1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Hungermacher

3. November 2011

Weltbank und Vereinte Nationen warnen vor einer neuen Hungerkrise. Schuld daran sind weniger schlechte Ernten in der Landwirtschaft. Spekulanten treiben die Preise nach oben.

https://p.dw.com/p/Rssh
Ein Weizenbauer in Pakistan (Foto: AP)
Bild: AP

In den Jahren 2007 und 2008 kam es in über 30 Ländern dieser Welt zu Hungeraufständen. 115 Millionen Menschen wurden durch exorbitante Preissteigerungen bei den Grundnahrungsmitteln in extreme Armut getrieben. Reis und Getreide zum Beispiel verteuerten sich damals um über 120 Prozent. Nachdem die Preise zwischenzeitlich gefallen waren, schlagen die Vereinten Nationen und die Weltbank jetzt erneut Alarm: Die Preise für die meisten Agrarrohstoffe befinden sich inzwischen wieder auf dem Niveau von 2008.

Joachim von Braun Zentrum für Entwicklungsforschung (Foto: ZEF)
Joachim von BraunBild: ZEF

Joachim von Braun gehört zu den führenden Agrarökonomen dieser Welt. Der 61-jährige Professor leitet das Zentrum für Entwicklungsforschung an der Universität Bonn. Zuvor stand er an der Spitze des International Food Policy Research Institute in Washington. Er kennt ein ganzes Bündel von Ursachen für steigende Nahrungsmittelpreise: "Es wurde nicht genug in Landwirtschaft investiert, die Landwirtschaft in der Entwicklungszusammenarbeit vernachlässigt, Lagerbestände abgebaut, Handelsbarrieren aufgebaut, Biospritsubventionen überzogen. Diese ganze Litanei liegt dem Problem zu Grunde - und da muss vor allem angesetzt werden."

Für Arme unbezahlbar

Wenn ein Gut knapp wird, steigt sein Preis. Bei den Grundnahrungsmitteln hat das fatale Auswirkungen: Während ein Haushalt in den Industrieländern im Schnitt zehn bis 20 Prozent seines Einkommens für Nahrungsmittel ausgibt, sind es in den Haushalten der Entwicklungsländer 60 bis 80 Prozent. Verdoppeln sich die Preise für Reis und Getreide, werden sie für die ärmsten drei Milliarden Menschen auf der Welt schlicht unbezahlbar.

Weizenkörner liegen in einer Hand (Foto: DW-TV)
Vom Nachrungsmittel zum Spekulationsobjekt: WeizenBild: DW-TV

Agrarrohstoffe werden an sogenannten Warenterminbörsen gehandelt. "Und dort tummeln sich zwei unterschiedliche Gruppen von Marktteilnehmern" sagt von Braun. "Die einen, die Getreide kaufen wollen, um es weiterzuverarbeiten, das sind die traditionellen Marktteilnehmer, die nennen wir die commercial Trader." Diese kommerziellen Händler fungieren als Vermittler zwischen den Erzeugern und der verarbeitenden Industrie.

Traditionelle Händler

Produzenten und Abnehmer haben ein großes Interesse daran, sich gegen künftige Preisschwankungen abzusichern. Der Getreidebauer fürchtet einen möglichen Preisverfall, der Betreiber einer Getreidemühle dagegen einen möglichen Preisanstieg. Deshalb schließen beide Seiten mit den kommerziellen Händlern Verträge über künftige Ernten ab, die sogenannten Futures. Die kommerziellen Trader verlangen zwar von beiden Seiten Gebühren, dafür aber zahlen sie dem Bauern den Verlust, wenn der Preis fallen sollte, oder dem Abnehmer die Differenz, wenn der Preis steigen sollte. Daher gelten die kommerziellen Händler als markt- und preisstabilisierend. Die Futures, mit denen sie handeln, haben reale Lieferungen als Grundlage.

Börsensaal in Chicago (Foto: AP)
Preise nach oben: Börsensaal in ChicagoBild: AP

Ganz anders dagegen die Gruppe der sogenannten Finanzinvestoren oder auch Spekulanten. Sie handeln auch mit Futures, sind aber am physischen Produkt selbst überhaupt nicht interessiert. Sondern nur an der enormen Rendite, die man erzielen kann, wenn man auf steigende oder fallende Preise wettet. Global operierende Banken, Versicherungen und Fonds haben seit etwa zehn Jahren die Rohstoffmärkte als Spielwiese für Spekulationen entdeckt, nachdem um die Jahrtausendwende die dot.com-Blase und 2008 die Immobilienblase platzte und das renditehungrige Kapital neue Anlageformen suchen musste.

