Insulaner verlassen Sylt
26. August 2012Sylt ist die beliebteste deutsche Ferieninsel. Im Jahresdurchschnitt verbringen rund 90.000 Gäste auf der Nordsee-Insel ihren Urlaub. Ihnen stehen etwa 20.000 Insulaner gegenüber. Noch, denn jedes Jahr werden es weniger. Aufgrund der hohen Immobilienpreise können es sich immer weniger Sylter leisten, weiter auf "ihrer" Insel zu leben und ziehen auf das Festland. Innerhalb von nur zehn Jahren haben sich die Preise für ein Eigenheim verdoppelt. Die Sylter leiden unter der Gentrifizierung.
Die Preise steigen weiter
Westerland, der Hauptort der Insel, zählt etwa 9.000 Einwohner. Tatsächlich bevölkern weit mehr Menschen die Stadt. Doch Zweitwohnungsbesitzer, die ihre Immobilien nur im Urlaub nutzen oder an Gäste vermieten, tauchen in dieser Statistik nicht auf. So wie auf der ganzen Insel. Und diese Zweitwohnungsbesitzer sind gegenüber den Insulanern längst in der Überzahl.
Sylt ist gerade einmal 99 Quadratkilometer groß. Dennoch haben über 70 registrierte Makler alle Hände voll zu tun. Denn Immobilien auf dieser angesagten Insel stehen bei kapitalkräftigen Interessenten hoch im Kurs. So wechselten im vergangenen Jahr Grundstücke und Häuser im Verkaufswert von über 750 Millionen Euro den Besitzer. "Die Preisentwicklung ist ja nach oben gegangen", bestätigt Makler Lars Axmann. Und er fügt an: "Das wissen natürlich auch die Kapitalanleger. Es ist eine gute Anlage".
Und die große Nachfrage treibt die Preise weiter in die Höhe. Je nach Lage und Größe des Grundstückes kostet eine Haushälfte nach den Worten von Lars Axmann im Hochpreissektor bis zu zwei Millionen Euro. "Das kann aber auch ganz leicht bis zu acht, neun oder zehn Millionen hochgehen".
Baukräne als Wahrzeichen
Neben den Leuchttürmen gehören Baukräne zu den "Wahrzeichen" von Sylt. Obwohl die Siedlungsgrenzen in Westerland und den Inseldörfern weitestgehend erschöpft sind, wird kräftig weitergebaut. Eine Entwicklung, die der Arzt und Umweltschützer Roland Klockenhoff kritisch verfolgt. "Es gibt kaum noch Freiflächen oder Baulücken mehr, so dass in den Dörfern im Grunde genommen gar nicht so alte Häuser aus den 60er und 70er Jahren abgerissen werden, um größeren Einheiten zu weichen. Außerdem sind natürlich die Randlagen der Dörfer begehrt". Was wiederum die Preise für halbwegs bezahlbaren Wohnraum etwa für junge Familien weiter in die Höhe treibt, so dass Baugenossenschaften nicht mehr mitbieten können.
Aber auch wer ein Haus auf Sylt erbt, steht noch lange nicht auf der Sonnenseite. Das weiß auch der langjährige Pfarrer von Kampen und Keitum Traugott Giessen. Wenn neben der fälligen Erbschaftssteuer auch noch Geschwister auszuzahlen sind, sagt Giessen, dann bleibt nur der Verkauf des Hauses. Von der Summe können nach seiner Erfahrung drei Nachkommen jeweils ein Eigenheim auf dem Festland erwerben. Eine Instandhaltung der Insel-Immobilie dagegen kann sich bei den Preisen kaum jemand leisten. "Es ist schade und gleichzeitig natürlich der Preis dafür, dass hier wunderschöne Häuser stehen, die niemals aus den Einnahmen von Vermietung wieder so schön restauriert werden können".
Kindergärten schließen
Das kann Peter Jensen, der Vorsitzende des Kulturkreises in der Gemeinde Archsum, nur bestätigen. Schon den aufgelaufenen Investitionsstau in einem alten Friesenhaus können Erben kaum bezahlen. "Wenn man nicht Sklave einer Immobilie werden will", stellt Jensen nüchtern fest, "dann ist schon klar: die Immobilie wird verkauft und geht dadurch natürlich wieder an Leute, die das Geld haben". Sprich an Kapitalanleger oder Immobiliengesellschaften. Nach dem Verkauf verlassen die Erben die Insel Richtung Festland.
Die Entwicklung im Inseldorf Archsum ist ein Beispiel dafür. Inzwischen zählt diese Gemeinde noch knapp 200 Sylter als Einwohner. Die Zahl der Zweitwohnungsbesitzer liegt deutlich darüber. Glücklich sei man mit dieser Entwicklung natürlich schon lange nicht, merkt Peter Jensen resigniert an, "aber es lässt sich nicht mehr abwenden".
Inzwischen werden in den Orten auf Sylt Kindergärten und Schulen geschlossen. Es fehlt der Nachwuchs, während über 3.000 auf das Festland abgewanderte Sylter täglich mit dem Zug zu ihrer Arbeitsstelle auf die Insel fahren. Die Folgen der Abwanderung bekommt auch die Feuerwehr zu spüren. In List beispielsweise fehlen schon jetzt junge Freiwillige, so dass die Gemeinde notgedrungen Ältere verpflichten musste, um die Einsatzstärke aufrecht erhalten zu können.
Der Ausverkauf der Insel und die damit verbundene Abwanderung bereitet Sylt zunehmend Probleme. Eine verwurzelte Insulanerin wie die Vorsitzende des Friesischen Kulturkreises, Maike Ossenbrüggen, findet dafür klare Worte: "An der Börse kann man stückeln und Aktienanteile erwerben, ohne dass man die Fabrik jemals gesehen hat. Sie machen aus uns eine Fabrik. Wir sind aber keine Fabrik. Und das Klima hier ist auch nicht so, dass man uns so vermarkten könnte wie Mallorca".
Urlaubern und Zweitwohnungsbesitzern mag die Nordseeinsel lieb und teuer sein, doch immer mehr Sylter können sich das Leben auf ihrer Insel nicht mehr leisten.