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Ruth Weiss: "Erbe der Apartheid ist noch da"

Sabine Peschel
27. April 2019

Vor 25 Jahren war die Geburtsstunde der "Regenbogennation Südafrika". Im Gespräch mit der DW erinnert sich Ruth Weiss an ihre Zeit als jüdischer Flüchtling und als Journalistin im Kampf gegen die Apartheid.

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Ruth Weiss neben einem Wagen mit Koffern
Bild: Archiv der BAB/Peter Duminy

Deutsche Welle: Frau Weiss, wie wurden Sie und wie wurden Juden generell in Südafrika aufgenommen?

Ruth Weiss: Zwischen 1933 und '36 kamen 6000 Emigranten aus Deutschland nach Südafrika. Für die ersten Ankömmlinge wie meinen Vater, der schon 1933 ausgewandert war, war diese Emigration verhältnismäßig einfach. Aber es war die Zeit, in der die spätere Regierungspartei, die Nationale Partei, schon eine sehr starke Opposition war. Der spätere Premierminister Hendrik Verwoerd war damals noch Professor an einer Universität. Zusammen mit anderen Professoren hat er einen Brief an die Regierung geschrieben, dass die Emigration von Juden aus Deutschland sofort gestoppt werden sollte. 1936 geschah das dann tatsächlich. Das war auch der Grund, warum wir 1936 ausgewandert sind.

Das letzte Schiff, das im September '36 nach Südafrika kam, war die "Stuttgart". Die Passagiere waren Emigranten, die in letzter Minute das Glück hatten, noch auf dieses Schiff in Richtung Kapstadt zu kommen. Eine rechtsextreme Bewegung, die sogenannte Hemden-Bewegung - die trugen keine braunen, aber graue Hemden - hatten eine sehr große Demonstration gegen die "Stuttgart" geplant. Sie wollten, dass die Passagiere durch ein Spalier von diesen Jugendlichen marschieren müssten, wenn sie von Bord gingen, und dass sie mit dem Hitlergruß und mit Parolen wie "Juden raus" begrüßt würden. Die Passagiere hatten das Glück, dass am Tag ihrer Ankunft ein starker Sturm herrschte. Es regnete und regnete. Die Demonstration war zu einer kleinen Gruppe geschmolzen, die durch diesen Sturm gar nicht in den Innenhafen kam. Aber die Demo war da, und die ganze Diskussion war da.

Im Land selber war die Ankunft dieses Schiffes mit verschiedenen Gefühlen erwartet worden. Was würde diese rechte Stimmung für die mehr als hunderttausend Juden in Südafrika bedeuten? Sie waren damals eine große Gemeinde.

Die Apartheid-Gesetze wurden offiziell erst 1948 verabschiedet, doch schon vorher war die Rassentrennung Realität. Wie haben Sie das als Jugendliche erlebt?

Wir haben das sofort gemerkt und sofort abgelehnt. Meine Schwester und ich sind in einer Schule in einem sogenannten "Poor White"-Vorort von Johannesburg eingeschult worden. Das bedeutete, dass die Eltern sehr vieler unserer Mitschüler als nicht qualifizierte Arbeiter in Goldgruben arbeiteten. Die krasse Einstellung den dunkelhäutigen Afrikanern gegenüber, die in diesen armen Häusern angestellt waren, hat uns sofort gezeigt, dass man diesen Männer und Frauen nicht den Respekt erwies, den man Angestellten im eigenen Haus eigentlich zeigen müsste.Frauen wurden niemals als Frau, sondern immer als Mädchen angesprochen, ein afrikanischer Mann blieb sein ganzes Leben lang ein Boy. In den Metzgerläden gab es Abteilungen für Boys und Girls, es gab ein eigenes Geschirr für die Angestellten, man lehnte es ab, diese Menschen in den Haushalt zu integrieren. Die Herrschaft wusste zum größten Teil gar nicht, wie diese Angestellten wirklich hießen, man nannte sie Jenny oder John. Eine ähnliche Ablehnung und Demütigung hatten wir als Juden in Deutschland auch erfahren.

Südafrika Apartheid Schild White Area
Apartheid in Südafrika: Die Trennung nach Hautfarbe beherrschte alle LebensbereicheBild: AP

In meiner Klasse hatte ich eine Freundin, die als weiß galt, aber, wie ich erst später begriff, eine sogenannte "Coloured" war. Die verließ die Schule, nachdem ich sie einmal unangekündigt zu Hause besucht und gesehen hatte, dass die Großmutter dunkelhäutig war.

Sie hätten als Weiße in Südafrika oder auch in Rhodesien große Privilegien genießen können. Trotzdem haben Sie gegen die Apartheid angeschrieben, und Sie sind für die Gleichberechtigung der Menschen, unabhängig von Hautfarbe oder Religion, eingetreten. Wodurch begann Ihr Engagement?

Durch die Nazizeit. Wir haben die gesellschaftliche Ordnung in Südafrika als ein Unrechtssystem empfunden. Wir waren von dem einen in ein anderes gekommen.

Sie haben sie alle getroffen, die herausragenden Kämpfer für die Freiheit in Südafrika, Künstler und Musiker wie die Sängerin Miriam Makeba. Mit der späteren Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer waren Sie befreundet, sie hat ein Nachwort zu Ihrer Biografie geschrieben. Wann sind Sie Nelson Mandela zum ersten Mal begegnet?

Nelson Mandela 2005 in Johannesburg.
Nelson Mandela 2005 in Johannesburg Bild: picture-alliance/dpa/EPA/K. Ludbrook

1962, als er aus der illegalen Emigration zurückkam. Er war illegal über die Grenze gegangen, um sich mit den jungen Führern der Befreiungsbewegungen zur Kolonialzeit zu treffen. Die Polizei suchte ihn, und er war untergetaucht. Nach dieser illegalen Reise ohne Pass kam er zurück und hat dann auf der kleinen Farm "Liliesleaf" als angeblicher Gärtner gelebt. Die Farm "Liliesleaf" in Rivonia, einem Vorort von Johannesburg, war das Hauptquartier des African National Congress und der Kommunistischen Partei, die im Untergrund gegen das System gekämpft haben. Mandela lebte also auf dieser Farm, aber er tauchte immer wieder auf. An einem Abend, als ich bei weißen Aktivisten zu Gast war, wurde ich von der Gastgeberin in die Küche gebeten - und da war dann Mandela. Es war meine erste Begegnung.

Und wie war die letzte Begegnung mit ihm?

Das war bei einer Gartenparty in Johannesburg, kurz bevor er Präsident wurde. Aber die interessanteste Begegnung war, als sie Mandela nachträglich den Doktorhut überreichten, für die Ehrendoktorwürde, die er während seiner Haftzeit von der Universität in Simbabwe verliehen bekommen hatte. Er saß auf dem Podium, und wie das bei diesen Zeremonien immer ist - die wunderschöne Kleidung der Professoren und Dozenten, die Reden, die gehalten werden - ich merkte jedenfalls, dass Mandela das Interesse an diesem Vorgang verloren hatte und sich mit diesem imposanten Stuhl, auf dem er saß, irgendwohin bewegte. Sein Blick richtete sich auf eine Gruppe von Kindern, die angekommen war. Er wollte diesen Kindern unbedingt sagen: Wie schön, dass ihr da seid! Das war eine menschliche Geste, die mich sehr bewegt hat.

Die jüdische Autorin Ruth Weiss, Journalistin in Südafrika
Die Journalistin bei der ArbeitBild: Archiv der BAB/BPA

Wann waren Sie das letzte Mal in Südafrika?

Ich war das letzte Mal 2011 dort, für den Weltfriedensdienst, der sich für den Ausgang eines Projektes interessierte, bei dem es um Versöhnung gegangen war. Das war ein geheimes Projekt der frühen Neunzigerjahre, das weiße und schwarze Südafrikaner zusammenführte. Der Impuls kam von einem Buren, dem Präsident der liberalen Partei, der aus der liberalen Partei und aus dem Parlament ausgetreten war. Er hatte Kontakt mit dem ANC aufgenommen und zum ersten Mal eine große Delegation Buren nach Westafrika geführt, um sich dort mit einer Delegation des ANC zu treffen.

Anschließend kamen sie nach Simbabwe und wollten das dort weiterführen. Robert Mugabe, der damalige Präsident von Simbabwe, sagte, er sei Präsident eines Frontstaates und er habe den Boykott gegen Südafrika unterschrieben. Aber wenn zufällig irgendwelche Ausländer die Initiative ergreifen wollten… Zu diesen Ausländern gehörte ein Deutscher, der Leiter des Deutschen Entwicklungsdienstes. Der hat dann mit ein paar Leuten, die er selber ausgesucht hatte, ein Projekt ins Leben gerufen und bis zum Ende der Apartheid, über drei Jahre hinweg bis 1992, vorangetrieben. Diese Initiative, die Apartheid friedlich zu beenden, war eines von verschiedenen Projekten. Es bedeutete, dass einige Stolpersteine aus dem Weg geräumt wurden für die Gespräche, die offiziell 1990 anfingen.

Wie denken Sie über das heutige Südafrika?

Jeder weiß von der Korruption, die sich innerhalb des African National Congress entwickelt hat. Etwas, was ich leider auch vorher in Simbabwe, wo ich die Unabhängigkeit des Landes über Jahrzehnte begleitet habe, ebenso feststellen musste.

Südafrika Protest gegen Korruption ARCHIV
Protest gegen Korruption in Südafrika 2017Bild: Getty Images/AFP/G. Guercia

Wie erklären Sie sich das?

Das Erbe des Kolonialismus und der Apartheid ist noch da. Man kann nicht erwarten, dass schon alles aus dem Weg geräumt wäre. Man kann nur sagen, dass die Unabhängigkeit etwas beendet hat. Ich möchte nicht von einer Revolution sprechen, aber es handelt sich um einen revolutionären Prozess, und eine Revolution ist nie abgeschlossen. Ich möchte nicht über Kapitalismus sprechen, aber das Phänomen der Elite, die sich bereichert und sich nicht um die Bevölkerung kümmert, ist Teil unserer Welt. Die Änderung muss von zukünftigen Generationen kommen.

Die 1924 in Fürth geborene Journalistin und Schriftstellerin emigrierte 1936 mit ihrer Familie nach Johannesburg. Dort schrieb sie ab 1954 gegen die Apartheid an und machte sich so zu einer Feindin des Regimes. Ruth Weiss lebte nach ihrem Rauswurf aus Südafrika 1966 einige Zeit im damaligen Südrhodesien, wo sie die Unabhängigkeit Simbabwes begleitete. 2002 zog sie nach Deutschland. Heute lebt sie in der Nähe ihres Sohnes in Dänemark.

Das Gespräch führte Sabine Peschel.