Thailand: 'Ich habe ihm vertraut und mich deshalb nicht geschützt'
In Thailand ist es Brauch, dass junge Menschen keine sexuellen Erfahrungen miteinander machen dürfen. Die Konsequenz für viele pubertierende Jungs ist der Weg zur Prostituierten: 60 Prozent der 15-Jährigen und 80 Prozent der 18-Jährigen waren nach Erkenntnissen des Immunologen Vicham Vithayasai bereits dort. „Denn wer keine sexuellen Erfahrungen gemacht hat, wird von seinen Freunden gehänselt“, weiß der Arzt. Außerdem gebe es immer Anlässe zum Sex: Wenn man den Chef ausführen wolle, oder wenn man eine Stadt besuche. „Hat man dort keinen Sex, ist man nicht wirklich da gewesen.“
Geschlechtsverkehr vor der Ehe ist Tabu
Während Männer sich austoben dürfen, haben Frauen als Jungfrau in die Ehe zu gehen und sodann auf ihren guten Ruf zu achten. Wenn die Ehemänner eine Affäre haben oder zu Prostituierten gehen, halten viele Frauen still und ertragen die Situation. Erst zu spät erkannte Karuna, eine 26-jährige, zweifache Mutter, wie verhängnisvoll die Affäre ihres Mannes werden würde. „Ich habe ihm vertraut – und mich deshalb nicht geschützt.“ Nun ist auch sie mit dem tödlichen Virus infiziert.
Anders als im ‚Westen’ wird AIDS in Thailand in 95 Prozent aller Fälle von Heterosexuellen übertragen. Viele Männer stecken ihre Partnerinnen an – und machen dafür die zunehmende ‚Verwestlichung’ ihrer Gesellschaft für das Problem verantwortlich. Traditionelle soziale Werte und Verhaltensweisen erodieren, beklagen sie. Dass allerdings die Männer durch den Wandel ihres Lebensstils zur Verbreitung des HI-Virus beitragen, wird gerne beiseite gewischt.
Gleiche Rechte für Männer und Frauen?
„Ihr Leben lang hat sich die thailändische Frau gegen ein unverhohlenes Machotum ihrer männlichen Landsleute durchzusetzen. Ein Machotum, das ihr zum Beispiel Rechte verwehrt, die den Männern zugestanden werden,“ erklärt Virada Somswadi. Sie lehrt Sozialwissenschaften an der Universität in Chiang Mai. Mit dem Geschlechterverhältnis beschäftigt sich die Feministin seit mehr als 20 Jahren.
Die thailändische Verfassung garantiert Männern und Frauen gleiche Rechte. Dennoch, räumt Virada Somswadi ein, widersprechen eine Reihe von Gesetzen der 1997 verabschiedeten Verfassung. Insofern könne man nicht sagen, dass die Gleichberechtigung im täglichen Leben tatsächlich realisiert sei.
Erneute Aufklärung wäre angebracht
Im Jahre 1984 wurde in Thailand erstmals offiziell eine AIDS-Erkrankung bestätigt. Da war das Virus im Lande längst auf dem Vormarsch. 1992 wurde dann unter Ministerpräsident Anand Panyarachun die so genannte „100 Prozent Kondom Kampagne“ gestartet. Mit Erfolg: Immerhin konnte die Anzahl der Neuinfizierten von circa 60.000 im Jahr auf 10.000 und weniger reduziert werden. Doch infolge der Asienkrise 1997 haben nachfolgende Regierungen die Mittel für Aufklärungsprogramme kürzen müssen.
Heute müsste man eigentlich wieder von vorne anfangen, bilanziert die unabhängige Menschenrechtsschutzorganisation Human Rights Watch. Mit der Kondom-Kampagne habe die thailändische Regierung nur kurzfristig das Risiko der Ansteckung gemindert. Denn gefehlt habe der ernsthafte Versuch, die Männer über die Gefahren ihres ausschweifenden Sexuallebens aufzuklären und sie davon abzubringen.
Niemand hatte mit ihr über Verhütung gesprochen
Solange die Ehefrauen ihren Männern weiterhin blind vertrauen, riskieren sie eine Ansteckung. Meist ahnen sie dabei gar nicht, dass sie gefährdet sind. Oder dass sie sich durch den Gebrauch eines Kondoms vor Ansteckung schützen könnten. Schätzungsweise 1,3 Millionen Menschen in Thailand sind derzeit HIV-positiv. Die Hälfte der Neuinfizierten sind Frauen, die von ihren Lebens- oder Ehepartnern angesteckt wurden.
Autoren: Praweenar Thadhaprom, Teerapap Pengjun und Silke Bartlick
Redaktion: Peter Koppen