Theater für Kriegsberichterstatter
10. Dezember 2004
Der griechische Dramatiker Aischylos berichtet in seiner Tragödie "Die Perser" davon, wie die Perser von den Hellenen vernichtend geschlagen werden. Aischylos hatte die Informationen aus erster Hand, denn er war selbst dabei – als "Embedded Journalist" der Antike, auch "Bote" genannt. Er, der auf der Seite des geschlagenen Feindes stand, warnt seine siegestrunkenen Landsleute vor Größenwahn und Allmachtsphantasien. Ähnliches tut Elfriede Jelinek zweieinhalbtausend Jahre später in ihrem Stück "Bambiland".
So, wie die athenische Tragödie große zeitgenössische Katastrophen verarbeitete, reproduziert Jelinek die Sprach- und Bilderwelten heutiger Fernseh- und Printmedien. Damit die Kontinuität auch wirklich jedem sichtbar wird, verknüpft Jelinek die Nachrichten und Irak-Berichterstattungen, vor allem aus dem Fundus des US-Fernsehsenders CNN, mit Zitaten aus "Die Perser". "Bambiland" wurde am Burgtheater Wien uraufgeführt (Dezember 2003), das Deutsche Nationaltheater Weimar sorgte für die deutsche Erstaufführung (November 2004).
Zweierlei Bambiland, ganz ähnlich
Die Inszenierung des Regisseurs Marco Storman in Weimar siedelt das Geschehen in einem Seminarraum an, dem klassischen Raum des westlichen Wettbewerbs. Vier Leute - ein Sportler, ein Banker, eine Autorin und eine Arbeitslose - bewerben sich beim "Workshop für angehende Kriegsteilnehmer" und hoffen auf ein Engagement.
Das "Bambiland" in Wien ist ein weltumspannendes Entertainment-Disneyland, das mit dem Irakkrieg dank medialer Vermittlung eine neue Dimension und auch einen neuen Namen bekommen hat: "Wartainment". Jeder darf mitspielen. Jeder wird bei diesem Krieg zum Mitspieler, ob er will oder nicht. Die ganze Bühne ist der Kriegsschauplatz, durch "Bambiland" verläuft die "Achse der Willigen". Die Darsteller sind die "eingebetteten Reporter". Schlingensief gibt den General.
"Bambiland" zeigt den Irakkrieg nicht aus der Sicht der Opfer, sondern aus einer doppelten Kamera-Perspektive: Zum einen wird das gezeigt, was den Kriegsreportern vor die Linse gekommen ist. Zum anderen sitzen die Beobachter hinter ihren Fernsehbildschirmen und lassen sich mit dem berieseln, was die Flimmerkiste zu bieten hat: Das RTL-Modell der antiken Kriegsbotin wünscht sich schusssichere Westen in Trendfarben, CBS wiederholt einen Live-Bericht, weil der Bombeneinschlag nicht im Bild war. Luftangriffe werden angekündigt wie Fußball-Länderspiele.
Kampfansage
Für die Aufführung in Wien hat der Aktionskünstler, Theater- und Filmregisseur Christoph Schlingensief "Bambiland" inzeniert. Elfriede Jelinek hatte sich ihn ausdrücklich als Regisseur gewünscht. Mit einem einfachen "Machen Sie damit, was Sie wollen!" gab sie ihm freie Hand. Das ließ sich Schlingensief nicht zweimal sagen: "Theater darf Krieg nicht nur altklug nacherzählen", so Schlingensief, "Theater muss selbst Krieg sein." (arn)