Regierungsbildung in Thailand steht vor Hürden
22. Mai 2023Der orangefarbene Truck-Konvoi der "Move Forward"-Partei bahnt sich den Weg durch die Menschenmassen. Vorbei an fahnenschwenkenden Fans, die den historischen Wahlsieg feiern. Als Parteichef Pita Limjaroenrat auf einem der Wagen auftaucht, kennt der Jubel der Anhänger keine Grenzen mehr. "Premierminister! Premierminister!” Schreien sie frenetisch. Eigentlich eine legitime Forderung, denn der 42-jährige Geschäftsmann hat als Spitzenkandidat mit seiner progressiv ausgerichteten Partei mit 152 Mandaten die meisten Parlamentssitze in Thailand gewonnen, gefolgt von der ebenfalls oppositionellen Pheu-Thai-Partei mit 141 Sitzen.
Am Rande des orangen Pulks sitzen Surin und seine Frau. Mit einem zufriedenen Lächeln schauen die beiden Anhänger der "Move Forward"-Partei auf die feiernden Jungwähler. "Jetzt brechen neue Zeiten an. Das wird eine gute Zukunft", sagt der ehemalige Bahnarbeiter verheißungsvoll. "Vieles wird sich ändern im Land. Zum Beispiel wird endlich das Lèse-Majesté Gesetz geändert."
In Thailand ist das Majestätsbeleidigungsgesetz noch in Kraft, das die Diffamierung der Monarchie unter drakonische Strafe stellt. Die Änderung dieses Gesetzes war ein zentrales Wahlkampfthema der Partei. Hinzu will sie die Verfassung demokratisieren. Auch die Wehrpflicht soll abgeschafft werden - Bestrebungen, die direkt auf das konservative Machtestablishment abzielen und das verkrustete Machtgeflecht aus Militär, Monarchie und hohen Beamten bedrohen würden.
Machenschaften des Establishments befürchtet
Trotz Euphorie ist an der Siegesfeier in der Altstadt Bangkoks deshalb auch vielen klar, dass der errungene Sieg an der Urne nur eine erste Hürde zu einem Machtwechsel darstellt. "Die Militärelite wird alles versuchen, um uns zu verhindern”, sagt Chedsak, ein Motorradtaxifahrer und Pita-Fan der DW. Er befürchtet, dass die alte Garde im Hintergrund bereits an einem armeefreundlicheren Ausgang werkelt. "Falls die Senatoren Pita nicht als Premierminister wählen, bekommen sie es mit mir und dem wütenden Volk zu tun", poltert Chedsak und ballt die Hand zur Faust.
Chedsak meint die von der Militärjunta handverlesenen 250 Senatoren, die neben den 500 gewählten Parlamentsabgeordneten über die Regierungsbildung abstimmen. Eine Wahlregel, die die Putschisten 2017 in der Verfassung verankerten, um ihre Machtstellung zu stärken.
Um in Thailand Premierminister zu werden, benötigt ein Kandidat somit die Mehrheit von insgesamt 750 Stimmen, sprich mindestens 376. Fieberhaft arbeitet die bisherige Opposition die letzten Tage nun daran, diese magische Anzahl an Stimmen zu erreichen. Bislang konnte Wahlsieger Pita sieben weitere Parteien für eine Koalitionsregierung gewinnen, die zusammen auf 313 Sitze kommen. Für die notwendige Mehrheit wäre Pita auf die Unterstützung aus dem Senat angewiesen.
Ob ein ausreichender Teil der militärnahen Senatoren den progressiven Oppositionschef als Regierungschef akzeptiert, ist mehr als fraglich. Einige von ihnen haben die Wahl des Jungpolitikers bereits kategorisch ausgeschlossen. Senator Kittisak Rattanawaraha machte gegenüber der Lokalpresse klar, dass nur Kandidaten wählbar seien, die loyal "gegenüber der Nation, Religion und der Monarchie" seien.
Alles bleibt beim Alten?
Sollten die Senatoren, wie bereits 2019, geschlossen einen Kandidaten der promilitärischen Parteien wählen, könnte sich die konservative Elite trotz Wahlschlappe an der Macht halten. Paul Chambers von der Naresuan Universität in Nordthailand glaubt, dass sich eine Mehrheit auf den linientreuen Anutin Charnvirakul einschwören könnte. Anutin, der bisherige Vize-Premierminister, landete mit seiner Bhumjaithai-Partei bei den Wahlen auf dem starken dritten Platz.
"Er ist ein Royalist, dem das Militär vertraut und der in ziviler Kleidung erscheint", sagt Chambers. Der 56-Jährige teilte letzte Woche mit, dass seine Partei die Wahlsieger von "Move Forward" aufgrund ihrer Haltung zum Majestätsbeleidigungsgesetz nicht unterstützen werde und er bereit sei, "die Monarchie nach besten Kräften zu beschützen."
Rein rechnerisch würden die 70 gewonnenen Mandate seiner Bumjaithai-Partei ausreichen, um zusammen mit den restlichen militärnahen Parteien und den Stimmen aus dem Senat ins Amt des Regierungschefs gewählt zu werden. Allerdings wäre das konservative Lager im Parlament ohne die Senatoren dann eine Minderheitsregierung, die keine Gesetzesvorhaben durchbringen könnte, was einer politischen Sackgasse gleichkäme.
Klage gegen Wahlgewinner
Die mächtigen Generäle könnten die politischen Kräfteverhältnisse auch durch Gerichtsverfahren in ihrem Sinne beeinflussen. In Thailand wurden die letzten 20 Jahre mehr politische Parteien aufgelöst als in jedem anderen Land auf der Welt. Die "Pheu Thai"-Partei wurde bereits zweimal aufgelöst. Auch die "Move Forward"-Partei ist bereits eine Reinkarnation der "Zukunftspartei", die bei den Wahlen 2019 angetreten und durch einen Beschluss des Verwaltungsgerichts verboten worden war.
Führende Persönlichkeiten der Zukunftspartei, darunter dessen Parteichef Thanathorn Juangroongruangkit, wurden mit einem 10-jährigen Politikverbot belegt. Auch dem Spitzenkandidaten der "Move Forward"-Partei könnte bald eine Anklage drohen wegen angeblichen Besitzes von Aktien einer Mediengesellschaft, was gemäß thailändischem Wahlgesetz illegal ist. Eine entsprechende Petition zur Disqualifizierung von Pita Limjaroenrat wurde bei der Wahlkommission bereits eingereicht.
Politische Krise befürchtet
"Pita nach dem Muster Thanathorns aus dem Weg zu räumen, wäre aber eine kaum vorstellbare Provokation und mit erheblichen Risiken verbunden", sagt Politologe Michael Nelson der DW. Schließlich sei er nicht nur ein Premierministerkandidat, sondern ein "absolutes Symbol für den Aufbruch, den sich viele erhoffen".
Diesen klaren Wählerwunsch zu ignorieren und die stärkste prodemokratische Kraft durch Klage von der Macht auszugrenzen, würde zu einem erheblichen Unmut in der Bevölkerung führen und das Königreich in eine Krise stürzen. Klar ist, dass sich die Thais auf turbulente Zeiten mit etlichen politischen Klüngeleien einstellen müssen.
Bis zu 60 Tage lässt sich die Wahlkommission Zeit, bis sie die offiziellen Wahlergebnisse bekannt gibt. Erst dann kann ein Parlamentspräsident ernannt werden, der die Wahl der neuen thailändischen Regierung einberufen wird.