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Supermacht ungebrochen

Joachim Lenz10. September 2002

Eines der Ziele der Terroristen vom 11. September war, die Supermacht USA nachhaltig zu demütigen und zu schwächen. Gerade dies ist ihnen nicht gelungen, meint Joachim Lenz in seinem Kommentar.

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Zwei Passagierflugzeuge, von islamistischen El-Kaida Terroristen in ihre Ziele gelenkt, rasten vor einem Jahr, am Vormittag des 11. September 2001, in die New Yorker Zwillingstürme des World Trade Centers. Stunden später stürzten diese Symbole US-amerikanischer Wirtschaftspotenz zusammen. Die Welt war an den Bildschirmen unmittelbarer und fassungsloser Zeuge der grauenhaften Anschläge. Eine dritte entführte Passagiermaschine wurde nahezu zeitgleich in einen Flügel des Washingtoner Pentagons gesteuert, in das Symbol amerikanischer Militärmacht. Ein viertes entführtes Passagierflugzeug stürzte ab, bevor es sein Ziel, vermutlich das Weiße Haus in Washington, erreichen konnte. Das politische Symbol der amerikanischen Supermacht schlechthin blieb damit verschont.

Tausende starben im Inferno dieser Anschläge. Die Welt erstarrte angesichts der Tat. Angst ist bis heute geblieben vor einem fanatischen Terror, der jenseits bisheriger Vorstellungen auftritt und dem mit herkömmlichen Mitteln kaum beizukommen ist. Für einen Augenblick schien die Supermacht erschüttert und gedemütigt.

Doch die Rechnung der Terroristen ist mitnichten aufgegangen. Im Gegenteil. Der Machtanspruch und die politisch-ökonomisch-militärische Gestaltungskraft der USA erscheinen heute weitreichender denn je zuvor. Die Zuschnitt der Weltordnung nach dem Kalten Krieg hat sich in den vergangenen zwölf Monaten beschleunigt. Washington dominiert. Washington setzt die Ziele. Washington fordert Gefolgschaft. Wo diese ausbleibt, handelt Washington alleine. Bündnisse, internationale Institutionen, Verträge, Bindungen an das Völkerrecht erscheinen der Supermacht, die ihre Ziele alleine rascher und umfassender erreichen kann, als lästige Fesseln, die es abzustreifen gilt. Eine zunehmend vernetzte, eine globalisierte Welt erfährt zugleich eine Art Zusammenbruch politischer Kollektivität. Auch dies hat der 11. September gebracht.

Der Streit um den wohl bevorstehenden amerikanischen Militärschlag gegen Irak, der den Sturz des Regimes von Saddam Hussein und ein Ende dessen Strebens nach Massenvernichtungswaffen herbeiführen soll, ist nur ein Beispiel. Er ist bitter, weil beide Seiten - hier die Mehrheit der Europäischen Verbündeten und da Amerika - sich jeweils vom alten Freund und Partner enttäuscht, wenn nicht verachtet und verraten sehen. Der Streit ist gefährlich, weil er die traditionellen Gemeinsamkeiten, die große atlantische Wertegemeinschaft - die ja fortbesteht - in den Hintergrund schiebt. Die in der europäischen Geschichte angelegte Suche nach Kompromiss und Kooperation und der Handlungswille Washingtons erscheinen mit einem Mal unvereinbar. Wenn er nicht beigelegt wird, werden beide verlieren.

Diesen Triumph dürfen die Terrorakte des 11. September nicht davontragen. Berlin, im Herzen Europas, wird nach dem Getöse des deutschen Wahlkampfs vor allem in der Pflicht sein, die transatlantischen Verhältnisse wieder in eine angemessene Ordnung zu bringen. Ohne ein Zugehen auf Washington, ohne Solidarität in der Tat wird das nicht gehen. Aber auch Washington muss sich wieder darauf besinnen, dass seine Macht in der Welt am überzeugendsten ist, wenn sie geleitet ist von der Kraft jener großen kollektiven Werte, die Europa und Amerika verbunden haben und weiter verbinden.