Strafverfahren gegen Baldwin nicht ausgeschlossen
28. Oktober 2021Nach dem tödlichen Vorfall am Filmset des Low-Budget-Westerns "Rust" auf der Bonanza Creek Ranch im Bundesstaat New Mexico ist die Schockstarre noch immer nicht verflogen.
Am Mittwoch (27.10.2021) haben die Behörden ausführlich über den aktuellen Stand der Ermittlungen informiert: Ein Strafverfahren gegen Alec Baldwin hat die zuständige Staatsanwältin Mary Carmack-Altwies bei der Pressekonferenz in Santa Fe nicht ausgeschlossen. "Alle Optionen liegen derzeit auf dem Tisch." Eine Entscheidung über eine mögliche Anklageerhebung werde aber erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Festnahmen gab es bislang nicht.
In dem Revolver habe sich offenbar eine echte Kugel befunden, so der zuständige Sheriff Adan Mendoza. In Souzas Schulter wurde ein Bleiprojektil gefunden - mutmaßlich das, das Hutchins tötete. Auch weitere Kugeln seien in dem Revolver gefunden worden, bei diesen handelte es sich aber vermutlich nicht um echte Kugeln. Unklar ist nach wie vor, wie die scharfe Munition dorthin gelangen konnte. Die Polizei hatte das Filmset durchsucht.
Insgesamt 500 Kugeln wurden dort sichergestellt, eine "Mischung" aus Platzpatronen, Patronenattrappen und vermutlich auch echten Kugeln, so Sheriff Mendoza. "Wir werden feststellen, wie sie dort hingekommen sind, warum sie da waren, denn sie hätten nicht dort sein sollen."
Derweil gerät der Regieassistent von "Rust" immer mehr in die Kritik: Dave Halls sagte den Ermittlern, er habe Munition in der historischen Waffe gesehen, bevor er sie Baldwin übergab. Zudem "wies er darauf hin, dass er sie alle hätte überprüfen müssen, dies aber nicht tat, und er konnte sich nicht daran erinnern, ob (Waffenmeisterin Hannah Gutierrez-Reed) die Trommel drehte", um ihm zu zeigen, was sich in der Waffe befand, heißt es in einer eidesstattlichen Erklärung.
Gedenkfeier für Kamerafrau Halyna Hutchins
Am Sonntagabend (24.10.2021) hatten zahlreiche Menschen, darunter Freunde und Kollegen des Opfers, an einer Gedenkfeier für Halyna Hutchins teilgenommen. In Burbank bei Los Angeles zündeten sie Kerzen für die 42-jährige Kamerafrau an. "Ich hatte das Vergnügen mit Halyna zu arbeiten", sagte die Schauspielerin Sharon Leal. "Sie war eine wunderbare Frau, und wir sind alle einfach nur erschüttert."
Mehrere Teilnehmer der Trauerfeier erhoben den Vorwurf, am Set sei an der Sicherheit gespart worden. Regisseur Gustavo Sampaio, der vor vier Jahren mit Hutchins bei einer anderen Produktion zusammengearbeitet hatte, sagte: "Low-Budget-Produktionen wollen häufig größer aussehen, als sie sind. Und dann sparen sie überall und die Sicherheit steht hinten an - obwohl sie doch ganz vorne stehen sollte, bei allem, was am Set passiert." Auch die Produzentin Sabrina Oertle warf den Verantwortlichen vor, an der falschen Stelle gespart zu haben: "Jemand hat beschlossen, ganz unten anzusetzen, das heißt, im Budget zu bleiben, billig zu arbeiten."
Baldwin und Regieassistent: "Von Patrone nichts gewusst"
Bereits vor mehreren Tagen hatte die Polizei erste Zeugenaussagen veröffentlicht: So soll der Regieassistent Dave Halls dem Schauspieler Alec Baldwin bei der Übergabe der Requisitenpistole am 21.10. versichert haben, es handele sich um eine "kalte Waffe" ohne Munition.
