Spaniens Zimmermädchen machen Druck
24. August 2019Sie sind die dienstbaren Geister im Hintergrund. Ohne sie geht nichts und dennoch werden sie zum Teil sehr schlecht behandelt und vor allem bezahlt. Die Zimmermädchen in Spanien, die Camareras, gehen nun auf die Barrikaden. Ohne sie wären die Milliardenumsätze der starken Tourismusindustrie gar nicht möglich. Die Millionen Besucher hingegen ahnen gar nichts vom Elend der Frauen.
"Wir werden schlechter behandelt als Tiere. Mit uns kann man praktisch alles machen", versichert die 52-jährige Amalia aus Alicante, der dpa. Mit "wir" meint Amalia die rund 200.000 Zimmermädchen Spaniens, die eine "zunehmend brutale Ausbeutung" seitens der Hotels und anderer Touristenunterkünfte beklagen.
An diesem Sonntag wollen Spaniens Zimmermädchen in zahlreichen Städten abends auf die Straßen gehen, um auf ihre prekäre Lage aufmerksam zu machen und Verbesserungen zu fordern. Auf den Balearen-Inseln Ibiza und Formentera geht der Protest noch weiter: Mitten in der Hochsaison legen die Frauen das gesamte Wochenende über die Arbeit nieder.
Gewerkschaften halten sich heraus
Die Demos und Streiks werden von den Regionalverbänden der 2016 gegründeten Interessenvertretung "Las Kellys" organisiert. "Las Kellys" wird von den Anfangssilben des Spanischen "Las que limpian" (Die, die sauber machen) abgeleitet. "Die Gewerkschaften haben uns kaum geholfen. Wir haben gemerkt, dass wir uns selber helfen mussten", erzählt Maria Fresneda, die Sprecherin der Gruppe in Alicante.
Auf Ibiza bereitet die dortige "Kellys"-Chefin Milagros Carreño den ersten Zimmermädchen-Streik auf den Balearen vor. "Bei uns gibt es Camareras, die bis zu 37 Zimmer pro Tag reinigen müssen", erzählt die 54-Jährige. "Wir wollen, dass die Arbeit der Zimmermädchen nicht mehr an Fremdunternehmen ausgelagert wird, sondern dass alle direkt vom Hotel angestellt werden. Schließlich würde ohne uns der ganze Betrieb nicht laufen. Außerdem fordern wir ein Recht auf Vorruhestand und dass es mehr Inspekteure gibt, die unsere Arbeitsbedingungen überprüfen, sagt Myriam Barros, Präsidentin von "Las Kellys", im Interview mit Spiegel-Online.
Im Schnitt haben die Frauen pro Zimmer lediglich 15 bis 20 Minuten Zeit. Da sie auch für die Reinigung anderer Bereiche des Hotels zuständig sind, reicht das kaum. Die Folgen sind unbezahlte Überstunden und ein stressiges Rennen gegen die Uhr, dem oft Toiletten- oder Essenspausen zum Opfer fallen. "Ganz schlimm ist es, wenn es an einem Tag besonders viele Check-out-Zimmer gibt. Nicht selten brauchst du dann eine oder eineinhalb Stunden für eine einzige Komplettreinigung", sagt die 40-jährige Vicky. Man finde auf den Zimmern Erbrochenes, Sand vom Strand, zerbrochene Flaschen, schmutzige Windeln auf den Betten und "vieles mehr". Trinkgeld von den Gästen bekomme man - anders als bis zu den 1990er Jahren - kaum noch, auch ein nettes Wort sei sehr selten geworden, sagen die "Kellys".
Schmerzen - Depressionen - Tabletten
Geschätzt 99 Prozent der Putzkräfte sind Frauen. Männer findet man hier kaum. Trotzdem müssen die Frauen körperlich ran. Es müssen Möbel gerückt, Matratzen gehoben und schwere Wäschewagen von Zimmer zu Zimmer geschoben werden. Dazu kommen ständig wiederholte, gleichartige Bewegungen und der Einsatz aggressiver Reinigungsmittel, die Allergien auslösen können.
Die Mehrheit der Zimmermädchen bekommt irgendwann Rücken- und Gelenkprobleme. Amalia erzählt von Eingriffen an der Halswirbelsäule. "Bin für immer und ewig kaputt." Maria sagt: "Im Sport ist Doping verboten. Bei uns ist es aber Alltag, und allen ist es offenbar egal. Ohne Medikamente gegen Schmerzen, Übermüdung und Depressionen hält man die unmenschliche Arbeit, die wir machen, nicht aus. Und nach der Arbeitsmarktreform von 2012 ist unsere Lage viel, viel schlimmer geworden. Eine Kollegin, die heute anfängt, hält es keine fünf Jahre aus."
Neokapitalistische Relikte aus der Rajoy-Ära
Seit der Reform, die der damalige konservative Regierungschef Mariano Rajoy beschloss, sind stark befristete Verträge auch für zum Teil wenige Stunden erlaubt. Immer häufiger wird zudem auf Personal von Leiharbeitsfirmen zurückgegriffen. Dieses hat einen schlechteren Kündigungsschutz, eine schlechtere Altersvorsorge, weniger Lohn. "Wir bekommen im Schnitt 1000 Euro pro Monat, die Kolleginnen der Fremdfirmen oft weniger als 700 Euro", klagt Vicky.
Boomende Sparte
Der Tourismus boomt in Spanien, die Zahl der Besucher kletterte von 68 Millionen 2015 auf knapp 83 Millionen im vorigen Jahr. Mit knapp 90 Milliarden Euro gaben die Besucher 2018 über drei Prozent mehr als im Vorjahr aus, wie das Tourismusministerium mitteilte. Am überfüllten Strand von Alicante hört man an diesem Tag im August neben Englisch, Spanisch, Italienisch und Französisch auch viel Deutsch.
cgn/rb (dpa, spiegel-online.de)