Syrien - die Büchse der Pandora
11. Mai 2018Syriens Präsident Bashar al-Assad zeigte sich besorgt. In Syrien finde ein "Weltkrieg" statt, erklärte er. "Vielleicht ist es kein mit aller Kraft betriebener Dritter Weltkrieg, aber es ist ein Weltkrieg. Es ist zwar kein Atomkrieg, aber es ist gewiss auch kein Kalter Krieg mehr." Er hoffe, fügte Assad in seinem Interview mit der griechischen Zeitung "Kathimerini" Mitte dieser Woche hinzu, dass es zu keinem Krieg zwischen den Supermächten komme. Aufhalten könne die Entwicklung nur eine Regierung: "die umsichtige Führung in Russland."
Die Ausführungen mochten in erster Linie den Zweck haben, das militärische Engagement von Assads bedeutendster Schutzmacht Russlands zu adeln, völkerrechtlich ebenso wie politisch. Die in London erscheinende Zeitung Al-Quds al-Arabi konzentrierte sich indessen auf einen anderen Aspekt von Assads Äußerungen: Wenn er "hoffe", dass sich der Konflikt nicht zu einem heißen Krieg ausweite, dann zeige das vor allem eines: dass Assad die politischen Fäden kaum mehr in der Hand halte. Das Geschehen in Syrien, so deutet die Zeitung die Worte des syrischen Präsidenten, werde längst von anderen Mächten bestimmt. Bestätigt sehen konnte sie sich durch die jüngste Entwicklung, die Konfrontation zwischen Israel und dem Iran: "Die Schlacht der beiden findet auf dem Territorium und im Luftraum eines dritten Landes (Syrien, Anm. d. Red.) statt."
Russland: Passivität als Kunst
Inwieweit die von Assad gepriesene "umsichtige Führung" Russlands gewillt und in der Lage ist, diesen Konflikt zu stoppen, ist offen. Die israelische Zeitung "Jerusalem Post" ist von beidem, Moskaus Fähigkeit und seinem Willen zur Mäßigung der Konfliktparteien, nicht restlos überzeugt. Russland, schreibt das Blatt, komme es vor allem auf zweierlei an: zum einen darauf, einen - versehentlichen - Angriff auf seine Truppen zu verhindern. Und zum anderen, den syrischen Präsidenten an der Macht zu halten.
Russland habe schlicht zu viel in Assad investiert, um ihn noch fallen lassen zu können. Mit allem Weiteren könne das Land aber gut leben, schreibt die JP, kurz nachdem der israelische Premier Benjamin Netanjahu Mitte dieser Woche von einem Gespräch mit dem russischen Präsidenten in Moskau zurückgekehrt war. "Ebenso wie Netanjahu Putin von Zeit zu Zeit dazu zu bewegen versucht, das iranische Engagement in Syrien zu begrenzen, dürfte seinerseits auch Ruhani an Putin appellieren, die israelischen Aktivitäten zu stoppen." Dass dergleichen Appelle sinnvoll seien, bezweifelt die Zeitung: "Putin hört beiden zu und schreitet gegen keine der beiden Seiten ein: Weder weist er Israel in die Schranke noch legt er dem Iran Fesseln an."
Russlands gehe es nur um den Machterhalt Assads. "Solange dieses Interesse nicht beeinträchtigt wird, ist der Kampf (zwischen Israel und Iran, Anm. d. Red.) nicht Russlands Kampf."
"Die wahre Gefahr: die Illusion, der Krieg könne aufhören"
Eben damit aber kommt Putin vor allem Iran entgegen, schreibt die Zeitung "Al-Akhbar", die der libanesischen Hisbollah nahe steht. Denn die wahre Gefahr sei nicht der Krieg, schreibt das Blatt. Den gebe es in der Region nämlich immer. "Die wahre Gefahr ist die Illusion, dass man den Krieg vermeiden kann und dass der jeweils aktuelle Krieg der letzte sei sowie die Hoffnung, dass das, was um dich herum passiert, dich nicht selbst betreffen möge."
Die - ohnehin illusionäre - Hoffnung auf dauerhaften Frieden habe Trump nun durch die Aufkündigung des Atomabkommens vor aller Augen zerstört. Untergraben habe er damit auch alle Versuche, im Iran ein liberales Lager zu entwickeln. Genau das sei aber begrüßenswert, denn die "wahre Gefahr" sei damit abgewendet: "Ein schlechter Frieden unter Regie der Weltbank - das wäre die Wurzel aller Korruption, allen Konsums und des Aufstiegs parasitärer Klassen."
Seit ihrem Stimmengewinn bei den libanesischen Parlamentswahlen kann die Hisbollah sich auf eine größere politische Legitimität berufen. Ihr Misstrauen gegenüber der Möglichkeit eines dauerhaften Friedens hat nun noch stärkeres Gewicht im Zedernstaat. Umso mehr müsse der Libanon auf der Hut sein, sich nicht in einen Krieg hineinziehen lassen, schreibt die libanesische Tageszeitung "Al Hayat". Die Kriegsgefahr sei nun aber gewachsen. "Denn der Hisbollah geht es vor allem darum, den Iran gegen einen Angriff zu verteidigen - und nicht den Libanon."
Kriegsziele für beide Seiten kaum zu erreichen
Derzeit versuchen beide Seiten offenbar, eine Eskalation zu vermeiden. Anlass dazu haben sie. Denn Israel, schreibt die Zeitung "Al araby al-jadeed", könne mit Militärschlägen die iranische Präsenz in Syrien nicht grundsätzlich unterbinden. Ebenso wenig könnte es das Regime in Teheran daran hindern, moderne Waffen einzusetzen.
Aber auch der Iran sei kaum in der Lage, einen erfolgreichen Krieg zu führen. Das Land sei ökonomisch geschwächt und seine beiden wichtigsten Partner - das Assad-Regime und die Hisbollah - nach Jahren des Krieges militärisch ausgezehrt. Auch müsse der Iran Rücksicht auf die Interessen des Westens nehmen. In einem Krieg riskiere der Iran, dass sein militärisches Potential nachhaltig geschwächte werde, während Israel Gefahr laufe, zum Ziel hunderter hochmoderner Raketen zu werden. "Und das bedeutet: Syrien wird weiterhin eine Arena der internationalen Akteure bleiben."
Warnende Worte aus Deutschland
Auch vor diesem Hintergrund übt Deutschland Kritik an der diese Woche verkündeten Entscheidung US-Präsident Trumps, das Atom-Abkommen aufzukündigen. Das sei "ein Grund großer Sorge, auch ein Grund von Bedauern" und verletze "das Vertrauen in die internationale Ordnung", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Katholikentag in Münster. Es sei "nicht richtig", eine vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einstimmig gebilligte Vereinbarung einseitig aufzukündigen.
Vor dem Hintergrund der umstrittenen Entscheidung Washingtons sehe sie den Multilateralismus "in einer wirklichen Krise", so die CDU-Politikerin. "Wenn jeder macht, worauf er Lust hat, ist das eine schlechte Nachricht für die Welt."