Wie ernähren wir die Städte?
16. Oktober 2016Es zieht sie in die Städte: Kleinbauern in Südamerika, Afrika, Asien. Sie suchen nach neuen Chancen, nach Jobs, die es auf dem Land nicht gibt – und landen allzu oft in den Armensiedlungen am Rande der Städte und Mega-Cities. 2020 – in nur vier Jahren – werden fast 1,5 Milliarden Menschen in Slums leben, so die Prognose der Vereinten Nationen. Wenn dann in den Slums Hunger herrscht, sind soziale Unruhen nicht weit, wie die Lebensmittelkrise 2008 zeigte. Obwohl das Angebot an Nahrungsmitteln in den Städten fast unbegrenzt scheint, können sich eine gesunde Ernährung nur die besser gestellten Stadtbewohner leisten.
"Der Zugang zum Nahrungsangebot ist für die arme Stadtbevölkerung sehr begrenzt", sagt Alison Hodder. Die Expertin der UN Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation, FAO, analysiert seit Jahren die Nutzung auch kleinster Flächen für urbane Landwirtschaft in den Slums.
Nebenerwerb Stadt-Bauer
"Sehr oft tragen diese Kleinstflächen mit Gemüse und anderen Produkten in den Städten und der näheren Umgebung wesentlich zur Nahrungssicherheit der Ärmsten bei. Gleichzeitig sind sie für die Ärmsten auch eine wichtige Einkommensquelle", betont sie im DW-Gespräch.
Statt der großflächigen Monokulturen einer industriellen Landwirtschaft, bei der Lebensmittel zu den Verbrauchern in den Städten transportiert werden, sieht Hodder für die schnell wachsenden Städte der Entwicklungs- und Schwellenländer eher ein regionales Konzept. "Wir sprechen über die Erweiterung einer ökologisch basierten Landwirtschaft", so Hodder. "Es wird eine große Herausforderung sein, die urbane Bevölkerung mit frischen und bezahlbaren Lebensmitteln zu versorgen. Und genau da kann urbane und regionale Landwirtschaft ein Teil der Lösung sein."
Klar ist, dass sich die Landwirtschaftsflächen nicht beliebig erweitern lassen und dass in Zukunft auch mehr Flächen für Kleinstanbau genutzt werden müssen, die nicht zu den Agrarflächen im traditionellen Sinne zählen.
Städte als Anbaufläche
Weltweit gibt es einen Trend hin zur urbanen Landwirtschaft. In vielen Städten Europas gibt es mittlerweile Stadtimker, die ihre Bienen im städtischen Grün halten. Es gibt Stadt-Winzer, die an Hausmauern Wein anbauen, auf vielen Terrassen und Balkonen wachsen Tomaten, Kräuter und Salat statt der traditionellen Zierpflanzen. Auf Brachflächen stehen selbstgezimmerte Hochbeete, die sich bei Bedarf oder Räumung auf andere Freiflächen versetzen lassen. In manchen Städten gibt esGemeinschaftsbeete, die die Anwohner mit Gemüse versorgen. Sichtbar ist der Trend auch auf dem Büchermarkt, wo Ratgeber zum Urban Gardening und Gemüseanbau auf kleinstem Raum boomen.
Was in den reichen Städten der Industrieländer eher ein Hobby-Trend ist, ist für Millionen von Slumbewohnern in Entwicklungs- und Schwellenländern überlebensnotwendig. Oft ist es die einzige Möglichkeit sich und die Familie mit frischem Gemüse, Eiern oder Obst zu versorgen. Die FAO schätzt, dass es allein in Afrika 130 Millionen Stadtbewohner gibt, die so ihr tägliches Nahrungsangebot erweitern. In Lateinamerika, so FAO-Zahlen, gibt es rund 230 Millionen Städter, die mit ihrem eigenen Gemüseanbau den Unterhalt der Familie ergänzen.
Regional investieren
Die Städte werden sich in Zukunft stärker regional versorgen müssen – und dafür auch die Umgebung mit in die Stadtplanung einbeziehen. Die Deutsche Welthungerhilfe unterstützt weltweit Projekte für Kleinbauern und ländliche Entwicklung. "Für uns ist immer der erste Ansatz, dass die Menschen sich selbst und ihre Familien ernähren können", sagt Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe, die vor allem auf Diversifizierung des Anbaus setzt, damit die Bauern nicht mehr von nur ein oder zwei Produkten abhängig sind. "In der Regel sind sie nach kurzer Zeit in der Lage, auch Überschüsse zu produzieren, die vermarktet werden können."
Auf regionaler Ebene könnten diese Überschüsse viele Städte mit ernähren, nur sei es bisher vielerorts schwierig, die Produkte frisch in die urbanen Zentren zu bringen, "weil es keine Kühlketten, keine Infrastruktur für den Transport, keine Lastwagen gab."
"Wir versuchen mehr und mehr da Verbesserungen zu organisieren, so dass die Überproduktion tatsächlich verkauft werden kann", so Dieckmann im DW-Interview. So würden sowohl die Städte als auch die lokalen Bauern von der besseren Infrastruktur profitieren.
Global gesehen ist es in den vergangenen Jahrzehnten weltweit gelungen, den Hunger besser zu bekämpfen. Das zeigt auch der neue Welthungerindex der Welthungerhilfe, der jährlich in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Forschungsinstitut für Ernährungs- und Entwicklungspolitik, IFPRI, erstellt wird.
Doch das weltweite Ziel - kein Hunger mehr bis 2030 - liegt noch in weiter Ferne. Vor allem müssten auch die immensen Lebensmittelverluste bekämpft werden, die es heute gibt, sei es durch falsche Lagerung, durch Überkonsum oder durch fehlende Transportmöglichkeiten. "Es werden weltweit heute schon mehr Lebensmittel produziert, als man bräuchte, um alle Menschen zu ernähren", erklärt Dieckmann.
Größere Höfe, weniger Bauern
Gleichwohl, so Dieckmann, werden auch die heutigen Entwicklungsländer ihre Landwirtschaft ändern müssen, weil immer weniger Menschen auf dem Land wohnen:
"Es wird größere Einheiten geben als die zwei oder 1,5 Hektar, die Kleinbauern heute haben. Die industrialisierte Landwirtschaft wie in Europa wird in vielen Ländern nicht die Lösung sein", so Dieckmann. "Insofern setzen wir auf größer werdende Bauernhöfe und Betriebe, die aber regional versorgen."
Auch Alison Hodder von der FAO sieht diese Tendenz – zumal die Landbevölkerung weiterhin durch die Abwanderung in die Städte schrumpft und damit als Arbeitskraft in der Landwirtschaft fehlt. Entscheidend dafür ob es gelingt, die Städte der Zukunft mit guten Nahrungsmitteln regional zu versorgen, werde deshalb eine neue Definition von Stadtentwicklung sein: "Die Städte müssen weiter als ihre eigene Stadtgrenze schauen und auch mit den Akteuren in der ländlichen Versorgungskette zusammenarbeiten. Nur so können sie die Nahrungsmittelversorgung der Städte organisieren und gleichzeitig die Nachhaltigkeit und die Ressourcen sicher stellen, von denen die Städte leben."