Der steinige Weg zur Professionalisierung
11. Juni 2019Der letzte Erfolg der deutschen Frauen-Nationalmannschaft bei einer WM liegt zwölf Jahre zurück. Damals holte das Team von Nationaltrainerin Silvia Neid in China den Titel. Im Endspiel gegen Brasilien traf Spielführerin Birgit Prinz zur 1:0-Führung, ehe Simone Laudehr das 2:0 machte. Auch mehr als ein Jahrzehnt später gehören Deutschlands Fußballerinnen immer noch zu den Besten der Welt, doch es gibt immer mehr Nationen, die nachrücken. Der Unterschied an der Spitze wird immer kleiner, weil viele Länder ihre Ligen und Nationalmannschaften gezielt fördern.
Spanien als Gegner in der Gruppenphase
Ein gutes Beispiel dafür ist Spanien. Dort hat in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung stattgefunden. Am 12. Juni, im zweiten Gruppenspiel, werden die Spanierinnen auf die DFB-Frauen treffen, für die das Turnier in Frankreich nach der schwachen EM vor zwei Jahren richtungweisend sein wird. Das glaubt zumindest Verónica Boquete, die sich sowohl im spanischen als auch im deutschen Frauenfußball bestens auskennt. Zwischen 2014 und 2016 spielte die mittlerweile 32-Jährige für den 1. FFC Frankfurt und für den FC Bayern München in der Bundesliga.
"Deutschland erlebt gerade einen Generationswandel, weil viele erfahrene Spielerinnen aufgehört haben und die jungen jetzt ihre eigene Geschichte schreiben müssen", sagte Boquete, die ihre Karriere momentan in den USA bei den Utah Royals ausklingen lässt, der DW.
Die Überraschung ist möglich
Während Deutschland aus Boquetes Sicht zu den ganz großen Favoriten im Turnier zählt, sieht sie Spanien "nur" als einen Geheimfavoriten. Im direkten Duell werde es für die Spanierinnen erst einmal darum gehen, "Deutschlands Umschaltspiel auszuschalten". Das Achtelfinale sollte danach das Minimalziel sein.
Wenn die spanischen Fußballerinnen auf "ihr bestes Niveau kommen" und man "etwas Glück mit den Rivalen" habe, könnten sie "für eine Überraschung sorgen", glaubt Boquete.
Dennoch müsse man "die Kirche im Dorf lassen", findet Pedro Malabia, Direktor des Frauenfußballs beim spanischen Verband "La Liga": "Eine WM ist immer unberechenbar." Bei der ersten WM-Teilnahme in der Geschichte des spanischen Frauenfußballs im Jahr 2015 blieb man sieglos.
Barcelona und Madrid stellen das Gerüst
Doch der spanische Frauenfußball hat sich weiter entwickelt. Noch vor vier Jahren war das Niveau der spanischen Liga sehr überschaubar, und die Spielerinnen galten nicht als Profis. Um erfolgreich zu sein, mussten sie ihr Glück in anderen Ländern suchen, wie Boquete, die im Jahr 2015 mit dem 1. FFC Frankfurt als erste Spanierin die Champions League gewinnen konnte. Seitdem hat sich ihrer Meinung nach vieles geändert: "Die Entwicklung der letzten zwei bis drei Jahre war sehr gut."
Die aktuelle Nationalmannschaft ist stark wie nie zuvor. Sie besteht überwiegend aus Spielerinnen der beiden Topklubs Atlético Madrid (fünf Spielerinnen) und FC Barcelona (zehn). Aus der spanischen Stammformation spielt nur die Innenverteidigerin Irene Paredes im Ausland, bei Paris Saint Germain. Der große Star ist Jennifer Hermoso. Die Mittelstürmerin läuft für Atlético auf und hat in der abgelaufenen Saison in 28 Spielen 24 Tore geschossen.
Die Neugeburt des spanischen Frauenfußballs
Eine prägende Rolle bei der Entwicklung des spanischen Frauenfußballs hat Pedro Malabia gespielt. Im Jahr 2015 arbeitete er noch in seiner Heimatstadt für die Frauenabteilung des FC Valencia. Zu jener Zeit gab es zwar einzelne Versuche, den Frauenfußball voranzutreiben, aber noch keine Kooperation.
2015 entschieden mehrere Vereine, den spanischen Ligaverband "La Liga" (eigentlich Liga Nacional de Fútbol Profesional - LFP) einzuschalten. "La Liga" ist für die spanische Männerliga zuständig, die Meisterschaft der Frauen liegt in der Verantwortung des Verbands RFEF (Real Federación Espanola de Fútbol). Die Frauen-Klubs wollten jedoch, dass "La Liga" ihnen dabei half, ein neues Projekt zu entwickeln, um den spanischen Frauenfußball zu fördern.
