1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Studie: Tagtäglich gibt es in Deutschland Menschenhandel

18. Oktober 2024

Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat die erste umfassende Erhebung zu Menschenhandel in Deutschland vorgelegt. Das Fazit: Es gibt große Defizite im Kampf gegen das Verbrechen und bei der Unterstützung der Opfer.

https://p.dw.com/p/4lwad
Eine Razzia wegen Schleuserkriminalität in Mannheim
Polizisten führen bei einer Razzia wegen Schleuserkriminalität in Mannheim einen Mann ab, der keinen gültigen Aufenthaltstitel für Deutschland haben soll Bild: Andreas Arnold/dpa/picture alliance

Jeden Tag werden in Deutschland drei Fälle von Menschenhandel festgestellt. Das geht aus dem ersten umfassenden Bericht zum Menschenhandel in der Bundesrepublik hervor, den das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIM) rechtzeitig zum Europäischen Tag gegen Menschenhandel an diesem Freitag in Berlin vorgelegt hat. Das Institut hat nach eigenen Angaben in seinem "Monitor Menschenhandel in Deutschland" "erstmals alle verfügbaren Daten von Bundes- und Landesbehörden sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen" zum Komplex Menschenhandel gebündelt und ausgewertet. Betrachtet wurde der Zeitraum 2020 bis 2022.

"Menschenhandel findet tagtäglich in Deutschland statt, etwa in der Pflege, im Haushalt, in der Prostitution, in der Landwirtschaft, der fleischverarbeitenden Industrie oder im Baugewerbe", sagte die Direktorin des Instituts, Beate Rudolf. Bei aller Unterschiedlichkeit der Branchen gelte: "Sie sind personalintensiv und setzen weder spezielle Qualifikationen noch Sprachkenntnisse voraus." Weiter schreibt das DIM: "Sie arbeiten länger als die gesetzlich zulässige Arbeitszeit, erhalten keinen oder kaum Lohn, haben schlechte Unterkünfte, erfahren körperliche oder psychische Gewalt und werden genötigt, in diesen Verhältnissen zu bleiben."

DIK-Direktorin Beate Rudolf hält den Bericht in den Händen
DIK-Direktorin Beate Rudolf stellt den Bericht in Berlin vorBild: Frederic Kern/Geisler-Fotopress/picture alliance

Ausbeutung durch Bettelei, das Begehen von Straftaten oder die Entnahme von Organen kommen ebenso vor wie Zwangsheirat, illegale Adoption und Leihmutterschaft. Betroffen seien Deutsche genauso wie Migranten. Viele Betroffene blieben im Verborgenen, weil sie sich schämten, bedroht würden oder Angst hätten vor Repressalien.

Vor allem Frauen betroffen

In den drei untersuchten Jahren wurden der Untersuchung zufolge 3155 Betroffene von Menschenhandel durch Ermittlungsbehörden identifiziert. Zwei Drittel der Betroffenen waren weiblich, mehr als ein Viertel der Opfer waren minderjährig. Bei sexueller Ausbeutung sind demnach mehr als 90 Prozent der Betroffenen Frauen, im Bereich der Arbeitsausbeutung sind mehr als die Hälfte Männer. Zugleich suchten 3704 Menschen, "bei denen der Verdacht auf Menschenhandel oder Ausbeutung vorlag", entsprechende Beratungsstellen auf.

Laut "Monitor" wurden von 2020 bis 2022 hierzulande zwar 2.021 Tatverdächtige ermittelt, aber nur 509 Menschen verurteilt. Es gebe zu viele Hürden, um den Strafrechtsparagrafen zu Menschenhandel anzuwenden, so die Experten. Betroffene sollten zudem die Möglichkeit haben, sich an Ermittler zu wenden, ohne selbst mit einer Strafe rechnen zu müssen.

Mehr Schutz und Rechte erforderlich

Opfer von Menschenhandel sollten aus Sicht des Instituts generell mehr Schutz und Rechte erhalten. So brauche es flächendeckend Schutzunterkünfte für Betroffene. Nur acht Bundesländer finanzierten bisher solche speziellen Unterkünfte. Zudem sei Betroffenen unabhängig von ihrer Bereitschaft zur Kooperation in Strafverfahren ein Aufenthaltsrecht zu gewähren und sie sollten ohne Hürden Zugang zu Sozialleistungen haben.

Moderne Sklaverei via App

Weiterhin raten die Experten, dass Behördenmitarbeitende flächendeckend und regelmäßig zu Rechten von Betroffenen geschult werden sollten. Auch müsse ein langfristig finanziertes und flächendeckendes Beratungsangebot geschaffen werden. In Berlin wurde gerade die erste Beratungsstelle für Minderjährige, die von Menschenhandel betroffen sind, eröffnet. Auf Grundlage der Erfahrungen in der Hauptstadt sollten alle Länder die Einrichtung eines solchen Angebots prüfen, so die Experten.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte wird vom Bund finanziert und arbeitet unabhängig. Es forscht und berät zu den Menschenrechten und berät die Politik. Bei der Vorlage der Erhebung hieß es, dass künftig alle zwei Jahre überprüft werden soll, wie Deutschland bei der Bekämpfung des Menschenhandels vorankomme und ob es besser als heute gelinge, die Betroffenen zu schützen und ihre Rechte zu wahren.

Nationaler Aktionsplan in Vorbereitung

Die Bundesregierung sagte zu, sich des Themas anzunehmen. Sie will im Frühjahr 2025 "den ersten umfassenden Nationalen Aktionsplan gegen Menschenhandel" verabschieden, wie mehrere Ministerien mitteilten. "Er umfasst eine Vielzahl von Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels, die von Prävention und Strafverfolgung bis hin zur Unterstützung von Betroffenen und der Zusammenarbeit auf internationaler Ebene reichen."

Justizminister Marco Buschmann in einer Pressekonferenz
Bundesjustizminister Marco Buschmann: "Verabscheuungswürdige Kriminalität" (Archivbild) Bild: Achille Abboud/IMAGO

 "Jugendliche und Kinder, die oft besonders verletzlich sind, stehen im Fokus unserer Bemühungen", erklärte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne). "Wir wollen die Täter zur Verantwortung ziehen, ihre Netzwerke zerschlagen und die Opfer schützen", erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ergänzte, es müsse "entschlossen gegen diese verabscheuungswürdige Kriminalitätsform" vorgegangen werden. Der Aktionsplan werde auch auf eine effektive Strafverfolgung zielen, unter anderem durch eine intensivierte Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern.

Zu den Schwerpunkten des Aktionsplans sollen laut Regierung zudem ein umfassender Schutz und mehr Beratungsangebote für Betroffene gehören. Behörden und Zivilgesellschaft sollen mehr zusammenarbeiten. Eine bessere Datenlage soll dabei helfen, die Lage der Betroffenen besser zu verstehen und gezielter Maßnahmen zu entwickeln.

kle/se (epd, afp, kna, dpa)