Russlands Syrienpolitik
2. Juni 2012Keine schärferen Sanktionen gegen das Regime von Baschar al-Assad, erst recht kein militärisches Eingreifen in Syrien - stattdessen: verhandeln, bis eine politische Lösung gefunden ist. Von dieser Position hat sich Russlands Präsident Wladimir Putin von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande nicht abbringen lassen. "Nicht einen Millimeter" habe sich der frisch wiedergewählte russische Präsident bei seinen Antrittsbesuchen in Berlin und Paris auf den Westen zu bewegt, stellt der New Yorker UN-Experte Jeff Laurenti vom Forschungsinstitut Century Foundation ernüchtert fest. "Die Kluft ist heute größer denn je."
Dabei hatte sich gerade die deutsche Bundeskanzlerin mit Putin bei dessen Besuch große Mühe gegeben, den Russen nicht offen zu kritisieren. Nach einer herzlichen Begrüßung warnten beide Politiker einmütig vor der Gefahr eines Bürgerkriegs in Syrien; man müsse am UN-Friedensplan festhalten. Merkel deutete nur mit einem vagen Nachsatz an, dass es durchaus Differenzen darüber gibt, mit welchen Mitteln der Friedensplan umgesetzt werden soll.
In der Sackgasse
Viel deutlicher wurde dagegen der französische Präsident, bei dem Putin im Anschluss zu Gast war: Es gebe keine Lösung im Syrien-Konflikt, betonte Hollande, ohne den Rücktritt von Präsident Assad. Daraufhin stellte Putin klar, Russland sei weder für Assad noch für seine Gegner. Eine Position, die nahezu zeitgleich durch das russische Außenministerium konterkariert wurde, das das Massaker von Hula vor einer Woche als "gut geplante Aktion von Militanten zur Verhinderung einer politischen Regelung der Krise in Syrien" bezeichnete - und sich damit der Darstellung des Assad-Regimes anschloss.
Keine offene Unterstützung für Assad, aber auch nicht für die Rebellen - seit Monaten laviert Russland hin und her, bemüht sich, wenn auch vergeblich, um einen eigenen Verhandlungserfolg in Damaskus und blockiert gleichzeitig alle Sanktionsdrohungen im UN-Sicherheitsrat. Stefan Meister, Russland-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), hat den Eindruck, "dass die Russen im Moment auf stur geschaltet haben. Man ist hier in einer Sackgasse angelangt."
Lukrative Rüstungsexporte
Gründe für Russlands starre Haltung in Sachen Syrien gibt es viele. Da sind zum einen wirtschaftliche Interessen: Russische Energiefirmen fördern Öl und Gas. Besonders aber profitiert die Rüstungsindustrie, für die Syrien der drittwichtigste Exportmarkt weltweit ist.
Auf diese Tatsache angesprochen, antwortete Putin in Berlin, sein Land liefere keine Waffen nach Syrien, die in einem Bürgerkrieg benutzt werden könnten. Eine "diplomatische Floskel", meint dazu Stefan Meister von der DGAP: "Wenn man Waffensysteme nach Syrien verkauft, dann kann kein russischer Militär und kein russischer Präsident kontrollieren, dass sie nicht gegen die Rebellen eingesetzt werden. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Sie werden definitiv gegen die Rebellen eingesetzt."
Noch wichtiger als Moskaus Wirtschaftsinteressen sind nach Meinung von Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik allerdings die geostrategischen Interessen. Syrien ist der letzte verbliebene Verbündete Moskaus im Nahen Osten. In der arabischen Welt sei das Land für Moskau in jedem Falle "ein Gegengewicht zur amerikanischen Dominanz in der Region", so Klein. Nicht zu vergessen: In der syrischen Hafenstadt Tartus ist auch der letzte exterritoriale Stützpunkt der russischen Marine beheimatet.
Falsche Prioritäten
Das alles stünde wohl bei einem Sturz des syrischen Präsidenten auf dem Spiel. Hier sieht Stefan Meister Moskaus großes Dilemma: "Man hat das Assad-Regime schon zu lange unterstützt. Die Frage ist, ob es nicht zu spät ist für Russland auszusteigen." Deshalb hat Meister Zweifel daran, ob das Land in der Syrien-Frage auf die westliche Linie einschwenken wird. Für ihn steht fest: "Russland setzt auf das falsche Pferd. Assad ist eine Frage der Zeit. Russland wird diesen Partner mittelfristig verlieren."
Margarete Klein sieht hingegen schon Anzeichen dafür, "dass sich in Russland langsam die Einsicht durchsetzt, dass Assad vielleicht nicht politisch überleben kann". Das merke man schon daran, dass Moskau in letzter Zeit nicht mehr an der Person Assad festhalte, sondern auf die Einhaltung völkerrechtlicher Prinzipien poche. Russland wolle "eine nationale Lösung, die nicht von außen oktroyiert ist und auch nicht von außen militärisch durchgesetzt wird". Mit anderen Worten: Die Syrer sollen selbst über ihr Schicksal bestimmen.
Hoffnung auf EU-Russland-Gipfel
Wie aber kann der derzeitige "diplomatische Knoten" gelöst werden? Jeff Laurenti sieht einen Hoffnungsschimmer im jüngsten Vorschlag von Navi Pillay, der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte. Sie hatte dafür plädiert, den Fall des Massakers in Hula an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu überweisen. Es "könnte sich als Ausweg herausstellen", so Laurenti, "dass ein unparteiischer Ermittler eingesetzt wird." Dies sei eine Möglichkeit, Überzeugungsdruck auf Assad auszuüben, ohne gleich die Sanktionen zu verschärfen oder zu drohen, ihn zu stürzen. Ob Russland diesen Vorschlag unterstützt, ist aber fraglich, zumal es - ebenso wie die USA und China - den Internationalen Strafgerichtshof ablehnt.
Nächster Termin für die Suche nach einem Ausweg aus der Sackgasse ist der zweitägige EU-Russland-Gipfel, der am Sonntag (03.06.2012) in Sankt Petersburg begonnen hat.