Corona-Testkonzert mit Tim Bendzko
23. August 2020"An einer Studie teilzunehmen, die erforscht, wie kulturelle Veranstaltungen unter Corona-Bedingungen stattfinden könnten, halten wir für eine coole Idee", sagen Kira und Felix Stütz. Und das, obwohl es derzeit kein guter Zeitpunkt ist, um einen ganzen Tag inmitten einer Menschenmenge in einer Veranstaltungshalle wie der Arena Leipzig zu verbringen. In Deutschland waren die Corona-Infektionszahlen am Freitag um über 2000 Fälle gestiegen - ein Wert, der seit Ende April nicht mehr erreicht wurde, als im ganzen Land noch strenge Restriktionen galten. Trotzdem standen Kira und Felix Stütz mit rund 1500 Freiwilligen am Samstagmorgen in Leipzig Schlange, um an einer Studie namens "Restart19" mitzumachen. Das Ziel: eine Art Konzertsimulation während eines Auftritts des Popstars Tim Bendzko mit drei verschiedenen Szenarien. Im ersten Szenario sollte eine Veranstaltung wie vor Beginn der Pandemie simuliert werden, also etwa mit nur zwei Einlässen. Im zweiten Fall sollte es deutlich mehr Einlässe geben, zudem mit größeren Abständen zwischen den Konzertbesuchern. Im dritten Szenario galt auf den Zuschauertribünen ein Abstand von anderthalb Metern.
Konzert mit Hygienekonzept
Die Veranstaltung, die vom Universitätsklinikum Halle organisiert wurde, sollte dabei helfen, Daten über das Verhalten einer großen Menschenmenge in Arenen und Konzerthallen zu sammeln, um die Risiken bei der Durchführung von Großveranstaltungen in Zukunft besser einschätzen zu können, wie Michael Gekle, Dekan der medizinischen Fakultät der Universität Halle, gegenüber der DW erklärte. "Wir wollen mit unser Studie dazu beitragen dass Entscheidungen getroffen werden können, ob und wie eine Veranstaltung künftig stattfinden kann. Wir möchten versuchen, das Infektionsrisiko durch so eine Veranstaltung valide vorherzusagen."
"Sicherer als eine Zugfahrt"
Kira und Felix Stütz freuten sich, einen Tag lang einen Beitrag zur Wissenschaft zu leisten. Für sie fühlte sich ihre Teilnahme "sicherer an, als zum Beispiel mit dem Zug durch Deutschland zu reisen". Tatsächlich herrschten bei der Auswahl der Projektteilnehmer sehr strikte Vorgaben: Jeder Teilnehmer musste 48 Stunden vor der Veranstaltung auf SARS-CoV-2 getestet worden sein und durfte natürlich nur mit einem negativen Ergebnis teilnehmen; Personen mit Symptomen oder Personen, die erst kürzlich aus einem Hochrisikoland zurückgekehrt waren, wurden von vorneherein ausgeschlossen.
Nach dem Fiebermessen erhielten die Teilnehmer eine FFP2-Maske sowie einen Sender, der jede ihrer Bewegungen registrierte. Außerdem wurde ihnen ein Desinfektionsmittel - gemischt mit einem fluoreszierenden Markierungsspray - ausgehändigt. So sollte ermittelt werden, welche Oberflächen im Laufe des Tages berührt werden.
Ergebnisse sollen im September vorliegen
Studienleiter Stefan Moritz zeigte sich "sehr zufrieden" mit der Qualität der Daten, die die Universitätsmediziner im Laufe des Tages mit Hilfe der Sender gesammelt haben. So sei eine Datenbank entstanden, "mit der wir sehr gut arbeiten können". Es werde mehrere Wochen dauern, Ergebnisse auf der Grundlage dieser Daten zu entwickeln; die Ergebnisse sollen im September veröffentlicht werden, so Moritz. Dies sei die erste Untersuchung dieser Art, sagt Michael Gekle, der inzwischen von drei Universitäten in Australien, Belgien und Dänemark kontaktiert wurde, die ähnliche Studien durchführen. Die Zusammenarbeit werde dazu beitragen, die eigene Forschung mit weiteren Daten zu unterfüttern, sagte Moritz.
Keine realen Bedingungen für die Studie?
Die Studie, die fast eine Million Euro kostet, findet nicht nur Befürworter. Kritiker bemängeln, dass sie nicht unter realen Bedingungen stattgefunden habe, bei denen Menschen Alkohol trinken, tanzen und mitsingen, ohne eine Hochfiltermaske zu tragen. Jede Studie habe das Problem, nicht die "reale Welt widerzuspiegeln", entgegnet Michael Gekle. "Wir standen vor der Wahl, entweder ohne Daten zu bleiben oder über Daten zu verfügen, die den normalen Kontext nicht vollständig wiedergeben." Der halbe Weg sei seiner Meinung nach besser als gar keiner. "Wir sind gespannt auf die Ergebnisse der Studie, auch wenn wir wissen, dass sie nicht die Lösung aller Probleme sein werden", sagte Matthias Kölmel, Geschäftsführer der Leipzig Arena.
Veranstaltungsbranche setzt viele Milliarden um
Kölmel wies darauf hin, dass die Veranstaltungsbranche mit rund 1,5 Millionen Beschäftigten und einem Umsatz von jährlich 130 Milliarden Euro die sechstgrößte in Deutschland sei. "Stadien waren die ersten, die während der Corona-Pandemie geschlossen wurden und werden wahrscheinlich zu den letzten Unternehmen gehören, die wieder eröffnet werden", fügte er hinzu.
Tim Bendzko, der bei dieser Konzertsimulation auftrat, war jedenfalls froh, wieder vor Publikum zu singen. "Das hat uns mehr Spaß gemacht, als ich gedacht hätte. Meine Befürchtung war es, dass es wegen der Masken sehr steril werden würde, aber es war ein überraschend gutes Erlebnis." Bendzko bevorzugt jedenfalls, vor Menschen mit Masken auf der Bühne zu stehen, als vor einem Publikum, das im Auto sitzt. So könne er wenigstens ein paar echte Emotionen erkennen. Das sei für ihn authentischer, "als das Blinken von Autoscheinwerfern".