Energiepolitische Spannungen
8. November 2012Der russische Präsident Wladimir Putin sagte vor wenigen Tagen seinen für den 9. November geplanten Besuch in Bulgarien ab. Dieser Besuch galt als Symbol des festen Willens Moskaus, die Energiekooperation mit Sofia auszubauen. Doch diese Zusammenarbeit hat zu Spannungen geführt: Denn im vergangenen Jahr zog sich Bulgarien aus zwei Projekten mit russischer Beteiligung zurück - dem Bau des Atomkraftwerks "Belene" und der Pipeline "Burgas-Alexandroupolis", obwohl Bulgarien fast gänzlich auf russische Erdgaslieferungen angewiesen ist. Die Pipeline "South Stream" ist das letzte milliardenschwere Energieprojekt mit russischer Beteiligung, bei dem die bulgarische Regierung noch mitmacht.
Statt Putin kommt am 9. November nun Alexej Miller, Konzernchef des staatlichen russischen Gasriesen Gazprom, nach Sofia - mit einer endgültigen Investitionsentscheidung für die Pipeline "South Stream". Die Gasleitung soll von Russland über Bulgarien bis nach Italien führen. Etwa 900 Kilometer der Leitung werden unter dem Schwarzen Meer liegen. Die Strecke ist wesentlich kürzer als die bei der Ostseepipeline "Nord Stream". Doch auch hier wird das Investitionsvolumen auf mehrere Milliarden Euro geschätzt.
Schwierige Beziehung zwischen ehemaligen "sozialistischen Bruderstaaten"
Die Kosten würden sich für Russland lohnen, denn auf diese Weise würde Moskau seine Gasexporte nach Europa nicht mehr über die Ukraine leiten müssen: Mehrfach behinderten Streitigkeiten mit Kiew in der Vergangenheit die russischen Gasexporte nach Europa. Zwar schreibt Gazprom im Projektpapier für "South Stream", dass alle Umweltrisiken nach internationalen Standards geprüft würden. Doch bisher sind diesbezüglich keine konkreten Schritte in der Öffentlichkeit bekannt geworden.
Beim Bau der Ostsee-Pipeline "Nord Stream" wurden nach Angaben der Betreiber etwa 100 Millionen Euro in Umweltstudien investiert. Über vergleichbare Studien sei im Fall von "South Stream" nichts an die Öffentlichkeit gelangt - daher liege die Vermutung nahe, dass in diesem Fall die Bemühungen für die Umwelt nicht allzu groß sein könnten, kritisiert das angesehene bulgarische Nachrichtenportal Mediapool.
Die Beziehungen zwischen den einstigen "sozialistischen Bruderstaaten" Bulgarien und Russland verschlechtern sich mit den Problemen der Energieprojekte. Einen Tiefpunkt erreichten sie im Frühjahr, als die Regierung in Sofia den Bau des umstrittenen Atomkraftwerks "Belene" in Bulgarien stoppte. Kurz darauf klagte das russische staatliche Unternehmen Atomstrojexport, das an dem Projekt beteiligt war, vor einem internationalen Schiedsgericht auf eine Milliarde Euro Entschädigung für entgangene Gewinne.
Referendum über neues Atomkraftwerk
Eigentlich hätte der Bau bereits im September 2011 anfangen sollen. Bulgarien begründete seine Entscheidung mit dem Mangel an internationalen Investoren sowie mit der schlechten wirtschaftlichen Bewertung des Projekts. Ursprünglich wurden die Kosten des Projekts auf vier bis sechs Milliarden Euro geschätzt. Doch laut der Studie eines britischen Beratungsunternehmens hätten die Kosten die doppelte Höhe erreicht.
"Das Projekt ist absolut unvorhersehbar für den labilen bulgarischen Energiesektor - nicht nur aus wirtschaftlicher, sondern auch aus ökologischer und sozialer Sicht", meint Iljan Vassilev, Leiter der bulgarischen Filiale des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Deloitte & Touche. "Es birgt Risiken, die Bulgarien sogar in die finanzielle Schieflage Griechenlands bringen könnten".
Bulgarien gibt aber seine Ambitionen im Bereich der Atomenergie nicht so einfach auf. Für Januar 2013 ist ein Referendum geplant, bei dem die Bürger darüber abstimmen können, ob das Land weiterhin die Atomenergie ausbauen soll. Doch dass genug Stimmberechtigte am Referendum teilnehmen, damit dieses gültig ist, sei nicht zu erwarten, meint der Politologe Ognyan Minchev, Leiter des Instituts für regionale und internationale Studien in Sofia. Außerdem würde ein solches Projekt mit mehrheitlich russischer Beteiligung bei den internationalen Partnern Bulgariens in der EU und NATO auf wenig Gegenliebe stoßen, gibt der Experte zu bedenken.