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Theo Waigel: "Wir mussten die Chance nutzen"

18. Mai 2010

Die Einführung der D-Mark in der DDR bedeutete 1990 einen Schock für die ostdeutsche Wirtschaft. Im DW-Interview erklärt der damalige westdeutsche Finanzminister Waigel, warum es aus seiner Sicht keine Alternative gab.

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Portraitfoto von Theo Waigel, Finanzminister der deutschen Einheit. (Foto:dpa)
Theo Waigel, Finanzminister der deutschen EinheitBild: picture-alliance / dpa

Deutsche Welle: Hat es eine Alternative gegeben zur raschen Einführung der D-Mark in der DDR?

Theo Waigel: Wir haben uns natürlich Stufenpläne überlegt, wie das Ganze in zwei, vier, sechs oder acht Jahren stattfinden könnte. Wir sind zum Ergebnis gekommen, dass solche Stufenpläne nicht realistisch gewesen wären. Wir hätten damit die Abwanderung der Menschen von Ost nach West nicht stoppen können. Wir hatten außerdem nicht so viel Zeit, um die entsprechenden Verträge und Abmachungen auch mit der damaligen Sowjetunion unter Dach und Fach zu bringen. Wir mussten also die Chance nutzen.

Es hat unterschiedliche Wechselkurse gegeben. Wie sind die Verhältniswerte zustande gekommen?

Wenn man alles zusammen rechnet, dann war der Umrechnungskurs 1:1,81. Und das liegt sehr nah bei dem, was die Bundesbank vorgeschlagen mit 1:2. Bei den so genannten Stromgrößen wie Löhnen, Gehältern und Renten war eine Umstellung von 1:2 nicht möglich. Das lag daran, dass sie in Ost-Mark ein Drittel von dem betrugen, was die vergleichbaren Einkommen in der Bundesrepublik Deutschland in D-Mark bedeuteten. Das heißt die Menschen hätten bei einer Umstellung 1:2 nur ein Sechstel von dem gehabt, was die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung gehabt hätten. Völlig unmöglich, indiskutabel - wir hätten sofort eine neue Grenze eröffnen müssen. Zunächst die Mauer nieder schleifen und den Stacheldraht durchbrechen und dann eine neue Grenze aus Zuzugsbeschränkungen, Zöllen und ähnlichem mehr - das ging nicht.

War die damalige Bundesrepublik damit nicht doch überfordert?

Es gab doch keine Alternative! Hätten wir denn die Einheit verschieben sollen, hätten wir sagen sollen, geht nicht? 40 Jahre haben wir gesagt, jawohl, wenn das kommt, dann sind wir bereit, einen Preis zu bezahlen. Politiker wie Franz-Josef Strauß (bayrischer Ministerpräsident 1978 - 1988) haben in den 1960-er Jahren gesagt, allein für die Einführung der Demokratie in der DDR wären wir bereit, über 100 Milliarden D-Mark zu bezahlen. Wir mussten die Chance ergreifen, im Interesse von 18 Millionen Menschen Demokratie in ganz Deutschland zu errichten, Deutschland souverän zu machen und die sowjetischen Waffen aus Deutschland weg zu bekommen. Das war das wichtigste Ziel, das ist erreicht worden und der Preis war nicht zu hoch.

Von Seiten der DDR hat Finanzminister Günter Romberg von der SPD mit Ihnen zusammen gearbeitet. Wie war das Verhältnis zu ihm?

Ich habe ihn geschätzt, er war ein sehr ernsthafter Mann, der sich die Entscheidungen sehr schwer gemacht hatte. Er verfügte natürlich nicht über einen guten Apparat, darum war es für ihn auch sehr schwierig, die entsprechenden Unterlagen zu bekommen. Einer derjenigen, der Bescheid wusste, war der damalige Staatssekretär Walter Siegert, der einen wichtigen Anteil am Zustandekommen der Wirtschafts- und Währungsunion gehabt hat.

Theo Waigel, geboren 1939 im schwäbischen Oberrohr, war von 1989 bis 1998 Bundesfinanzminister und CSU-Vorsitzender.

Das Interview führte Matthias von Hellfeld

Redaktion: Dеnnis Stutе