Tauziehen um Atommülllager Asse
5. Oktober 2011Nach der Atomkatastrophe von Fukushima blickten viele Deutsche fassungslos auf den fahrlässigen Umgang Japans mit Atomkraftwerken. Doch auch in Deutschland wurde viele Jahre lang leichtsinnig mit gefährlichem Atommüll umgegangen, wie das Atommülllager Asse II zeigt. Es liegt knapp 20 Kilometer von Niedersachsens zweitgrößter Stadt Braunschweig entfernt. In dem früheren Salzbergwerk lagern rund 125.000 Behälter mit radioaktivem Müll. Die Behälter wurden zwischen 1967 und 1978 eingelagert - teils gestapelt, teils abgekippt. Was genau sich dort unten befindet, ist bis heute unklar. Klar ist hingegen: In der Asse sind dieses Jahr stark erhöhte Strahlenwerte gemessen worden.
1967 wurde die Asse als weltweit erstes unterirdisches Atommülllager in Betrieb genommen. Seit 1971 diente sie faktisch nicht mehr als Versuchsanlage, sondern als Endlager für radioaktive Abfälle. Weil dem ehemaligen Betreiber "Gesellschaft für Strahlenschutz" (GSF), der später im Helmholtz Zentrum München aufging, etliche Pannen in dem Lager passierten, wurde ihm zum Jahresbeginn 2009 die Verantwortung entzogen. Unter anderem misslang es der GFS, das Eindringen von Wasser zu verhindern. Täglich fließen rund 12.000 Liter Wasser in das Atomlager. Zudem ist die Schachtanlage einsturzgefährdet. Sie gilt daher heute als ungeeignet zur Lagerung von Atommüll.
Strahlenschützer kündigen erste Asse-Bohrungen an
Mittlerweile ist das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in Salzgitter zuständig für die Asse II. Die Behörde untersteht dem Bundesumweltministerium (BMU), das derzeit von Norbert Röttgen (CDU) geleitet wird. Das Amt in Salzgitter ist dafür verantwortlich, die Abfallfässer wieder aus der Grube zu holen und das marode Atommülllager sicher zu verschließen.
BfS-Präsident Wolfram König teilte am Mittwoch (05.10.2011) in Remlingen mit, seine Behörde werde bald erste Schritte unternehmen, um den Atommüll aus dem maroden Lager zurückzuholen. Zur Vorbereitung sollten möglichst noch in diesem Jahr zwei Lagerkammern in 750 Metern Tiefe angebohrt werden, kündigte König an. Er hoffe, dass dann alle Genehmigungen vorlägen. Dann müsse geprüft werden, in welchem Zustand die Fässer mit dem radioaktiven Abfall seien und wie die Rückholung bewerkstelligt werden könne. Wann damit begonnen werden soll, die Abfallbehälter an die Oberfläche zu holen, sei allerdings noch unklar.
Umweltministerium: Keine Entscheidung über Stilllegung
Doch Königs Pläne scheinen aus dem Röttgen-Ministerium torpediert zu werden, wie gleichfalls am Mittwoch bekannt wurde. Nach Einschätzung des Ministeriums sei die Bergung der radioaktiven Abfälle aus dem maroden Atommülllager keine ausgemachte Sache, berichtete die Nachrichtenagentur dapd unter Berufung auf einen ihr vorliegenden Sachstandsbericht des Ministeriums an Bundestagsabgeordnete. Es gebe demnach "noch offene Punkte, die die Realisierbarkeit schwieriger als geplant gestalten und sogar infrage stellen könnten", heiße es in dem Bericht. Und weiter: "Aufgrund dieser nicht unerheblichen Unsicherheit hat sich das BMU dazu entschlossen, zurzeit keine endgültige Entscheidung für die Stilllegung der Schachtanlage Asse II zu treffen."
Im BfS herrschte angesichts dieser Meldung am Mittwoch Ratlosigkeit. Von dem Bericht des Bundesumweltministeriums hatte die Behörde nach Angaben eines Sprechers noch keine Kenntnis. "Dieser Text liegt uns bisher nicht vor", sagte er.
Uninformierter Untersuchungsausschuss
Informationslücken offenbarte unlängst auch der Asse-Untersuchungsausschuss des niedersächsischen Landtags. Er hat offensichtlich Probleme, sich ein Bild darüber zu verschaffen, was genau in dem einstigen Bergwerk an gefährlichen Materialien versenkt wurde. So forderten die Grünen in dem Ausschuss schon vor mehreren Wochen Einsicht in Akten des Bundeskanzleramtes, des vormaligen Kernforschungszentrums Karlsruhe sowie der Euratom. Grund dieses Anliegens: Die "Süddeutsche Zeitung" hatte frühere Äußerungen eines inzwischen verstorbenen stellvertretenden Asse-Betriebsleiters wiedergegeben, wonach 1967 in dem Bergwerk "als erstes radioaktive Abfälle aus dem letzten Krieg versenkt" worden seien. Es habe sich dabei um Uranabfälle gehandelt, "die bei der Vorbereitung der deutschen Atombombe anfielen". Was an dieser Darstellung wahr ist, wird sich wohl erst zeigen, wenn alle Fässer aus der Asse II wieder ans Tageslicht geholt worden sind.
Autor: Martin Schrader (dapd, dpa, rtr)
Redaktion: Pia Gram