Strategiewechsel dringend gewünscht
22. Oktober 2009Nach Klagen über Unregelmäßigkeiten bei der afghanischen Präsidentschaftswahl ist Hamid Karsai endlich bereit, sich auf eine Stichwahl gegen seinen Herausforderer Abdullah Abdullah einzulassen. Für die NATO bedeutet das ein Problem weniger und gleichzeitig eines mehr. Denn die Glaubwürdigkeit der NATO-geführten Militärmission hängt mit davon ab, dass auch die vom Westen initiierten demokratischen Prozesse glaubwürdig sind. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat deshalb Karsais Entscheidung begrüßt. Andererseits bedeutet die Stichwahl ein neues akutes Sicherheitsproblem. Insgesamt sind die Schwierigkeiten für die NATO in Afghanistan in den vergangenen Monaten deutlich größer geworden. Und bei zunehmenden Verlusten wächst in den NATO-Mitgliedsländern der Widerstand gegen einen Einsatz, dessen Ende nicht abzusehen ist.
Rasmussen hat am Montag – also noch vor Karsais Ankündigung - gesagt, worauf es seiner Meinung nach jetzt ankommt: "Wir brauchen mehr und bessere Wiederaufbau- und Entwicklungsleistungen; und wir müssen die neue afghanische Regierung in die Verantwortung nehmen, dass sie wirkungsvoll und sichtbar gegen Korruption vorgeht." Außerdem müssten die afghanischen Sicherheitskräfte so stark aufgebaut werden, dass sie für Sicherheit sorgen können – mit der NATO in unterstützender Funktion. "Wenn wir später weniger tun wollen, müssen wir jetzt mehr investieren", so Rasmussen.
Schickt Obama mehr Soldaten?
US-General Stanley McCrystal, der Oberkommandierende der NATO-geführten ISAF-Truppen in Afghanistan, hat kürzlich gesagt, ohne eine massive Truppenaufstockung um Zehntausende Soldaten sei der Krieg gegen die Taliban nicht mehr zu gewinnen. Er fordert die Entsendung von 40.000 zusätzlichen Soldaten. McChrystal ist überzeugt, dass der Schutz der Zivilbevölkerung und der Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte im Mittelpunkt stehen müssen. Doch die Haltung von US-Präsident Barack Obama dazu ist noch unklar. Ebenso warten die Verbündeten auf eine neue Afghanistan-Strategie, die das Weiße Haus offenbar vorbereitet.
Eines ist allerdings klar: Für einen Erfolg in Afghanistan kann die NATO Unterstützung von überallher gebrauchen, auch und gerade von Russland. So bedeutete es eine Erleichterung, als der russische Außenminister Sergej Lawrow vor wenigen Tagen bei einem EU-Besuch in Brüssel genau das zusicherte. "Wir wollen nicht, dass die internationalen Sicherheitsbemühungen in Afghanistan scheitern. Wir tun im Gegenteil alles, um sie zu unterstützen." Denn ein Scheitern würde bedeuten, so Lawrow, "dass die Probleme des Terrorismus, des Drogenhandels und des organisierten Verbrechens auch für Russland schlimmer würden."
Raketenabwehr made by NATO
Mit Russland hat auch ein weiteres Thema in Bratislava zu tun. Präsident Obama hat das von Russland heftig kritisierte Projekt eines Raketenwehrsystems mit Einrichtungen in Polen und Tschechien zu den Akten gelegt. Eine Raketenabwehr, zum Beispiel gegen den Iran, steht zwar nach wie vor zur Debatte, allerdings im Rahmen der gesamten NATO. Und das ist in den Augen von Generalsekretär Rasmussen der entscheidende Unterschied. "Ich hoffe, es wird Zustimmung geben, die Planung stärker in die NATO hineinzubringen und zu diskutieren, wie wir das umsetzen, damit angesichts einer eindeutig wachsenden Raketenbedrohung Solidarität, Lastenverteilung und Sicherheit der Verbündeten gestärkt werden", so Rasmussen.
Doch auch hier gilt, ebenso wie bei Truppenforderungen: Sobald es darum geht, was einzelne Länder für die gemeinsame Sicherheit beisteuern können, dürfte es still im Saal werden.
Autor: Christoph Hasselbach
Redaktion: Manfred Götzke