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Politik

Kein Schluck Tee für Mehmet Simsek

Daniel Heinrich
30. November 2016

Putschversuch, Terror, taumelnde Wirtschaft: Ausführlich wollte der stellvertretende türkische Ministerpräsident Fragen ausländischer Journalisten beantworten. Aus einem Dialog wurde nichts. Daniel Heinrich aus Istanbul.

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Mehmet Simsek
Mehmet Simsek (Archivbild)Bild: picture-alliance/AA/S. Corum

Schon ist er da. Mehmet Simsek, der stellvertretende Ministerpräsident der Türkei: Simsek, mittelgroß, drahtige Figur, Halbglatze, scheint förmlich durch den Konferenzraum des Istanbuler Luxushotels zu federn. Der 49-Jährige lächelt, schüttelt jedem der Anwesenden die Hand und lässt sich dann am Kopf des Konferenztisches in seinen Stuhl fallen.

Simsek ist ein charismatischer Typ. Sein Vorteil ist: Er weiß das. Und er weiß auch, wie er am besten mit Journalisten umzugehen hat. Simsek taxiert die rund ein Dutzend ausländischen Journalisten im Raum, er gibt sich jovial, entspannt und lässt sich erst einmal einen Tee bringen. Dann die Frage: "Was wollen Sie wissen?" 

Die AKP als stabilisierende Kraft

Während draußen der Regen gegen die Fensterscheiben prasselt, prasseln drinnen die Worte Mehmet Simseks auf die Journalisten nieder. Simsek holt weit aus, er blickt zurück auf die Ursprünge der "Terroristen" der Gülen-Bewegung, die von der Regierung für den Putschversuch Mitte Juli verantwortlich gemacht werden, und die einst zu den stärksten Verbündeten der Regierungspartei AKP gehörten.

Türkei Logo Partei AKP
Inzwischen Staatspartei: Fahnen der AKP in Istanbul Bild: Getty Images/AFP/M. Ozer

Er spricht über die Gezi-Proteste im Jahr 2013, vom Verbotsverfahren gegen die AKP im Frühjahr 2008. Er betont seine eigenen kurdischen Wurzeln und kritisiert im gleichen Atemzug die pro-kurdische HDP scharf, sich nicht genügend von der Terrororganisation PKK distanziert zu haben: "Die HDP-Parlamentarier bekommen ihre Mitarbeiter von der PKK zugewiesen." 

Was als "kurzes" Eingangsstatement zu einer Fragerunde angekündigt war, entwickelt sich zu einem langen, wilden Ritt durch die turbulente, jüngere türkische Geschichte. Die regierende AKP und Präsident Recep Tayyip Erdogan sind bei Simsek als Wohlstandsbringer und Stabilitätsanker fest verankert.

Frustriert von Europa

Der stellvertretende Regierungschef hat keine Notizen vor sich, er stockt kein einziges Mal, nicht einmal Zeit für einen Schluck Tee hat er. Insgesamt spricht er fast eine Stunde, bis er auf Nachfragen eingeht. Allerdings ändern auch die wenigen Fragen nicht viel am Setting: Journalisten, so scheint es, sind an diesem Nachmittag zum Zuhören eingeladen worden, nicht um Fragen zu stellen.

Der Ton bleibt jovial, die Aussagen unmissverständlich: Die jüngsten Ausfälle des türkischen Präsidenten gegenüber der EU nimmt er in Schutz. Dieser sei "frustriert" von der Haltung Europas bei den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Die mangelnde Solidarität mit der türkischen Regierung nach dem Putschversuch und die innenpolitischen Spannungen im Kurdenkonflikt in Kombination mit der Terrorgefahr hätten das Fass in Ankara zum Überlaufen gebracht.

Türkei - Pro-Erdogan Demos in der Türkei
Unterstützung für die Regierung nach dem Putschversuch im August in AnkaraBild: DW/D. Cupolo

Die Wirtschaft strauchelt? "Wenn Sie sich die derzeitigen Begleitumstände ansehen, steht die Türkei noch gut da." Einführung der Todesstrafe? "Steht nicht zu Debatte." Foltervorwürfe in türkischen Gefängnissen,  wie von Amnesty International erhoben? Leider gäbe es von Opferseite niemanden, der sich dazu konkret äußern würde. Und überhaupt: Folter würde selbstverständlich abgelehnt, für alles andere gäbe es Gerichtsverfahren.

Am Ende reißt die Fassade

Simsek ist geschickt darin, die Türkei in der Opferrolle darzustellen. Einerseits kritisiert er die europäische Seite für mangelnde Empathie und wenig Interesse für die Türkei nach dem Putschversuch. Andererseits weicht er auch kritischen Nachfragen zur Innenpolitik aus.

Fast ganz bis zum Schluss gelingt es ihm, das Bild einer perfekten AKP-Welt aufrechtzuerhalten. Ganz am Schluss aber gerät es doch ins Wanken. Der Grund ist er selbst: In der vergangenen Woche sei er fast "gelyncht" worden, erzählt der 49-Jährige gegen Ende des Treffens. Wohl wahr: Nach einem Tweet, in dem Simsek dazu aufgerufen hatte, die Verbindungen zur EU nicht vollständig zu kappen, und in dem er die EU gar als Erfolgsgeschichte bezeichnet hatte, war in den Sozialen Medien ein regelrechter Shitstorm über ihn eingebrochen.

Obwohl er aufgrund des Tweets auch in seiner eigenen Partei gehörig unter Beschuss steht, will sich Mehmet Simsek die positive Haltung zum Westen, zu Europa nicht nehmen lassen. Vor allem aber will er sich an diesem Nachmittag die Show nicht vermiesen lassen. Auch wenn er da draußen unter Beschuss steht. Hier drinnen, am Ende des Konferenztisches in einem Raum mit deutschen Journalisten, weiß Mehmet Simsek ganz genau, dass er mit einer pro-europäischen Haltung nur punkten kann. Egal, ob dabei Zeit zum Tee trinken bleibt oder nicht.