Oscars: "Spotlight" ist bester Film
29. Februar 2016
Worum geht es: Kaum ein Ereignis hat die römisch-katholische Weltkirche in den vergangenen Jahrhunderten so stark erschüttert wie der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Geistliche und andere Kirchenbedienstete. Seit den 1990er Jahren wurden mehr und mehr Missbrauchsfälle bekannt - auf allen Kontinenten. Mit dieser Form von Gewalt führten triebgesteuerte Priester die geistlichen Ideale und ethisch-moralischen Normen des christlichen Glaubens ad absurdum. Sie stürzten ihre Kirche in eine Krise, von der sie sich bis heute nicht erholt hat.
Zu hunderttausenden verließen Katholiken ihre Glaubensheimat. Keineswegs nur jene an der Peripherie, die ohnehin zum Absprung bereit waren, sondern oftmals ehrenamtliche Mitarbeiter, die über Jahre ihr Herzblut in kirchliche Arbeitsbereiche hatten fließen lassen. Zu tief saß die Enttäuschung über das Versagen von Teilen der geistlichen Elite. Auch in den Vereinigten Staaten von Amerika wurden immer mehr Missbrauchsvorwürfe bekannt - zunächst vor rund 15 Jahren in Boston.
Eine wahre Geschichte
Wie aber diesen brisanten und zugleich vielschichtigen Stoff des sexuellen Missbrauchs angehen und in ein Filmformat gießen, das zugleich spannend ist und zum Nachdenken anregt? Regisseur Tom McCarthy, der gemeinsam mit Josh Singer auch das Drehbuch von "Spotlight" schrieb, wählte ein wahres Ereignis - ein Lehrstück des investigativen Jounalismus. Im Jahr 2001 hatte die Tageszeitung "The Boston Globe", eine der renommiertesten Tageszeitungen der USA, in einer beispiellosen Weise einen Sumpf aus Missbrauch, Vertuschung und Einschüchterung der Opfer in der katholischen Kirche der Stadt aufgedeckt. Und genau darauf legt der Film seinen Schwerpunkt: Das Aufdecken.
Boston ist stark römisch-katholisch geprägt und Sitz der gleichnamigen Erzdiözese. Weil der Erzbischof von Boston traditionell zu den bedeutendsten und einflussreichsten Bischöfen der USA zählt, hat er zumeist den Kardinalsrang. Das machte die Sache seinerzeit besonders schwierig.
Journalistisches Spezialteam
Was passierte: Der Chefredakteur des "Boston Globe", Marty Baron (Liev Schreiber), gerade neu in diesem Amt, las in seiner Zeitung eine knappe, aber brisante Meldung. Demnach unternahm Kardinal Bernard Law, der damalige Erzbischof von Boston, nichts gegen den pädophilen Priester John Geoghan, obwohl er über dessen massiv praktizierten sexuellen Missbrauch voll im Bilde war. Baron witterte dahinter die ganz dicke Story. Deshalb setzte er über viele Monate das Spotlight-Team seiner Redaktion auf das Thema an. Dieses eher kleine Ressort ist gewissenmaßen eine Spezialtruppe von erfahrenen Journalisten, die mittels intensiver Recherche versucht, an redaktionell verwertbare Informationen und Beweise zu gelangen. Der Film begleitet dieses vierköpfige Team, gespielt von Michael Keaton, Mark Ruffalo, Rachel McAdams und John Slattery, bei der täglichen mühevollen Arbeit.
Zuschauer als Hospitant
Regisseur Tom McCarthy zeigt, wie die Protagonisten seinerzeit versuchten, Schneisen in das schier undurchdringlich wirkende Dickicht aus Vertuschen, Verschweigen, Verdrängen und Lügen zu schlagen. Die Macheten der Recherche des Spotlight-Teams waren in einer Zeit, in der das Internet längst nicht die heutigen Möglichkeiten bot, beinahe banal: Telefongespräche, Nachforschungen bei Gericht, Besuche in Selbsthilfegruppen, Befragung von Opfern, Zeugen und Informanten.
All das zeigt der Film - und noch mehr: Diskussionen und Strategien zwischen mit Papierstapeln und mächtigen Röhrenmonitoren überfrachteten Redaktionsschreibtischen. Über allem die latente Drohung der kaum greifbaren, aber mächtigen Institution Kirche und ihrer Helfer, der Zeitung notfalls juristisch zu Leibe zu rücken. Gewiefte Rechtsanwälte, Journalisten, die keineswegs idealtypisch daherkommen, sondern selber handwerkliche Fehler gemacht haben. Bei all dem wird der Zuschauer zu einem heimlichen Redaktionshospitanten, der erlebt, wie Zug um Zug die Wahrheit ans Licht kommt und sich Bahn bricht.
Diese Art von Journalismus wird gebraucht
Der Aufwand des "Boston Globe" und seines Spotlight hat sich in mancherlei Hinsicht ausgezahlt. Im Jahr 2002 beschloss die US-Bischofskonferenz schärfere Richtlinien im Umgang mit Sexualstraftaten. Sie beinhalten verlängerte Verjährungsfristen und die Laisierung von Priestern bei erwiesenem Missbrauch, also das Aussetzen ihrer Rechte und Pflichten. Viele tausend Opfer fanden den Mut, auf Schadensersatz zu klagen. Bis 2010 wurden sie mit insgesamt mehr als zwei Milliarden US-Dollar entschädigt. Für einige Bistümer bedeutete das das Aus. Weil sie die Forderungen nicht mehr bedienen konnten, mussten sie Insolvenz anmelden.
Priester John Geoghan, bei dessen Fall der "Boston Globe" 2001 ansetzte, wurde 2002 wegen Missbrauchs von Minderjährigen zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Der Erzbischof von Boston, Kardinal Bernard Law, musste wegen mutmaßlicher Verschleierung der Delikte zurücktreten und wurde auf ein klerikales Abstellgleis in Rom geschoben. Überall auf der Welt, Jahre später auch in Deutschland, fassten Missbrauchsopfer den Mut, ihre durch Priester zugefügte sexuelle Gewalt öffentlich zu machen. Der "Boston Globe" schließlich wurde für seine hervorragende Arbeit 2003 mit dem renommierten Pulitzer-Preis ausgezeichnet.
Erhöhen Oscars die Aufmerksamkeit?
Nun wurde der vermutlich beste Hollywood-Film über investigativen Journalismus seit "Die Unbestechlichen" (1976 zur Watergate-Affäre) als "Bester Film" mit einem Oscar geehrt. Dazu gab es den Oscar für das beste Drehbuch. Diese Ehrungen werden der Thematik vielleicht noch mehr Aufmerksamkeit einbringen. Seit Donnerstag (25.02.) läuft der Film in den deutschen Kinos. Nach dem US-Start von "Spotlight" Anfang November 2015 attestierte der Papst-Sender Radio Vatikan der Filmbiografie "ehrlich" und "dringend" zu sein. Sie könne der katholischen Kirche in den USA dabei helfen, ihre Sünden zuzugeben und die Konsequenzen zu tragen.