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Studie: Ohne Reichensteuer fehlen 380 Milliarden Euro

2. Juli 2024

Die Aussetzung der Vermögenssteuer seit 1997 hat Deutschland rund 380 Milliarden Euro gekostet, so eine neue Studie. Die Angst, dass Reiche bei einer Wiedereinführung das Land verlassen, sei unbegründet.

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Symbolbild I Verschiedene Euro-Geldscheine in Nahaufnahme
Es ist schwerer geworden, Geld ins Ausland zu verschieben, um Steuern zu vermeiden Bild: Thibaut Durand/Hans Lucas/picture alliance

Bis 1996 wurde das Vermögen reicher Menschen in Deutschland jährlich mit einem Prozent besteuert. Danach wurde die Vermögenssteuer nicht mehr erhoben.

Dieser Verzicht habe den deutschen Staatshaushalt seitdem mehr als 380 Milliarden Euro gekostet, so eine Studie, die das Netzwerk Steuergerechtigkeit gemeinsam mit der Entwicklungsorganisation Oxfam am Dienstag vorgestellt hat.

Die entgangenen Einnahmen von rund 380 Milliarden Euro entsprechen rund 80 Prozent des Bundeshaushalts von 2024, der Ausgaben von rund 477 Milliarden Euro vorsieht.

Gleichzeitig seien die Vermögen der 100 reichsten Deutschen seit 2001 um rund 460 Milliarden Euro gewachsen, heißt es in der Studie.

100 Jahre Kampf gegen Steuerflucht

"Eine überwältigende Mehrheit der Menschen befürwortet eigentlich die Wiedereinführung der Steuer, fürchtet aber gleichzeitig die angeblich drohende Steuerflucht von Vermögenden", schreiben die Autoren Michaela Alka und Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit, einem eingetragenen Verein mit Sitz in Berlin.

Die Studie mit dem Titel "Keine Angst vor Steuerflucht" untersucht, mit welchen Gesetzen der deutsche Staat in den vergangenen 100 Jahren versucht hat, Steuerflucht zu unterbinden.

Einfach den persönlichen Wohnsitz ins Ausland zu verlegen, ist für Reiche seit der Einführung der Wegzugsteuer 1972 teuer. Sie führe dazu, "dass Steuerflüchtlinge etwa ein Drittel ihres gesamten in Deutschland aufgebauten Vermögens an der Grenze abgeben müssen", heißt es in der Studie.

Sieben deutsche Milliardäre seien kurz vor Einführung des Gesetzes ins Ausland gezogen. Auf spätere Fluchtversuche, etwa den Umzug der Familie Porsche im Jahr 2010, habe der Gesetzgeber reagiert und Lücken geschlossen. "Heute ist der steuerfreie Wegzug nur noch möglich, wenn das Vermögen in Deutschland steuerpflichtig bleibt", so die Autoren.

Porträtaufnahme Susanne Klatten, Großaktionärin von BMW
Susanne Klatten, reichste Frau Deutschlands und Großaktionärin von BMW, würde ein Wegzug aus Deutschland laut Studie rund 6,5 Milliarden Euro Kosten, etwa 30 Prozent ihres VermögensBild: Frank Hoermann/Sven Simon/IMAGO

Wenig bekannte Steuern

Auch die Verlagerung von Unternehmen oder Unternehmensteilen ins Ausland könne teuer werden. In der Öffentlichkeit wenig bekannte Steuerarten wie die Entstrickungsbesteuerung und die Besteuerung von Funktionsverlagerungen sorgten dafür, dass Eigentümer bei der Verlagerung "knapp die Hälfte ihres in Deutschland aufgebauten Vermögens abgeben müssen".

Die klassische Steuerhinterziehung schließlich ist laut Studie ebenfalls schwerer geworden, seitdem 2017 der automatische Informationsaustausch in Kraft getreten ist, der dafür sorgt, dass der deutsche Fiskus aus mehr als 100 Ländern Informationen über die dortigen Konten von deutschen Steuerpflichtigen erhält.

Fazit der Studie: Die Drohung, Milliardäre würden bei Wiedereinführung der Vermögenssteuer das Land verlassen, sei nicht glaubhaft. Auch bestehe kein Grund für die Befürchtung, eine solche Steuer führe in Deutschland zum Verlust von Arbeitsplätzen.

Lob und Forderung

Der deutschen Steuergesetzgebung stellen die Autoren insgesamt ein gutes Zeugnis aus. "Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten umfassende und international vorbildliche Regeln" gegen Steuerflucht etabliert, "die sie massiv erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen".

Die Wiedereinführung einer Vermögensteuer sei deshalb "nicht nur möglich, sondern auch dringend geboten".

Ist Reichensteuer sinnvoll?

Die Möglichkeit, Vermögen zu besteuern, ist in Artikel 106 des deutschen Grundgesetzes ausdrücklich vorgesehen. Dort steht auch, dass die Einnahmen daraus den Bundesländern zustehen. 

Allerdings hatte das Bundesverfassungsgericht 1995 geurteilt, dass die Art, wie die Vermögenssteuer bis dahin erhoben wurde, nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Unter anderem bemängelten die Richter eine veraltete und deshalb zu niedrige Bewertungsgrundlage für die Besteuerung von Immobilien.

Wie es zur Aussetzung kam

Die damalige Bundesregierung von CDU/CSU und FDP entschied sich gegen die vom Gericht geforderte Neubewertung und stärkere Besteuerung von Immobilien. Zur Begründung verwies sie auch auf den damals hohen Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf Einkommen. Heute liegt der höchste Einkommenssteuersatz bei 45 Prozent.

In der Folge setzte die von Helmut Kohl geführte Bundesregierung die Erhebung der Vermögenssteuer aus. Das Vermögensteuergesetz selbst wurde aber nicht aufgehoben.

1996, im letzten Jahr der Erhebung, brachte die Vermögensteuer Einnahmen von umgerechnet 4,6 Milliarden Euro. Bei der Berechnung des Vermögens galt ein Freibetrag von umgerechnet rund 60.000 Euro pro Familienmitglied, außerdem durften Schulden vom Vermögen abgezogen werden.

Die Schätzung der Studie, dass Deutschland seitdem 380 Milliarden Euro entgangen sind, beruht auf der Annahme, dass sich die Einnahmen aus der Vermögenssteuer wie im Schnitt der letzten Jahre vor ihrer Aussetzung entwickelt hätten.

In diesem Fall wären die jährlichen Einnahmen bis zum Jahr 2023 auf rund 30 Milliarden Euro gestiegen und die gesamten Einnahmen bis 2023 hätten sich auf mindestens 380 Milliarden Euro summiert.

Andreas Becker
Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.