Hilfe für die Opfer
14. Januar 2010Die Forderungen der Frauenvereine in der Türkei sind eindeutig: Sie wollen ein Gewaltschutzgesetz und Krisenzentren für Vergewaltigungsopfer. Dafür kämpfen die Mitglieder der "Frauenplattform gegen sexuelle Gewalt". Die Frauenrechtsorganisation "Amargi" hat diese Plattform gemeinsam mit 30 Frauenvereinen ins Leben gerufen. Die Dunkelziffer bei Vergewaltigungen gilt in der Türkei als besonders hoch. Ein Gesetz, das es ermöglicht, die Opfer konsequenter zu unterstützen und die Täter zielstrebig zu verfolgen, fehlt bislang.
Nur wenige Vergewaltigungen werden angezeigt
Die Europäische Union empfiehlt jedem Mitgliedsland, sogenannte Krisenzentren als erste Anlaufstelle für vergewaltigte Frauen einzurichten. So weit ist die Türkei noch nicht - auch wenn die Frauenrechtsorganisationen es gerne hätten. "Es ist sehr wichtig, dass die Opfer das erste Gespräch mit einem Psychologen führen", erklärt Ilkay Ülkü Ertan von "Amargi". Es sei schlimm für vergewaltigte Frauen, von Tür zu Tür laufen zu müssen, um Hilfe zu suchen. Wenn sie in ein Krisenzentrum gehen könnten, würde ihnen besser geholfen und zukünftig würden auch mehr Täter angezeigt, ist sich Ertan sicher.
Untersuchungen in der Türkei zeigen: In rund 70 Prozent der Fälle kommen die Vergewaltiger aus der Familie, der Nachbarschaft oder dem Bekanntenkreis. Deshalb verzichteten Frauen oft darauf, Anzeige zu erstatten, sagt Ilkay Ülkü Ertan.
Es gebe noch eine weitere Hürde, warum Vergewaltigung in der Türkei so schwer zu bekämpfen sei, sagt Esen Özdemir von der "Frauenplattform gegen sexuelle Gewalt". Und die liege im türkischen Rechtssystem. "Vergewaltigung ist bei uns die einzige Straftat, die vom Opfer bewiesen werden muss. In unserem Rechtssystem muss die Frau beweisen, dass sie vergewaltigt worden ist. Das ist ein für die Opfer sehr zermürbender Prozess. Es gibt höchst selten Zeugen einer Vergewaltigung."
Tabu-Thema in der Türkei
Vergewaltigung ist eine Straftat, für die sich viele Opfer schämen - und ein Tabu-Thema. Selbst innerhalb der Frauenbewegung falle es vielen schwer, das Thema beim Namen zu nennen, berichtet Ertan. Das zeige sich beispielsweise beim geplanten "Krisenzentrum gegen Vergewaltigung". Eine Frau schlug vor, das Zentrum in "Krisenzentrum gegen Sexualgewalt" zu ändern - aus Angst vor negativen Reaktionen aus der Gesellschaft. "Wir müssen lernen, offen von Vergewaltigung zu sprechen, auch innerhalb der Frauenorganisationen. Die Menschen scheuen davor zurück, das Wort offen auszusprechen", sagt Ertan.
Trotz dieser Schwierigkeiten engagiert sich die Menschenrechtsorganisation "Amargi" weiter für die Opfer von Vergewaltigungen - so lange, bis das Thema in der türkischen Öffentlichkeit angekommen ist.
Autorin: Hülya Köylü
Redaktion: Julia Kuckelkorn