CIA: Die umstrittene Kandidatin
9. Mai 2018Gina Haspel hat eine lange Laufbahn bei der Central Intelligence Agency, kurz CIA, hinter sich. Wie es heißt - genaueres ist wegen der Geheimniskrämerei beim Geheimdienst nicht bekannt - hat sie 1985 bei der US-Spionagebehörde angefangen. Wenn der Senat in Washington ihrer Nominierung zustimmt, wäre Haspel die erste Frau an der CIA-Spitze und seit 50 Jahren die erste, die es aus den Reihen der Agenten bis auf den Chefsessel schafft. Derzeit ist die 61-jährige stellvertretende CIA-Direktorin; seitdem der bisherige Chef, Mike Pompeo, zum US-Außenminister ernannt wurde, ist sie die kommissarische Leiterin.
Gerade ihre lange Karriere beim Geheimdienst könnte nun zum Problem werden. Weil sie jahrzehntelang undercover bei verschiedenen CIA-Standorten im Einsatz war, gibt es entsprechend viele weiße Flecken in Haspels Werdegang. Dass die Öffentlichkeit nicht über jedes Detail der Karriere einer Agentin Bescheid weiß, liegt auf der Hand. Doch die Lücken im Lebenslauf sind nun auch für die Senatoren eine Herausforderung, die an diesem Mittwoch über Haspels Berufung zur Geheimdienstchefin entscheiden müssen.
Insbesondere ihre Rolle im so genannten Überstellungs-, Haft- und Verhörprogramm der CIA nach den Anschlägen des 11. September 2001 wirft Fragen auf. In dieser Zeit waren die Entführung und Überstellung von Terrorverdächtigen in berüchtigte Geheimgefängnisse an der Tagesordnung, wo Insassen sogenannten "erweiterten Verhörmethoden" ausgesetzt waren. Eine davon: Waterboarding, bei dem Ertrinken simuliert wird - Maßnahmen, die von Menschenrechtlern als Folter gewertet werden.
Einer der Hauptvorwürfe von Haspel-Gegnern: Sie soll 2005 in Thailand eines dieser Geheimgefängnisse geleitet haben, in denen Terrorverdächtige bei Befragungen gefoltert wurden. Ein anderer: Auf höheren Befehl soll Haspel die Vernichtung von Videobändern angeordnet haben, die bei den Verhören aufgenommen wurden. Beide Begebenheiten wurden - sofern unter den gegebenen Umständen möglich - umfangreich von Medien und Menschenrechtsgruppen dokumentiert.
Wegen dieser Bedenken hat Haspel laut US-Medienberichten am vergangenen Wochenende angeboten, sich aus dem Auswahlverfahren zurückzuziehen.
Unterstützer und Gegner
Allerdings findet die CIA-Vizedirektorin auch Rückendeckung, etwa aus den Reihen hochrangiger Ex-Geheimdienstler. Sie haben einen offenen Brief zur Unterstützung Haspels geschrieben. Auch viele Abgeordnete sind auf ihrer Seite. Ihr Argument: Haspel sei durch ihre Expertise besonders dafür qualifiziert, die CIA zu leiten. Und was ihre Rolle bei der Vernichtung der Videos angehe, habe sich Haspel nur an die - aus ihrer Sicht - legalen Vorschriften gehalten. Dafür dürfe sie nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Haspels Unterstützer führen auch ein Gutachten der Regierung unter Präsident Barack Obama ins Feld, wonach niemand wegen der Vernichtung der Bänder angeklagt werden sollte. Später habe die Obama-Administration angeordnet, dass kein CIA-Mitarbeiter wegen Misshandlungen im Zusammenhang mit den 9/11-Ermittlungen mit Strafverfolgung rechnen muss.
Doch Haspels Gegnern reicht das nicht. So haben mehr als 100 hochrangige Militärs ebenfalls einen offenen Brief verfasst, um die Berufung der Top-Agentin zu verhindern. "Alle Fakten müssen bei der Senatsanhörung auf den Tisch", fordert die Juristin und Sicherheitsexpertin Karen Greenberg von der Fordham University in New York. Ohne weitere Informationen könne die Berufung am Mittwoch nicht über die Bühne gehen.
Rebecca Ingber sieht das ähnlich. Sie ist Expertin für internationales Recht an der Universität Boston und hat zuvor als Juristin im US-Außenministerium gearbeitet. Es sei unmöglich, ein faires Berufungsverfahren durchzuführen, ohne einen kompletten Überblick von Haspels Beteiligung an Misshandlungen von Häftlingen bei der CIA zu haben sowie mehr über ihre aktuelle Haltung zu den eingesetzten Verhörmethoden zu erfahren.
Um Haspels dunkle Vergangenheit zu erhellen, müssten Geheimdokumente in der Anhörung am Mittwoch veröffentlicht werden. Die Expertinnen hoffen zwar, dass der Senat Licht ins Dunkel bringen kann; sehr optimistisch sind sie aber nicht.
Ungelöstes Problem
Bei all den Details, die bislang scheibchenweise bekannt wurden, mache sie sich Sorgen, so Greenberg. Es gehe vor allem um eines: Wer trägt die Verantwortung für die Fehlentwicklungen bei den 9/11-Ermittlungen? Der Streit um die Haspel-Berufung zeige, wie wenig dieses Kapitel bislang aufgearbeitet sei. So sieht es auch Ted Galen Carpenter, Experte für Verteidigungs- und Außenpolitik am Cato-Institut in Washington: "Das Gezerre um Haspels Berufung ist auch ein Kampf gegen die Bereitschaft einiger Mitglieder der politischen Elite Amerikas, der CIA, dem Pentagon und anderen Sicherheitsbehörden einen Blankoscheck für deren Vorgehen zu geben".
Die Ex-Außenamtsmitarbeiterin Ingber hält die Argumente der Haspel-Verteidiger angesichts der Intransparenz und mangelnden Verantwortung in der Nach-9/11-Ära für unangemessen. Niemand würde derzeit davon sprechen, dass sich Haspel ja auch strafbar gemacht haben könnte und gefeuert werden sollte.
Anklage aus Europa?
Während die designierte CIA-Chefin zurzeit keine Strafverfolgung in den Vereinigten Staaten fürchten muss, sieht das auf der anderen Seite des Atlantiks anders aus: Das "Europäische Zentrum für Verfassungsfragen und Menschenrechte" (ECCHR) in Berlin hat im vergangenen Jahr der deutschen Staatsanwaltschaft Dokumente vorgelegt, die Gina Haspel belasten. Das vom ECCHR eingereichte Dossier sei immer noch Teil eines in Deutschland laufenden Strafermittlungsverfahrens, das 2014 nach Bekanntwerden der Foltervorwürfe eingeleitet wurde.
Selbst wenn Haspel demnächst auf dem CIA-Chefsessel Platz nehmen sollte: Sie muss auch als Geheimdienstchefin mit Ermittlungen in Europa gegen sie rechnen. "Wir werden weiterhin Informationen an die deutsche Staatsanwaltschaft, aber auch an andere europäische Staatsanwaltschaften oder Ermittlungsrichter sowie den Internationalen Strafgerichtshof über das gesamte Folterprogramm einschließlich der betroffenen Personen weiterleiten", teilte das ECCR der Deutschen Welle mit.