Oft regelrecht versklavt: Arbeiter aus Osteuropa
27. Oktober 2012Die Hoffnung auf viel Geld und große Versprechungen lockt Arbeitskräfte aus Rumänien oder Bulgarien, Polen oder Litauen nach Deutschland - doch oft erwartet sie hier ein ganz anderes Schicksal: Knochenarbeit unter menschenunwürdigen Bedingungen, die nur schlecht, mitunter gar nicht bezahlt wird. Sie landen vor allem im Baugewerbe, der Gastronomie und Hotelbranche, in Transport- und Reinigungsunternehmen, erklärt Dominique John, Leiter des Projekts "Faire Mobilität" des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) im Gespräch mit der Deutschen Welle. Der DGB hat in einigen Großstädten Beratungsstellen eingerichtet, in denen Betroffene Unterstützung finden. Eine soeben erschienene Studie belegt, dass viele Migranten aus Osteuropa unter den gleichen Bedingungen arbeiten wie ihre deutschen Kollegen. Aber, so Dominique John: "Wir glauben auch, dass einige Unternehmer zum Teil systematisch ausländische Mitarbeiter einsetzen, um Löhne zu drücken und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern."
Stundenlohn knapp über einem Euro
So wie im Fall der 13 rumänischen Arbeiter, die zwei Monate auf einer Großbaustelle in Frankfurt am Main schufteten. Die Firma stellte ihnen einen sicheren Arbeitsplatz und ein Grundgehalt von 1200 Euro in Aussicht. "Als sie hier angekommen waren, hat der Arbeitgeber erstmal ihre Papiere und ihre Pässe für zwei Tage eingesammelt", erzählt John, "dann mussten sie irgendwelche Papiere unterschreiben. Tatsächlich arbeiten sie jetzt als Selbstständige für einen Subunternehmer." Damit haben sie bei Unfällen oder Krankheit keinen Versicherungsschutz durch den Arbeitgeber. Obendrein hat ihr Chef ihnen nur einige Euro Handgeld ausgezahlt, gerade genug, um am nächsten Tag wieder zur Arbeit zu kommen. "In der Summe haben sie etwas über einen Euro in der Stunde verdient." Der DGB und die Gewerkschaft IG Bau setzten derzeit den deutschen Generalunternehmer unter Druck, damit er den Leuten den ihnen zustehenden Lohn zahle.
Ähnlich ging es sechs Polen in Köln, die Horst Küsters betreut. Er kümmert sich für die Dienstleistungsgewerkschaft verdi um Fälle extremer Ausbeutung. Die Männer haben bei einer Gerüstbaufirma gearbeitet: sechs bis sieben Tage pro Woche, zehn bis zwölf Stunden am Tag. Doch anstatt des versprochenen Lohns bekamen sie nur 50 bis 70 Euro im Monat, damit sie sich versorgen konnten. "Sie wurden immer wieder vertröstet: Beim nächsten Mal bekommt ihr was", berichtet Küsters der Deutschen Welle. "Im November und Dezember war dann schlechtes Wetter, die Gerüstbauer hatten kaum Aufträge. Da gab es auch dieses Essensgeld nicht. Die Arbeiter hatten Hunger. Ich musste erstmal versuchen, über wohltätige Organisationen wie die Kölner Tafel Lebensmittelpakete für sie zu besorgen."
Als die Männer sich an die Gewerkschaft wandten, hat ihr ehemaliger Arbeitgeber sie sogar bedroht. "Da ist dann so ein Rollkommando erschienen, der Subunternehmer mit vier kräftigen jungen Männern. Die haben versucht, in die Wohnung einzudringen." Der entsetzte Pole wusste in dem Moment gar nicht, dass er die Polizei hätte rufen können, so Küsters. Mittlerweile hat der Subunternehmer eine Strafanzeige bekommen, und vor Kölner Arbeitsgerichten versuchen die Geschädigten mit gewerkschaftlicher Hilfe, ihren Verdienst einzuklagen.
Solidarität und Eigennutz
Die Arbeiter aus Osteuropa sind nicht in der Gewerkschaft und zahlen keine Mitgliedsbeiträge. Warum setzt die Arbeitnehmervertretung sich für sie ein? "Solidarität mit Menschen, die um die ihnen zustehenden Löhne betrogen werden, und Gerechtigkeit", betont Horst Küsters: "Solidarität und Gerechtigkeit - das sind alte gewerkschaftliche Werte." Aber es steckt auch ein gewisser Eigennutz dahinter, gibt Dominique John vom DGB zu. "Arbeitnehmer, die in deutschen Gewerkschaften organisiert sind, haben natürlich ein Interesse daran. Denn Beschäftigte, die von außen in den Arbeitsmarkt kommen, müssen so integriert werden, dass sie sich nicht zu Dumpinglöhnen anbieten. Das ist auch in unserem Interesse. Darum versuchen wir, diese Unterstützung aufzubauen." Der DGB will das Beratungsnetz künftig ausdehnen.
Migranten sind Kollegen, nicht Konkurrenten
Der Ansatz der Gewerkschaften ist relativ neu: Lange haben sie in den Betroffenen nur die illegal Eingewanderten gesehen, die schwarz arbeiten und den Einheimischen Jobs wegnehmen. Jetzt betrachten sie Migranten als Kollegen statt als Konkurrenten, sagt Norbert Cyrus vom Hamburger Institut für Sozialforschung. Er begrüßt diese Entwicklung. Für die Bundesregierung hat er erforscht, wie sich Betroffene von extremer Arbeitsausbeutung am besten unterstützen lassen. Seiner Meinung nach muss das Hilfsangebot deutlich erweitert und es müssen Wohlfahrtsverbände und Migrantenorganisationen einbezogen werden, so Cyrus gegenüber der Deutschen Welle. "Man muss ganz deutlich machen: Im Vordergrund steht, die Betroffenen zu unterstützen und ihre Arbeitsrechte und sozialen Ansprüche durchzusetzen - unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus."
Die Gewerkschaften fordern, das Thema mehr in die Öffentlichkeit zu tragen. Derzeit laufe hier vieles noch über "Mund-zu-Mund-Propaganda". Das mache die Unterstützung schwierig, sagt Horst Küsters, für die Helfer und noch mehr natürlich für die Betroffenen.