"Tiefgreifende Differenzen" mit Erdogan
28. September 2018Zwischen Deutschland und der Türkei gebe es weiterhin "tiefgreifende Differenzen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan in Berlin. Zuvor waren beide im Kanzleramt zu einem Gespräch zusammengekommen. Konkret nannte Merkel die Lage der Pressefreiheit und der Menschenrechte in der Türkei. In diesem Zusammenhang mahnte sie auch eine rasche Lösung für die in der Türkei inhaftierten Deutschen an. "Ich habe darauf gedrängt, dass auch diese Fälle möglichst schnell gelöst werden können", sagte Merkel.
Die Kanzlerin betonte aber auch gemeinsame Interessen mit der Türkei: "Wir haben vieles, was uns eint", sagte sie und verwies auf die Partnerschaft in der NATO, Fragen der Migration und den Kampf gegen Terrorismus.
Syrien-Gipfel in Vorbereitung
Merkel ging zudem auf den Krieg in Syrien ein und stellte für Oktober ein Gipfeltreffen mit den Präsidenten der Türkei, Russlands und Frankreichs in Aussicht. Bei den Beratungen soll die kritische Situation um die Rebellenhochburg Idlib im Fokus stehen. Die Türkei leiste "Herausragendes" bei der Beherbergung von mehr als drei Millionen syrischen Flüchtlingen, fügte sie hinzu.
Erdogan forderte von Deutschland einen noch entschlosseneren Kampf gegen den Terrorismus. In Deutschland hielten sich "tausende Mitglieder der PKK-Terrororganisation" auf, meinte er. Zudem seien hunderte Anhänger der Gülen-Bewegung in der Bundesrepublik.
Gleichzeitig bestand der Staatschef auf der Auslieferung des bekannten türkischen Journalisten Can Dündar. Dieser sei "ein Agent, der Staatsgeheimnisse veröffentlicht hat", sagte Erdogan.
Eklat gleich zu Beginn
Vor seinem Gespräch mit Merkel war Erdogan von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit militärischen Ehren empfangen worden. Unmittelbar danach wurde bekannt, dass die türkische Führung von Deutschland die Auslieferung Dündars sowie von 68 weiteren von Ankara gesuchten Personen fordert. Die regierungsnahe türkische Zeitung "Yeni Akit" berichtet, Erdogan habe drei Tage vor seinem Besuch eine entsprechende Liste an Merkel geschickt.
2015 war Dündar wegen eines Berichts über verdeckte Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an islamistische Rebellen in Syrien angeklagt worden. Im Mai 2016 wurde er in erster Instanz zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt, im Juli 2016 ging er ins Exil nach Deutschland. Die Türkei wirft ihm Spionage, Verrat von Staatsgeheimnissen und Propaganda vor. Dündar verzichtete - trotz Akkreditierung - auf seine Teilnahme an der Pressekonferenz von Merkel und Erdogan. Zuvor hatte die Türkei gedroht, die Pressekonferenz abzusagen, falls Dündar teilnehme.
Zwischenfall bei der PK
Trotzdem verlief die Pressekonferenz von Merkel und Erdogan nicht ungestört. Der Journalist Adil Yigit trug ein T-Shirt mit der Aufschrift "Gazetecilere Özgürlük - Freiheit für Journalisten in der Türkei" und wurde deshalb vor laufenden Kameras von Sicherheitsleuten abgeführt. "Ich habe nichts getan", rief der Mann, der eine Akkreditierung für die PK hatte.
"Erdogan not welcome"
Der Staatsbesuch des türkischen Präsidenten findet unter massiven Sicherheitsvorkehrungen statt. Menschenrechts- und Journalistenorganisationen protestierten gegen Erdogan und forderten die Achtung der Pressefreiheit und die Freilassung aller in der Türkei inhaftierten Reporter. Eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei dürfe es nicht geben, solange die Unterdrückung der Medien anhalte, sagte der Geschäftsführer von "Reporter ohne Grenzen", Christian Mihr, bei einer Kundgebung in Berlin. Der deutsche Generalsekretär von Amnesty International, Markus Beeko, sprach von zunehmenden Repressalien gegen die türkische Zivilgesellschaft.
Am Samstag reist der türkische Staatschef weiter nach Nordrhein-Westfalen, um in Köln die neue Zentralmoschee der Türkisch-Islamischen Union DITIB zu eröffnen. Auch in der Domstadt sind Proteste gegen ihn geplant.
se/wa/hk/sti (afp, dpa, rtr)