Daraufhin wurde die Vereinigung der Frauenfußball-Klubs ACFF (Asociación de Clubes de Fútbol Femenino) gegründet. Malabia wurde zum ersten Präsidenten der ACFF ernannt und anschließend auch zum Direktor des Frauenfußballs in "La Liga". Gemeinsam entwickelte man ein neues Projekt, dass prompt auch einen neuen Sponsor anzog: Iberdrola, eines der größten Stromunternehmen Spaniens.
Starker Anstieg der Lizenzen für Spielerinnen
Seitdem hat sich der Frauenfußball professioneller aufgestellt. Der Pay-TV-Sender "BeIN" und der öffentliche Sender "Gol" sicherten sich die Rechte für die Übertragung der Spiele der Liga Iberdrola. Es sei bei der Entwicklung des spanischen Frauenfußballs nicht nur darum gegangen, den Spielerinnen bessere Gehälter zu zahlen, sondern auch "bessere Strukturen und Trainingseinrichtungen zu schaffen sowie die TV-Präsenz zu steigern und Sponsoren zu gewinnen", sagte Malabia der DW.
Laut einer UEFA-Studie ist Spanien hinter Frankreich das europäische Land, in dem pro Jahr die zweitmeisten neuen Spiellizenzen für Frauen ausgestellt werden. Im Vergleich zu 2012 ist die Zahl der aktiven Fußballerinnen um 63 Prozent gestiegen. Deutschland ist zwar immer noch das Land mit den meisten Lizenzen, aber hier ist die Zahl der Spielerinnen um 22 Prozent zurückgegangen.
Im März 2019 wurde ein neuer Rekord für ein Spiel der spanischen Frauenliga aufgestellt, der diese Tendenz bestätigt: 60.739 Zuschauer verfolgten im Stadion Wanda Metropolitano in Madrid die Partie zwischen Tabellenführer Atlético und Verfolger FC Barcelona. Es war das am zweitbesten besuchte Frauenspiel aller Zeiten nach dem WM-Finale von 1999 zwischen den USA und China mit 90.000 Zuschauern im Rose-Bowl-Stadion in Pasadena.
Das Niveau der spanischen Frauenteams ist gestiegen. Mit dem FC Barcelona stand in der abgelaufenen Saison erstmals eine spanische Mannschaft im Finale der Champions League.
Zwar verloren die Katalaninnen mit 1:4 gegen Olympique Lyon, die Übermacht im europäischen Frauenfußball, Malabia bewertet aber schon den Finaleinzug einer spanischen Mannschaft als großen Erfolg, weil "ganz Europa sehen konnte, dass sich die gute Arbeit auch auf dem Platz auszahlt".
Dennoch, glaubt Verónica Boquete, könnten "momentan nur der FC Barcelona und vielleicht auch Atlético Madrid mit den ganz Großen in Europa mithalten". Die Zahl der konkurrenzfähigen Vereine steige, hält "La Liga"-Direktor Malabia dagegen: "Barcelona wurde in der Liga hinter Atlético nur Zweiter, und den Pokal holte Real Sociedad."
Die Nationalmannschaft profitiert
Am Ende profitiert auch die Nationalmannschaft von dieser Entwicklung: Zum zweiten Mal ist Spanien bei einer WM dabei. Der Start ins Turnier verlief ein bisschen holprig. Lange lag das Team gegen Außenseiter Südafrika zurück, gewann am Ende aber doch noch mit 3:1 (0:1). Bereits 2017 hatte Spanien den prestigeträchtigen Algarve Cup gewonnen.
Am erfolgreichsten ist das Land jedoch im Juniorinnenbereich. 2018 wurde die U17 sowohl Welt- als auch Europameister. Die U19 gewann zum insgesamt dritten Mal die EM, zum zweiten Mal in Folge. Und die U20 scheiterte erst im WM-Finale an Japan.
Die Entwicklung erinnert an die der Männer-Nationalmannschaft. Auch dort war Spanien zuerst in den Junioren-Nationalmannschaften erfolgreich. Als die Talente dann in die A-Nationalmannschaft wechselten, stellten sich auch dort die Triumphe ein: Vier Jahre lang dominierte Spanien den Weltfußball und gewann die Weltmeisterschaft 2010 sowie die Europameisterschaften 2008 und 2012. Auf einen ähnlichen Prozess hofft man nun auch im Frauenfußball.