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Terrorwelle im Irak verbreitet Angst und Schrecken

Nils Naumann14. August 2013

Ob beim Einkaufen, im Café oder in der Moschee: Der Terror kann die Iraker überall treffen. Seit Monaten explodieren fast täglich Bomben. Die Opfer sind vor allem Schiiten. Im Volk wächst die Frustration.

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Autobombenanschlag im Irak (Foto: picture alliance)
Bild: picture-alliance/dpa

Abu Samer hat genug. Der 64-Jährige ist verzweifelt: "Die Lage im Irak wird sich nicht mehr verbessern." Samer lebt in Shaab, einem schiitisch geprägten Stadtteil im Norden von Bagdad. Erst vor wenigen Tagen wurden hier bei der Explosion von zwei Autobomben acht Menschen getötet. "Ich vertraue keinem unserer Politiker", sagt Samer, "sie versprechen viel. Das Ergebnis ihrer Politik aber ist der Terror."

Seit Jahresbeginn hat die Gewalt im Irak wieder deutlich zugenommen. Allein im Juli wurden bei Anschlägen über 1000 Menschen getötet, darunter viele Frauen und Kinder. Die Täter platzieren Bomben vor Märkten, Restaurants und Gotteshäusern - oder sprengen sich in Freizeitparks oder vor Spielplätzen in die Luft. Während der Feiern zum Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan am vergangenen Samstag explodierten in Bagdad an einem Tag 16 Autobomben. Auch hier waren die meisten Opfer Angehörige der schiitischen Bevölkerungsmehrheit.

Muslime gegen Muslime

Vermummte Al-Kaida Kämpfer im Irak (Foto: picture alliance)
Festgenommen: Vermummte Al-Kaida-KämpferBild: picture-alliance/dpa

Hinter den meisten Attentaten stecken sunnitische Aufständische. Einige Gruppen greifen vor allem Sicherheitskräfte an. Andere machen keinen Unterschied zwischen Zivilisten und Sicherheitskräften. Besonders brutal geht die "Bewegung Islamischer Staat im Irak und im Morgenland" vor, der irakische Ableger von Al-Kaida. Ihr Ziel: Die Menschen in Angst und Schrecken versetzen. Die Schiiten sollten sich "Tag und Nacht nicht in Sicherheit" fühlen, erklärte die Organisation nach der jüngsten Anschlagsserie.

"Al-Kaida ist die Speerspitze des gewalttätigen Widerstands der Sunniten", sagt Guido Steinberg, Irak-Experte der Stiftung Wissenschaft Politik. Die Organisation habe in den vergangenen Monaten viele neue Kämpfer rekrutiert. Das Ziel von Al-Kaida sei es, "einen Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten zu entfachen". An dessen Ende solle die Gründung eines sunnitisch dominierten Staates stehen.

Allerdings repräsentiere Al-Kaida nicht die gesamte sunnitische Bevölkerung, betont Steinberg. Es gebe auch viele Sunniten, die sich friedlich gegen die Politik der Regierung des schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki wehren.

Kampf um die Macht in Bagdad

Hintergrund der Gewalteskalation im Irak ist der schon seit Jahren schwelende Machtkampf zwischen Schiiten und Sunniten. Ministerpräsident Maliki versuche, eine Diktatur zu Lasten der Sunniten zu errichten, erklärt Steinberg. "Die Sunniten wehren sich gegen ihre Ausgrenzung." Der Anteil der arabischen Sunniten liegt bei etwa 20 Prozent der irakischen Bevölkerung. Die Schiiten stellen rund 60 Prozent.

Iraks Ministerpräsident Maliki auf Plakat (Foto: Reuters)
Umstritten: Iraks Ministerpräsident MalikiBild: reuters

Als der Schiit Nuri al-Maliki 2006 Regierungschef wurde, hatte er noch eine überkonfessionelle Regierung angekündigt: "Die Ministerien und die Minister sind nicht Eigentum des Premiers - das heißt, er darf sie nicht entsprechend seiner Herkunft, seiner ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit ausnutzen."

Doch im Laufe der Jahre entwickelte sich Maliki immer mehr zum Autokraten. Formell gibt es zwar eine gemeinsame Regierung von Schiiten, Sunniten und Kurden. Die sunnitischen Vertreter wurden aber systematisch entmachtet. Kritiker werden von der Justiz verfolgt. Der sunnitische Vize-Regierungschef Tarik al-Hashemi musste fliehen, nachdem gegen ihn ein Haftbefehl wegen Terrorismus erlassen wurde.

Gewalt und Gegengewalt

Friedliche Proteste der Sunniten unterdrückt Maliki brutal. Im April 2013 ließ er die Ortschaft Hawidscha angreifen. Der Ort war ein Zentrum des friedlichen Widerstands der Sunniten. Mehr als 40 Menschen wurden getötet.

Anti-Regierungs-Demonstration in Falludscha (Foto: Reuters)
Friedlich: Anti-Regierungs-Demonstration in FalludschaBild: Reuters

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisiert das "drakonische" Vorgehen der Sicherheitsorgane: Verdächtige würden gefoltert, Geständnisse erzwungen, Verurteilungen erfolgten auf Basis geheimer Zeugenaussagen. Angebliche sunnitische Terroristen würden hingerichtet, ohne dass Namen oder Einzelheiten ihrer Taten bekanntgegeben werden.

Ob sunnitische Aufständische, schiitische Milizen oder die Sicherheitsorgane der Regierung: Im aktuellen Klima der Gewalt würden alle Seiten Menschenrechtsverletzungen begehen, sagt Joe Storck, Irak-Experte von Human Rights Watch. "Jeder rechtfertigt sich mit der Gewalt der anderen Seite." Deswegen müsse die Regierung vorangehen und die Spirale der Gewalt stoppen.

Düstere Perspektiven für den Irak

Dr. Guido Steinberg (Foto: DW/S. Amri)
Pessimistisch: Irak-Experte Guido SteinbergBild: DW/S. Amri

Guido Steinberg rechnet eher mit dem Gegenteil. Der Irak-Experte glaubt, dass die Regierung versuchen wird, die Probleme mit "den ortsüblichen Methoden, also mit brutaler Gewalt zu lösen. Von einer Befriedung des Irak ist deswegen für die nächsten Jahre nicht auszugehen."

Ministerpräsident Maliki und die ihn unterstützenden schiitischen Parteien seien nicht bereit, die Sunniten oder säkular orientierte Kräfte an der Macht zu beteiligen. Selbst die USA hätten nur wenige Möglichkeiten, auf Maliki einzuwirken. "Der amerikanische Einfluss ist in den vergangenen Jahren stark geschwunden, der iranische wesentlich stärker geworden", sagt Steinberg. "Wenn man Einfluss auf den Irak nehmen will, muss man wahrscheinlich den Weg über Teheran nehmen und das ist für westliche politische Akteure im Moment unmöglich."

Auch der 64-jährige Abu Samer ist pessimistisch. Er glaubt nicht an ein schnelles Ende der Gewalt zwischen den Religionsgruppen. Angesichts der beinahe täglichen Anschläge in seiner Heimatstadt Bagdad hat Samer Angst um seine Familie. Deswegen würde er seine Kinder am liebsten nach Übersee schicken, "weit weg von all dem was hier passiert". Doch auch das ist leichter gesagt als getan.