Ein zweiter Bericht zitiert den bei dem Vorfall verletzten Regisseur Joel Souza: Alec Baldwin habe auf einer Bank gesessen und mit der Waffe eine Szene geprobt. Die Crew sei nach einer Mittagspause ans Set zurückgekommen - und er sei sich nicht sicher, ob die Waffe vor Wiederaufnahme der Dreharbeiten erneut überprüft worden sei. Er selbst habe der Kamerafrau über die Schulter geschaut, um den Kamerawinkel zu prüfen. Dann habe er ein Geräusch gehört, das wie eine Peitsche und dann wie ein lauter Knall klang. Halyna Hutchins habe über Schmerzen im Bauch geklagt und sich an den Leib gefasst, dann sei sie nach hinten getaumelt und zu Boden gefallen. Er selbst habe an der Schulter geblutet. Hutchins starb kurz darauf im Krankenhaus.
Kurzfristig neues Kamerateam engagiert
Was Regisseur Joel Souza gegenüber der Polizei ebenfalls bestätigte: Am Donnerstag, dem 21.10.2021, mussten die Produzenten kurzfristig eine neue Kameracrew engagieren, weil ein davor eingesetztes Team die Produktion verlassen hatte - laut "Los Angeles Times" aus Protest über mangelnde Sicherheitsvorkehrungen. Demnach seien sechs Mitglieder des Filmteams abgereist. Außerdem, so die Zeitung, habe es zu diesem Zeitpunkt bereits mindestens zwei weitere Zwischenfälle mit versehentlich abgefeuerten Requisitenwaffen gegeben.
Der Regieassistent, der Baldwin die Waffe gab, habe bereits bei einer früheren Produktion Sicherheitsstandards verletzt, hatte eine Technikerin für Spezialeffekte und Pyrotechnik dem Sender NBC gesagt. Sie hatte mit dem Assistenten demnach 2019 für die Reihe "Into the Dark" beim Streaminganbieter Hulu gearbeitet.
US-Medien zufolge stellte sich jetzt heraus, dass dieser Mann 2019 entlassen wurde, als beim Dreh zu "Freedom's Path" ein Tontechnik-Mitarbeiter leicht verletzt wurde - nachdem eine Requisitenwaffe unerwartet losgegangen war. Der Regieassistent habe den Vorfall damals sehr bereut und die Gründe für seine Entlassung verstanden, hieß es in einer Erklärung der Produktionsfirma.
Verschiedene US-Medien berichteten zudem über Kritik an der 24 Jahre alten Waffenmeisterin, die für die ordnungsgemäße Handhabung aller Waffen am Set zuständig war. "Rust" war erst der zweite Film, an dem sie in dieser Funktion beteiligt war. Die Produktionsfirma Rust Movie Productions wies alle Vorwürfe zurück: es seien keine offiziellen Beschwerden über die Sicherheit von Waffen oder Requisiten am Set bekannt gewesen, zitierte die "New York Times" aus einer Mitteilung.
Ruf nach Schusswaffenverbot am Set
Die Dreharbeiten zu dem Low-Budget-Western, bei dem Baldwin auch als Produzent mitwirkte, hatten Anfang Oktober begonnen. Nach dem Unfall wurden sie unterbrochen.
In Hollywood mehren sich inzwischen die Rufe nach einem Schusswaffenverbot an Filmsets. Und auch aus der Politik kommen entsprechende Äußerungen: Dave Cortese, der für die Demokraten im kalifornischen Senat sitzt, forderte ein gesetzliches Verbot scharfer Munition an Filmsets für Kalifornien, dem Zentrum der US-Filmindustrie.
Reagiert hat bereits der US-Sender ABC, berichtet das Filmmagazin "The Hollywood Reporter": Als Konsequenz aus dem tödlichen Zwischenfall verbot ABC am Freitag mit sofortiger Wirkung scharfe Munition am Set für seine Serie "The Rookie". Bei früheren Dreharbeiten sei solche bei Outdoor-Szenen gelegentlich zum Einsatz gekommen.
Eine Petition auf der Website change.org, die ein Schusswaffenverbot und bessere Arbeitsbedingungen für Filmteams fordert, wurde bereits von mehr als 22.000 Menschen unterzeichnet. "Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass so etwas im 21. Jahrhundert passiert", heißt es in der Petition, die von dem Drehbuchautor und Regisseur Bandar Albuliwi gestartet wurde.
nf/suc (dpa, afp)