Tadschikistan: Kaum Spracherwerb für Minderheiten
22. Juni 2006Zwei Schularten existieren in Tadschikistan: tadschikische Schulen, an denen nur tadschikisch unterrichtet wird und nicht-tadschikische Schulen, an denen in der Sprache der ethnischen Minderheiten (Usbeken, Russen) gelehrt wird. Das Erlernen der tadschikischen Sprache in nicht-tadschikischen Schulen fällt schwer: Nach Angaben der öffentlichen Stiftung "Panorama" und der tadschikischen Filiale des Institutes "Offene Gesellschaft" beherrschen nur 12 Prozent der russischen Schüler die tadschikische Sprache, unter den usbekischen Schülern sind es 30 Prozent.
Lernen mit veralteten Büchern aus der Sowjet-Zeit
Mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen, die in den nicht-tadschikischen Schulen lernen, beherrschen die offizielle Staatssprache nicht. Das Problem liegt in erster Linie daran, dass die Lehrbücher der tadschikischen Sprache für nicht-tadschikische Schulen keine gute Qualität besitzen. Die Vorsitzende der öffentlichen Stiftung "Panorama", Tatjana Borzikowa, sagte im Interview mit der Deutschen Welle: "Umfragen zufolge nimmt unter den Faktoren, die das Erlernen der tadschikischen Sprache begünstigen, nicht der Schulunterricht die erste Stelle ein, sondern der Umgang mit Freunden und Bekannten. Das sagen zwei Drittel der Befragten aus. 78 Prozenten der Schüler nennen als Hauptgrund für den fehlenden tadschikischen Sprachunterricht den Lehrbuchmangel. Jeder sechsten nicht-tadschikischen Schule fehlen Lehrbücher der tadschikischen Sprache.
Die tadschikische Sprache ist 1989 offizielle Staatssprache geworden. Seitdem strebt die Regierung danach, in jedem politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext die nationale Sprache zu verwenden. In den vergangenen sechzehn Jahren wurden jedoch keine Lehrbücher der tadschikischen Sprache für ethnische Minderheiten herausgegeben. Bis zum heutigen Tage lernen die Kinder in den nicht-tadschikische Schulen aus veralteten Büchern der Sowjetunionzeit. Guldschambol Nabiewa arbeitet in der "Abteilung für die Entwicklung und Publikation von Lehrwerken" im tadschikischen Kultusministerium. Ihrer Meinung nach interessieren sich Wissenschaftler nicht dafür, Lehrwerke zu verfassen, weil dafür nur zwischen 35 und 40 Dollar an Honorar gezahlt wurden.
Staatliche Sprachprogramme gefordert
Inzwischen habe sich allerdings die Situation verbessert, sagt Guldschambol Nabiewa: "In diesem Jahr sind die Honorare gestiegen und erreichen bis zu 1.000 Dollar. Zurzeit sind neue Lehrbücher für die Klassen zwei, drei und vier im Druck. Man kann also behaupten, dass das Problem des tadschikischen Spracherwerbs in der Grundschule gelöst ist". Nabiewa zufolge verfassen momentan die Wissenschaftler Lehrbücher für die Sekundarstufe I. Das größte Problem bleibt aber die Entwicklung der Exemplare für die Sekundarstufe II, weil zur Zeit der Sowjetunion das Erlernen der tadschikischen Sprache in der achten Klasse endete, nun jedoch die Schüler bis zu elften Klasse lernen. Zusätzliche Probleme bereitet laut Frau Nabiewa, dass es im Unterricht an guter Methodik fehle und das Ausbildungsniveau der Lehrer unbefriedigend sei. Ihrer Meinung nach müsste es die Aufgabe des Staates sein, die Voraussetzungen für das Erlernen der nationalen Sprache im Land zu garantieren. Tatjana Borzikowa von der Stiftung "Panorama" stimmt dem zu: "Der Staat muss ein Programm zum tadschikischen Spracherwerb auf allen Bildungsebenen entwickeln und es mit Geldern aus dem Staatshaushalt finanzieren", so ihre Forderung.
Nigora Buchari-sade, Duschanbe
DW-RADIO/Russisch, 13.6.2006, Fokus Ost-Südost