Energiewende im Urlaubsparadies
21. November 2014Um die kleine Insel El Hierro mit ihren rund 10.000 Einwohnern zu erreichen, braucht es eine ganze Menge fossilen Brennstoffs. Mindestens einen Flug, dann eine kleinere Propellermaschine oder Fähre, um auf die westlichste der Kanarischen Inseln zu kommen, mitten im Atlantik und rund 1000 Kilometer vom europäischen Festland entfernt. Es war der letzte Zipfel Land, den Christopher Columbus sah, bevor er die "Neue Welt" erreichte.
El Hierro gehört zu Spanien, obwohl die Reise vom Festland dorthin gut zwölf Stunden dauert. Diese Strecke mussten auch die mit Diesel beladenen Tanker bislang zurücklegen. Etwa 6600 Tonnen Diesel wurden jährlich vom Festland per Schiff geliefert - ein teures und wenig umweltfreundliches Unterfangen. Doch für elektrische Stromleitungen unter Wasser ist der Meeresboden um die aktive Vulkaninsel zu unruhig und das Wasser viel zu tief.
Keine Diesellieferungen zur Stromversorgung
Im Sommer 2014 hat El Hierro auf grüne Energie umgestellt und ist damit die erste energieautarke Insel der Welt. Mit der Nutzung von Wind- und Wasserkraft ist es ihr gelungen, sich vollständig von fossilen Brennstoffen unabhängig zu machen.
Windräder profitieren von den atlantischen Passatwinden auf den Kanarischen Inseln. Sinkt der Strombedarf - zum Beispiel nachts - wird die überschüssige Windenergie genutzt, um Energie aus Wasser zu gewinnen. Das Wasser wird aus einem Tank im Meer in ein Becken am Hang des Vulkans gepumpt. Bei Flaute strömt es durch Turbinen den Berg hinunter – und generiert dadurch wieder Strom.
"Grüne" Inseln gibt es bereits anderswo: Tokelau, eine winzige Insel im Südpazifik, und die dänische Insel Samso decken ihren Energiebedarf auch aus erneuerbaren Energiequellen. Während beide schon vorher an ein Stromnetz angeschlossen waren, hat El Hierro die Energiewende allerdings aus dem Stand gestemmt.
Ideale Bedingungen
Fünf riesige Windräder, verteilt über den massiven Vulkan mitten auf El Hierro, liefern mit ihrer Leistung von 48 Gigawattstunden Strom für die ganze Insel. "Die sind 64 Meter hoch. Es war ein logistischer Albtraum, sie zunächst auf die Insel und dann auf diesen Berg zu bekommen!", erzählt Juan Manuel Quintero und lacht. Der Ingenieur sitzt im Vorstand der Windanlage "Gorona del Viento". "Sie waren in drei Segmente aufgeteilt und kamen in unterschiedlichen Häfen an", erzählt Quintero. "Für den Transport mussten wir die Straßen verbreitern."
Sensoren sorgen dafür, dass bereits nach fünf Sekunden Flaute das Pumpspeicherkraftwerk anläuft. Die Inselbewohner merken nichts von dem Wechsel - noch nicht einmal ein kurzes Flackern der Beleuchtung. Und doch ist das System relativ einfach konzipiert. Es wird rund um die Uhr von zwei Ingenieuren überwacht. "Es ist wirklich einmalig", meint Quintero. "Jedes für sich wird schon genutzt, aber bisher hat noch keiner Wind und Wasser kombiniert", meint der Experte. Die Windräder und Wasserturbinen seien vorgefertigt gewesen, erklärt er und fügt hinzu, das einzig Innovative war, "die zwei Systeme zu verbinden".
In die Zukunft investieren
Die spanische Regierung, die lokale Universität und ein spanisches Elektrizitätswerk haben insgesamt 90 Millionen Euro in das Projekt investiert. Die "Gorona del Viento"-Anlage war eines der letzten von der spanischen Regierung genehmigten Projekte, bevor Madrid im Zuge der Wirtschaftskrise vor zwei Jahren alle Zuschüsse für den Ausbau der erneuerbaren Energie gestrichen hat.
Inselpräsident Alpidio Armas beklagt die Auswanderungswelle auf El Hierro. Menschen, die hier geboren wurden, haben sich nach Europa und Amerika aufgemacht, auf der Suche nach Arbeit oder einem besseren Leben, weg von der windumtosten rauen Insel. Die Energiewende könnte die Menschen zurücklocken, hofft der Chef der Inselregierung - sie hätten jetzt allen Grund, stolz auf ihre Insel zu sein. "Wenn sie das Licht einschalten, denken sie automatisch an die Windräder und vielleicht auch daran, dass die Energie für diese Räder von hier kommt, und nicht aus konventionellem Antrieb", hofft er.
Die meisten Inselbewohner scheinen das Projekt zu unterstützen, auch wenn sich die Neuerung keinesfalls mindernd auf die Stromrechnung auswirkt. Egal, wo der Strom herkommt, in Spanien zahlen alle den gleichen nationalen Tarif. Dennoch spart die Regierung in Madrid durch den Wegfall der Diesellieferungen fast zwei Millionen Euro im Jahr - Bau-und Unterhaltskosten eingerechnet.
Gonzalo Escribano, Energieexperte am Madrider "Real Instituto Elcano" macht auch auf einen anderen Punkt aufmerksam: "Was werden wir in 20 Jahren für Öl zahlen? Wir wissen es nicht, aber wir wissen, dass es in 20 Jahren noch Wind auf den Kanaren gibt." Und die Umweltbilanz spricht aus Sicht der Experten ebenfalls für das Projekt: El Hierro verhindert durch den Verzicht von etwa 40.000 Barrel Öl pro Jahr die Emission von etwas 20.000 Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre. Der nächste Schritt ist bereits in Planung. Der Inselpräsident will bis 2020 alle Fahrzeuge auf Elektroantrieb umstellen.