Wetten beeinflussen den realen Markt

Zwar argumentiert die Finanzindustrie, dass Wetten auf künftige Preise eines Produkts keinen Einfluss auf den tatsächlichen Preis haben können, doch Professor Joachim vom Braun vom Zentrum für Entwicklungsforschung ist da ganz anderer Meinung: "Die Aktivitäten dieser Akteure beeinflussen sehr wohl die Preisbildung. Denn sie halten in erheblichem Maße Kontrakte von Getreide und verengen damit den Markt als Ganzes." Hinzu kämen Marktstörungen durch Handelsbehinderungen, auf die die Finanzanleger ebenfalls spekulierten. "Die Aktivitäten der Finanzanleger beeinflussen den Realmarkt inzwischen ganz erheblich", so von Brauns Fazit.

Ein Mähdrescher in Endingen am Kaiserstuhl (Foto: AP)
Schlechter Ernten erklären die Preissprünge nichtBild: AP

Ganz erheblich - das ist leicht untertrieben. Bis Ende März dieses Jahres hatte die Finanzindustrie über 120 Milliarden Dollar in Wertpapiere investiert, die auf steigende Preise bei Agrarrohstoffen spekulieren. Das haben Experten der britischen Barclays-Bank ausgerechnet. Und diese Anlagen nähmen monatlich um fünf bis zehn Milliarden Dollar zu. Allein an der Rohstoffbörse in Chicago werden Weizenkontrakte gehandelt, die die physisch vorhandene Weltweizenernte eines Jahres um das achtfache übersteigen.

Verbote gefordert

Kein Wunder, dass Nichtregierungsorganisationen wie Foodwatch immer lauter fordern, institutionelle Anleger sollten von Geschäften mit Agrarrohstoffen ganz ausgeschlossen werden, Publikumsfonds für Agrar- und Energierohstoffe sollten verboten werden. So weit würde Joachim von Braun zwar nicht gehen - aber er hat klare Vorstellungen davon, wie man die Spekulation eindämmen könnte: "Mein Plädoyer ist, die Gruppe der kommerziellen Händler, die sich absichern, nicht anzutasten. Ihr Geschäft dient der Beruhigung des Marktgeschehens. Aber klare Regelungen für Transparenz und Verteuerung der Spekulation für die zweite Gruppe, nämlich die Indexfonds, die am Produkt als solches überhaupt gar kein Interesse haben."

Thilo Bode (Foto: DW-TV)
Verbot gefordert: Foodwatch- Geschäftsführer Thilo BodeBild: DW-TV

Entschleunigung, Transparenz und Verteuerung sind für ihn die Mittel der Wahl. Der Handel würde erheblich verlangsamt, wenn die Spekulanten verpflichtet wären, ihre Futures nicht nur einige Sekunden, sondern einige Tage zu halten. Der Handel würde transparenter, wenn die Anleger ihre Engagements offenlegen müssten und der außerbörsliche Handel zurück an die Börse gebracht und damit meldepflichtig würde. Und der Handel - und damit die Spekulation - würde teurer, wenn die Anleger verpflichtet würden, ihre Positionen mit mehr Kapital zu unterlegen als bisher.

Schlupflöcher stopfen

"Nach der Weltfinanzkrise 2008/2009 sind unsere Banken ja zunehmend reguliert worden", so der Agrarökonom von Braun. "Doch der Bereich der Warenterminmärkte war weitgehend ausgeklammert, das Schlupfloch für hohes Risiko, hohen Gewinn war weiter offen. Das wird erst jetzt so langsam gestopft. Die Amerikaner fangen das gerade an." Tatsächlich hat die US-Börsenaufsicht im Oktober einen Entwurf zur Regulierung des Handels mit Öl, Metallen und Getreide verabschiedet, der die Zahl der von einem Händler gehaltenen Kontrakte begrenzen soll.

Und EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier hat in Brüssel ein Gesetzespaket zur Reform der Finanzmarkt-Richtlinie vorgelegt, nach dem Händler an Warenterminbörsen künftig ihre Positionen melden müssen, so dass die Aufsicht besser eingreifen und bei Marktstörungen Limits für Handelspositionen verhängen kann.

Autor: Rolf Wenkel
Redaktion: Matthias von Hein