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Vergangenheitsbewältigung

Bettina Ambach10. April 2007

Südafrika hat bei der Vergangenheitsbewältigung einen einmaligen Weg beschritten. Während die Welt die Wahrheits- und Versöhnungskommission bis heute bewundert, hört man in Südafrika selbst immer mehr kritische Stimmen.

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In den Townships sind die Folgen der Apartheid in Form von Armut und schlechter Bildung bis heute zu spüren (Quelle: dpa)
In den Townships sind die Folgen der Apartheid bis heute besonders zu spürenBild: picture-alliance /dpa

"Ich habe keine Ahnung, was Versöhnung bedeutet. Ich brauche einen Lehrer", sagt Joyce Mtimkulu, Mutter des zu Tode gefolterten Anti-Apartheid-Aktivisten Siphiwo. 1996 saß Joyce dem Täter gegenüber; zuerst in der Wahrheitskommission und später sogar in ihrer Wohnung. Gideon Johannes Niewoudt, ehemaliges Mitglied der Apartheid-Sicherheitskräfte, hatte alles gestanden: wie er ihren Sohn auf einer entlegenen Farm verhört, wie er ihn erschossen und dann sechs Stunden lang auf einem Scheiterhaufen verbrannt hatte.

Eine Blumenvase für den Täter

Weil Niewoudt ein Geständnis abgelegt hatte und beweisen konnte, dass er aus politischen Beweggründen gehandelt hatte, wurde er begnadigt und war ein freier Mann. Als er bei Joyce Mtimkulu zu Hause in ihrem Wohnzimmer saß, um die Familie um Vergebung zu bitten, warf ihm der 15-jährige Enkel eine Blumenvase an den Kopf. Blutüberströmt verließ der weiße Mann das bescheidene Haus von Joyce.

Durch Wahrheit versöhnen - so lautete das Prinzip der südafrikanischen Wahrheitskommission: "Wenn wir die Wahrheit kennen, können wir anfangen, die Vergangenheit hinter uns zu lassen, und mit Hoffnung in eine friedliche Zukunft zu gehen", hieß es in den Grundsatzpapieren. Unter dem Vorsitz von Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu versuchte die Kommission, die Gräueltaten des Apartheid-Regimes aufzuarbeiten und die politisch motivierten Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen.

Weltweit einmalige Gruppentherapie

Desmond Tutu auf der Wiederversöhnungsfeier 2005 (Quelle: AP)
Desmond Tutu auf der Wiederversöhnungsfeier 2005Bild: AP

Von 1996 bis 1998 wurden die Leidensgeschichten von 20.000 Opfern zusammengetragen. Ohne Zweifel - Südafrika schlug bei der schwierigen Vergangenheitsbewältigung einen eigenwilligen und einmaligen Weg ein: keine Generalamnestie, keine Siegerjustiz, aber dafür eine Kommission, die Aspekte einer Gruppentherapie, einer Messe und einer Gerichtsverhandlung vereinte.

Der Erfolg der Wahrheitskommission wird zumindest in Südafrika immer stärker bezweifelt. So ist es der 40-jährigen Carol Basona ziemlich egal, ob die Täter von einst nun um Vergebung bitten oder nicht. Basona hatte während der Apartheid in ihrem Township Philippi bei Kapstadt Aktionen des zivilen Ungehorsams mitorganisiert. Bei einem Polizeieinsatz wurde sie in den 1980er Jahren durch eine Schusswunde schwer verletzt. Ihre Kinder mussten die Schule verlassen, um Geld zu verdienen. "Es wäre für mich eine Art der Versöhnung, wenn meine Kinder heute in eine gute Schule gehen und eine gute Ausbildung bekommen könnten. Ich hoffe, dass mir die Regierung dabei hilft", sagt Basona.

Amnestieklausel war "nicht optimal"

Solange die durch die Apartheid verursachte Armut der Schwarzen nicht wirksam bekämpft werde, könne man auch nicht von Versöhnung reden, meint Carol Basona. Eine finanzielle Entschädigung hat sie nie bekommen. Als die Wahrheitskommission ihre Arbeit beendet hatte, entschied die Regierung, dass nur die 20.000 Apartheidopfer, die vor der Kommission ausgesagt hatten, eine einmalige Entschädigungszahlung von ungefähr 3000 Euro bekommen sollten. Für viele war das ein Schlag ins Gesicht. Besonders wenn sie sahen, wie die Mörder von damals - von der Kommission begnadigt - ein ruhiges, komfortables Rentnerdasein an der touristischen Westküste des Landes führten.

Die Kritik an der Amnestieklausel wird immer lauter: "Die Amnestieklausel war eine schwer zu verdauende Pille. Sie war Teil eines politischen Kompromisses, nicht eines optimalen Versöhnungsprozesses", betont Hugo Van der Merve vom Kapstädter Zentrum für das Studium von Gewalt und Versöhnung (Center of the Study of Violence and Reconciliation). Er erinnert daran, dass es sich bei der Machtübergabe 1994 nicht um einen militärischen Sieg der Befreiungsbewegung gehandelt hat, sondern dass sie auf einer Verhandlungslösung beruhte. Es war klar, dass sich die ehemaligen politischen Machthaber somit nicht auf die Anklagebank irgendeines Gerichtes setzen würden.

Schweigen und Straffreiheit der politisch Verantwortlichen - Südafrika zahlte einen hohen Preis für einen relativ friedlichen Machtwechsel. Das Verlangen nach Gerechtigkeit ist für viele in Südafrika nicht gestillt worden - und es sieht ganz so aus, als ob auch heute noch der politische Wille dazu fehlte.

Den Opfern eine Stimme geben

Die Errungenschaften der Wahrheitskommission liegen denn auch auf einem anderen Gebiet: Sie hat den Opfern eine Stimme gegeben. Die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen war zwar eine sehr schmerzvolle Erfahrung, aber sie hatte eine heilende Wirkung. Und auch die weißen Täter, die vor der Wahrheitskommission aussagten und zum allergrößten Teil begnadigt wurden, kamen nicht ganz ungeschoren davon.

"Die eigentlichen Täter sind heute alle gebrochene Menschen, von ihrer Nachbarschaft geächtet, oft geschieden", sagt Paul Haupt. Der südafrikanische Psychologe hat vier Jahre lang über die Motive der weißen Täter geforscht. Die meisten gehörten den Sicherheitskräften des Apartheid-Regimes an. "In der Wahrheitskommission musste der Täter in das Gesicht der Mutter der von ihm ermordeten Person schauen. Und plötzlich erschien der Ermordete nicht mehr als Staatsfeind, sondern als ein Südafrikaner, der eine Mutter, einen Bruder, eine Schwester hatte. Der Täter sah die Menschlichkeit seines Opfers, das er gefoltert, verstümmelt und ermordet hatte."