzusammenführung. Der Sohn zieht mit seiner Freundin zu Souad und ihrer Familie. Heute bezeichnet sie sich als Souad, die Glückliche: "Dank dieses Buches geht es mir nun wirklich gut. Ich möchte den Frauen helfen, die Hilfe brauchen und die leiden wie ich gelitten habe. Ich habe unheimlich viel Kraft gewonnen."