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Streit um FIFA-Vermächtnis der Fußball-WM 2022 in Katar

2. Dezember 2024

FIFA-Präsident Gianni Infantino spricht von einer "neuen Ära", Kritiker und Menschenrechtsorganisationen sind empört. Der FIFA-"Nachhaltigkeitsfonds" zur Fußball-WM 2022 in Katar spaltet die Gemüter. Wer hat recht?

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Arbeitsmigranten auf einer WM-Baustelle in Katar
Katar beschäftige Tausende von Arbeitsmigranten, um die WM-Stätten zu erbauenBild: Hassan Ammar/AP/dpa/picture alliance

Der Fußball-Weltverband FIFA und das Emirat Katar haben zwei Jahre nach der Endrunde der Fußball-Weltmeisterschaft einen "Nachhaltigkeitsfonds" in Höhe von 50 Millionen US-Dollar zur Finanzierung und Unterstützung "verschiedener soziale Programme" aufgelegt. FIFA-Präsident Gianni Infantino sprach dabei von einer "historischen" Initiative.

Kritiker hatten dagegen schon während der WM-Endrunde einen deutlich höheren Betrag gefordert und auf einen Entschädigungsfonds für Wanderarbeiter gedrängt, die auf WM-Baustellen getötet oder verletzt worden sind. 

Ist der FIFA-"Nachhaltigkeitsfonds" zur WM 2022 in Katar wirklich historisch?

Bereits bei den drei Fußball-Weltmeisterschaften zuvor - in Südafrika 2010, Brasilien 2014 und Russland 2018 - gab es solche "FIFA Legacy Funds". Mit jeweils 100 Millionen Dollar waren sie sogar doppelt so hoch dotiert wie der jetzt verkündete Fond nach der WM in Katar.

Das Geld war vor allem für Fußball-Infrastruktur-Projekte in den jeweiligen Ländern gedacht. 2022 setzte die FIFA die Zahlungen aus dem Fonds an Russland vorerst aus - wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. Bis dahin waren nach Angaben des russischen Fußballverbands rund 30 Prozent der versprochenen Mittel geflossen.  

Neu an dem Katar-Fonds ist im Vergleich zu den Vorgängern seine eher internationale Ausrichtung. So werden diesmal Projekte des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Welthandelsorganisation WTO unterstützt, die nicht direkt und ausschließlich mit dem Ausrichterland Katar in Zusammenhang stehen.

Ein Drittel der zugesagten Summe - 16,6 Millionen Dollar - gehen an einen im vergangenen Februar gegründeten WTO-Fonds, mit dem Unternehmerinnen in weniger entwickelten Ländern unterstützt werden. 

Was halten die Kritikerinnen und Kritiker der FIFA vor?

Sie bemängeln, dass in dem Fonds keine Mittel dafür vorgesehen sind, Arbeitsmigranten, die beim Bau der WM-Anlagen in Katar zu Schaden kamen, oder deren Familien zu entschädigen. Der Fonds sei "nur ein weiterer Versuch der FIFA, von ihrer mangelnden Fürsorge oder der fehlenden Entschädigung jener Menschen abzulenken, die durch ihre eigenen Aktivitäten [der FIFA - Anm. d. Red.] geschädigt wurden", sagt Andrea Florence der DW.

Die Brasilianerin ist Direktorin der "Sports & Rights Alliance". Das Bündnis von neun Nichtregierungs-Organisationen und Gewerkschaften - darunter Amnesty International, Human Rights Watch und Transparency International - setzt sich nach eigenen Worten dafür ein, "im Weltsport die Menschenrechte und den Kampf gegen Korruption zu verankern". 

Die FIFA, so Florence, solle "die Verantwortung für die Folgen ihres Handelns übernehmen und einen Teil ihrer Einnahmen in Höhe von sieben Milliarden Dollar aus der Weltmeisterschaft 2022 dazu verwenden, diejenigen zu entschädigen, die für die Durchführung der WM gelitten haben". Im Vorfeld der WM hatten Menschenrechtsorganisationen die FIFA aufgefordert, mindestens 440 Millionen Dollar Entschädigung an Arbeitsmigranten zu zahlen - die gleiche Summe wie das Preisgeld für die WM-Teilnehmer. 

Was antwortet die FIFA?

Der Fußball-Weltverband sieht sich selbst nicht in der Verantwortung dafür, die Arbeitsmigranten zu entschädigen. Die FIFA verweist immer wieder auf den "Workers' Support and Insurance Fund", einen 2018 eingerichteten Fonds Katars in Höhe von 350 Millionen Dollar, der hauptsächlich für verspätete oder nicht gezahlte Löhne erstellt worden war. Amnesty International hält dagegen, dass der Zugang für die Betroffenen "voller Hindernisse" sei, etwa wenn die Arbeitsmigranten bereits in ihre Heimatländer zurückgekehrt seien. Außerdem seien die Zahlungen gedeckelt.

Wie viele Arbeitsmigranten vor der WM in Katar bei ihrer Arbeit gesundheitliche Schäden davontrugen oder sogar starben, ist weiter umstritten. Die FIFA und die Regierung Katars behaupten, dass lediglich drei Menschen in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit auf Stadion-Baustellen ums Leben gekommen seien. 37 weitere WM-Arbeiter seien gestorben, aber ohne direkten Zusammenhang mit ihrer Arbeit. Menschenrechtsorganisationen sprechen dagegen von mehreren tausend ungeklärten Todesfällen unter Arbeitsmigranten im Umfeld der WM-Vorbereitungen in Katar.

Wird die Diskussion angesichts der so gut wie sicheren WM-Vergabe 2034 an Saudi-Arabien weitergehen?

Damit ist zu rechnen - umso mehr nachdem die FIFA Saudi-Arabien offenbar für einen nahezu perfekten WM-Gastgeber hält. Trotz der der deutlichen Kritik von Menschenrechtsorganisationen erhielt die saudische Bewerbung im Evaluationsbericht des Fußball-Weltverband, der in der Nacht zum Samstag veröffentlicht wurde, 4,2 von 5 möglichen Punkten.

Wie in Katar sind auch in Saudi-Arabien sehr viele Arbeitsmigranten im Einsatz, vor allem aus ärmeren Staaten Südostasiens, wie Pakistan, Nepal oder Bangladesch. Immer wieder beklagen Menschenrechtsorganisationen, dass Wanderarbeiter in Saudi-Arabien von ihren Arbeitgebern ausgebeutet, betrogen und zu einem Leben im Elend gezwungen werden.

Grundlage ist das traditionelle "Kafala-System". Danach bürgt in der Regel der Arbeitgeber für seine ausländischen Arbeiter. Im Gegenzug nimmt er sich das Recht, die Pässe seiner Mitarbeitenden einzuziehen und Bezahlung und Arbeitsbedingungen selbst festzulegen.

Die Internationale Arbeitsorganisation ILO stellte mit Blick auf die WM 2022 fest, dass sich die Bedingungen für Arbeitsmigranten in Katar in den Jahren seit dem WM-Zuschlag zwar verbessert hätten: "Viele Arbeitnehmer sehen sich jedoch immer noch mit Hürden konfrontiert, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlassen und zu einem neuen wechseln wollen, einschließlich Vergeltungsmaßnahmen seitens ihrer Arbeitgeber, etwa indem sie die Aufenthaltsgenehmigung der Arbeitnehmer annullieren lassen oder sie fälschlicherweise beschuldigen, sich davongemacht zu haben."

Der Artikel wurde am 2. Dezember aktualisiert.

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter