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Steigende Armut trotz hohem Wachstum

22. November 2010

Die globale Finanzkrise und der Klimawandel haben den Sinn herkömmlicher Wirtschaftsmodelle mehr denn je in Frage gestellt. Ist Wachstum das einzige Rezept, um die Armut weltweit zu bekämpfen?

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Ein Bettler in Gelsenkrichen (Foto: AP)
Würde ein höheres Wirtschaftswachstum den armen Menschen helfen?Bild: AP

Seit Jahren hat sich der Begriff "Bevölkerungsexplosion" eingebürgert. In Wirklichkeit seien ein moderater Bevölkerungszuwachs und eine Wirtschaftsexplosion zu verzeichnen, sagt Joachim Spangenberg, Vizedirektor des Sustainable Europe Research Institute: "Wir fordern eine Wirtschaftsexplosion, denn wir fordern exponentielles Wachstum." Denn wenn die Wirtschaftsleistung jedes Jahr um einen bestimmten Prozentsatz wächst, muss der Betrag des mehr Erwirtschafteten immer größer werden, da der Ausgangswert stetig steigt. Aus Klima- und Umweltschutzgründen sei deshalb nicht mehr Wachstum nötig, sondern mehr Verstand, "mit dem wir Lösungen finden müssen, mit denen wir unsere Lebensqualität erhalten mit wesentlich weniger Verbrauch an Ressourcen und Energien."

Mehr Effizienz statt Wachstum?

Studenten der Kölner Uni lauschen der Podiumdiskussion über "Wachstum und Armut" (Foto: MISEREOR)
Studenten der Kölner Uni lauschen der Podiumdiskussion über "Wachstum und Armut"Bild: MISEREOR

Mit anderen Worten: Technische Innovationen für mehr Effizienz sind gefragt. Nils aus dem Moore vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) verweist auf eine Studie seines Instituts zum sogenannten Rebound-Effekt: "Wenn ich zum Beispiel effizientere Autos mit effizienteren Motoren fahre, sinken meine Kosten pro gefahrenen Kilometer. Doch wie viel Kilometer fahre ich dann zusätzlich?" Das heißt, wie viel von den technologisch möglichen Einsparungen würde wieder aufgefressen?

Das Ergebnis der Studie: 57 bis 67 Prozent der Effizienzsteigerung werden wieder durch mehr Verbrauch aufgezehrt: "Das zeigt, dass Technologie allein uns nicht das glückliche Nirwana eines grünen Wachstums bescheren wird, sondern da muss auch Verhaltensänderung dazukommen", stellt Nils aus dem Moore fest.

Was kann die Politik tun?

Auf dem Podium (von Likns): Nils aus dem Moore, Karin Kortmann, Moderator Georg Stoll von MISEREOR und Joachim Spangenberg (Foto: MISEREOR)
Auf dem Podium (von Likns): Nils aus dem Moore, Karin Kortmann, Moderator Georg Stoll von MISEREOR und Joachim SpangenbergBild: MISEREOR

Doch eine Verhaltensänderung sei nicht nur bei Verbrauchern nötig, sondern auch bei den Unternehmen. Was kann die Politik tun, um eine solche Änderung zu bewirken? Das RWI gibt der Bundesregierung die Empfehlung, einen Vorschlag der dänischen EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard zu unterstützen. Sie möchte eine europaweite Kohlenstoffsteuer für die Sektoren einführen, die nicht dem Emissionshandelssystem unterliegen. "Weil wir damit die Steuerung des Verhaltens über Marktpreise stärker ermöglichen", sagt aus dem Moore. Das löse zwar nicht alle Probleme, wäre aber ein konkreter Ansatz.

Hätten die Menschen im Süden etwas davon, wenn in Europa Steuern auf den Verbrauch von Ressourcen erhoben würden? Dazu Karin Kortmann, ehemalige Staatssekretärin im Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit: "Es kommt darauf an, wo der Finanzminister sie nachher in welchem Budget platziert."

Sie wirft der Bundeskanzlerin vor, gemachte Zusagen, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeit ausgegeben, nicht einzuhalten. Das andere Problem sieht Karin Kortmann bei den Empfängerländern: "Wir verspüren bei unseren Partnerländern kein großes Interesse, wenn es um ein nachhaltiges Wirtschaften geht."

Mehr ein Verteilungsproblem

Brauchen die Entwicklungsländer nicht unbedingt Wachstum, um ihre Bevölkerung aus der Armut zu holen? Joachim Spangenberg vom Sustainable Europe Research Institute meint, dass Wachstum die Armut nicht automatisch reduziere. "Es gibt eine Reihe Länder, die hohe Wachstumsraten und gleichzeitig steigende Ungleichheiten und steigende Armut aufweisen." Es sei mehr ein Verteilungsproblem als ein Wachstumsproblem, sagt Spangenberg: "Verteilung zunächst der Primäreinkommen und dann des Sozialtransfers sorgt für größere Gleichheit und Armutsbekämpfung."

Autorin: Zhang Danhong

Redaktion: Rolf Wenkel