Südkorea bleibt auf Kurs
6. März 2019Unmittelbar nach dem vorzeitig beendeten USA-Nordkorea-Gipfel in Hanoi vergangene Woche waren sich die meisten Experten einig: Der größte Verlierer der gescheiterten Gespräche sitzt im Seouler Präsidentenamt. "Es ist Südkoreas Präsident Moon Jae In, der den schwersten Rückschlag erlitten hat, weil er offensichtlich stark auf die Möglichkeit von Lockerungen der Sanktionen gesetzt hat", analysiert Nordkorea-Experte Andrei Lankov im Fachmedium NK News.
Ein Blick auf die sinkenden Beliebtheitswerte Moons bestätigt die Einschätzung. Sie lagen zur Zeit von Moons erstem Gipfel mit Kim Jong Un im vergangenen April noch bei knapp 80 Prozent. Längst sind sie auf unter 50 Prozent eingebrochen - ein Trend, der sich durch den misslungenen Gipfel in Hanoi verstärken dürfte. Doch nicht nur innenpolitisch steht Südkoreas Staatsoberhaupt unter Druck. Auch in Washington ist seine Position angekratzt: Schließlich war es der 66-Jährige, der am stärksten den Abrüstungswillen von Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un betont hatte.
Seoul ergreift die Initiative
Moon lässt sich aber nichts anmerken: Am Dienstag gab er in einer öffentlichen Rede eine deutliche Stoßrichtung vor: Halte man nur fest entschlossen am Friedenskurs fest, werde "die De-Nuklearisierung der koreanischen Halbinsel definitiv kommen", proklamierte er selbstbewusst. In Gesprächen mit Regierungsbeamten ist zwar derzeit eine tiefe Enttäuschung zu erkennen, doch nach außen hin gibt sich Seoul demonstrativ optimistisch.
Vor allem wird die Regierung nicht müde zu betonen, dass sie nun mehr denn je das Schicksal der koreanischen Halbinsel in die eigene Hand nehmen müsse. Die Anstrengungen dafür laufen auf Hochtouren. Außenministerin Kang Kyung Hwa hat sich bereits für diplomatische Gespräche zwischen den zwei koreanischen Staaten und den USA ausgesprochen, sowohl auf Regierungs- wie auf Expertenebene. Am Dienstag reiste Südkoreas Sondergesandter für Nuklearfragen, Lee Do Hoon, nach Washington, um sich von seinem Amtskollegen Stephen Biegun über den Stand der Verhandlungen informieren zu lassen.
Südkorea sieht sich als Brückenbauer zwischen Nordkorea und den USA. Dem Land kommt eine Vermittlerrolle zu, um Vertrauen zwischen den beiden sich seit Jahrzehnten misstrauisch gegenüberstehenden Verhandlungspartnern aufzubauen. So hatte Südkoreas Präsident Moon schon einmal in einer kritischen Situation der Annäherung zwischen Washington und Pjöngjang neuen Schwung gegeben: Als Trump im vergangenen Mai sein erstes Treffen mit Kim in Singapur abzusagen drohte, traf sich Moon in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit Kim in der entmilitarisierten Zone, wodurch die Verhandlungen wieder in Gang gebracht wurden.
Wann kommt Kim in den Süden?
Dieses Jahr nun steht der erste Südkorea-Besuch eines nordkoreanischen Machthabers an. Dass dieser schon bald stattfinden wird, erscheint allerdings zweifelhaft. Eigentlich war erwartet worden, dass im Falle eines erfolgreichen Gipfels in Hanoi beide Staatsoberhäupter zusammenkommen würden, um den Start gemeinsamer Wirtschaftsprojekte zu verkünden. Nun jedoch stünde ein Seoul-Besuch von Kim Jong Un unter einem ganz anderen Vorzeichen: Er würde vor allem als Fingerzeig an die USA gerichtet sein, dass man die innerkoreanische Annäherung in jedem Falle fortzusetzen gedenke - unabhängig von den Abrüstungsverhandlungen der Amerikaner.
Südkoreas Vereinigungsminister Cho Myoung Gyon hat vorgeschlagen, mit Washington über einen Neustart der innerkoreanischen Wirtschaftsprojekte zu sprechen, ungeachtet des in Hanoi nicht erreichten Deals. Dabei handelt es sich um eine Hotelanlage im nordkoreanischen Diamant-Gebirge, das sich exklusiv an südkoreanische Touristen richtet. Ebenfalls möchten beide Koreas die Sonderwirtschaftszone entlang der Grenzstadt Kaesong wiedereröffnen, wo bis zur Schließung im Jahr 2016 südkoreanische Fabrikbesitzer mithilfe von nordkoreanischen Arbeitskräften ihre Waren produzierten. Kritiker behaupten, dass das Regime in Pjöngjang mit den eingenommenen Devisen sein Nuklearprogramm maßgeblich vorangetrieben habe. Südkoreas Regierung sagt jedoch: Wirtschaftskooperationen würden den Dialog mit Nordkorea stabilisieren und zu einer Öffnung des Landes beitragen.
"Kompromiss wird kommen"
Trotz aller Enttäuschung in Seoul ist der Gipfel in Hanoi jedoch kein Grund für übertriebenen Pessimismus. So gab die Ratingagentur Moody's in einer Stellungnahme an Investoren am Montag bekannt, es sei nicht damit zu rechnen, dass die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel nach dem geplatzten Deal in Hanoi zunehmen würden.
Rüdiger Frank, Leiter des Instituts für Ostasienwissenschaften an der Universität Wien, sieht die diplomatischen Beziehungen zwischen Washington und Pjöngjang sogar ganz im Gegenteil gereift: "In Singapur haben sich Kim und Trump gegenseitig kennengelernt. In Hanoi haben sie nun ihre maximalen Forderungen und minimalen Zugeständnisse präsentiert", schreibt der deutsche Nordkorea-Experte im Fachmedium 38 North. Das sei eine typische Verhandlungspraxis, auch wenn diese sich für gewöhnlich hinter verschlossenen Türen abspiele und nicht zwischen den Staatschefs vor Hunderten Kameras. Der nächste logische Schritt wäre dann: Bei einem dritten Gipfeltreffen finden Trump und Kim zum Kompromiss, oder nähern sich einem solchen zumindest an.