Termingeschäfte
19. August 2010Grünflächen und Wege umgeben das Gebäude, im Spiegelbild der Fassade ziehen Wolkenbilder vorüber – es ist ein typisches Bürogebäude unweit des Frankfurter Bankenviertels. Nach dem Empfang passiert der Besucher ein Drehkreuz, mit dem Aufzug geht es nach oben – in die "heiligen Hallen", wie Eugen Weinberg sagt. Will heißen: Nur Angestellte haben hier gewöhnlich Zutritt, Händler und Analysten; nur Eingeweihte dürfen dort hin, wo die Papiermilliarden per Mausklick rund um den Globus wandern.
Eine virtuelle Welt
Die heilige Halle der Commerzbank ist mit dickem Teppich ausgelegt – einer ganzen Menge Teppich. Denn der Handelssaal der Bank misst gut und gerne zwei Fußballfelder. Tausende Flachbildschirme sind auf den Tischen angebracht, meist vier bis sechs Stück in zwei Reihen übereinander. Kurse laufen hier ein, Kaufs- und Verkaufsangebote tippen die Händler in die Computer, sie handeln mit Aktien und mit Derivaten, mit Futures und Optionen, unter anderem also mit Dingen, die irgendwann keiner mehr so recht verstand, als es zur großen Finanzkrise kam. Optionen immerhin sind fast schon klassische Handelsverträge - Anrechte auf den Kauf bestimmter Dinge in der Zukunft. Die spielen bei den Rohstoffhändlern eine zentrale Rolle. Im Frankfurter Handelssaal der Commerzbank handeln nur fünf Mitarbeiter mit Rohstoffen. Auch das natürlich elektronisch.
Spiel mit der Zukunft
"Ausrufverfahren, wo per Handzeichen Verträge abgeschlossen werden, die gibt es zwar heute noch an bestimmten Börsen. Aber der überwiegende Teil des Handels läuft an den weltweiten Warenterminbörsen heutzutage elektronisch", sagt der Leiter der Rohstoff-Analyseabteilung der Commerzbank, Eugen Weinberg. Silber, Gold, Öl, Schweine, Kartoffeln und Weizen, Baumwolle, Stahl und Zink - diese und viele anderen Rohstoffe mehr wechseln an den Warenterminbörsen weltweit die Besitzer. Im Kern unterscheidet sich dieser Handel vom gewöhnlichen Börsenhandel dadurch, dass Waren zu bestimmten Terminen in der Zukunft gekauft und verkauft werden. Damit können Produzenten wie Bauern den Preis für ihre zukünftige Ernte frühzeitig absichern – zumindest theoretisch. Fällt der Preis bis zum Liefertermin, haben sie Glück gehabt. Steigt er aber, müssen sie ihre Ernte zum vorher vereinbarten niedrigeren Preis abgeben.
Spekulanten treiben Preise
Soweit die Theorie. Auf die Preise wirken aber nicht nur der Produzent und der Abnehmer ein, sondern auch Dritte – Anleger und Spekulanten nämlich, und das nicht zu knapp: Im Warenterminhandel kommt es bei 99 Prozent der Geschäfte zu keiner Lieferung irgendeiner Ware – die Positionen werden vorzeitig aufgelöst. Die Commerzbank sei am physischen Handel gar nicht beteiligt, sagt Weinberg. Am Ende findet also gar keine Lieferung statt, und das sei auch für die meisten Kunden akzeptabel. Firmenkunden wollen den Preis absichern, und die meisten anderen sind auch nicht an der physischen Ware interessiert. "Die Leute machen ihre Wetten auf die Entwicklung der Preise in der Zukunft - das nennt man Spekulation", sagt Weinberg.
Rohstoffe als Sicherheit
Eine Spekulation, die auch Anleger mittlerweile genauer ins Visier nehmen. Denn Experten raten heute dazu, im Portfolio auch Rohstoffe zu halten - denn die folgen anderen Preisentwicklungen als etwa der Aktienmarkt. Die virtuell gehandelten Rohstoffe, die Spekulanten und Anleger nie wirklich sehen, dienen also zu einem Großteil der Absicherung der eigenen Finanzanlagen. Und weil das mittlerweile viele Anleger tun, die Rohstoffe also stark nachgefragt sind, steigen mitunter auch die Preise für bestimmte Rohstoffe.
Chicago ist Spitze
Die Nachfrage scheint grenzenlos: Vor zehn Jahren flossen von Seiten der Anleger etwa 5 Milliarden Dollar in den Rohstoffmarkt, heute sind es rund 300 Milliarden, Tendenz weiter steigend. Den größten Umsatz verbucht dabei das Chicago Board of Trade, die weltweit älteste Terminbörse – sie wurde bereits 1848 gegründet und ist heute Teil der CME Group. Gehandelt wird dort zum Teil noch per Handzeichen auf dem Börsenparkett, wie in alten Zeiten. Das gibt es in der "heiligen Handelshalle" der Commerzbank nicht mehr: Es sei denn, Eugen Weinberg streift durch die Halle - und grüßt per Handzeichen seine Kollegen.
Autor: Mischa Ehrhardt
Redaktion: Henrik Böhme