Spanien: 20.000 Euro Grunderbe für Jugendliche?
9. Juli 2023"Meine wirtschaftliche Situation ist schrecklich", sagt Maria Cañas. Sie studiert im zweiten Jahr Medizin an einer Universität in Salamanca in Spanien. Mit 16 Jahren fing sie an zu arbeiten, um Geld fürs Studium zu sparen. Mit 28 Jahren konnte sie sich schließlich für Medizin einschreiben. Jetzt ist sie 30 Jahre alt und weiß, wie es sich anfühlt, mit dem Existenzminimum auszukommen.
Das könnte sich mit dem Vorschlag der spanischen Arbeits- und Sozialministerin Yolanda Díaz ändern. Sie und ihre linke Plattform Sumar wollen allen jungen Menschen zwischen 18 und 23 Jahren die Summe von 20.000 Euro zur Verfügung stellen. Das Grunderbe, vergleichbar etwa der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens, soll die soziale Ungleichheit in Spanien verringern. Junge Menschen sollen eine Basis haben, die ihnen ein Studium, eine Ausbildung oder eine Firmengründung ermöglicht.
Dabei sollen die Mittel allen jungen Spaniern und Spanierinnen zugute kommen - unabhängig von ihren wirtschaftlichen Verhältnissen. Eine halbe Million Menschen werden in Spanien pro Jahr volljährig, die Kosten für das Grunderbe beliefen sich dementsprechend auf zehn Milliarden Euro, was rund 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Finanziert werden sollen die Hilfen durch eine Steuer für Reiche.
Völlig neu ist der Vorschlag nicht, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hatte beispielsweise Ende 2021 in einer Studie einen ähnlichen Plan vorgelegt. Verschiedene Politiker und Experten haben ihn seitdem aufgegriffen. Doch in Spanien ist er jetzt das erste Mal Teil einer Wahlkampagne. Denn Arbeitsministerin Díaz will Ende Juli Spaniens vorgezogene Parlamentswahlen gewinnen. Medizinstudentin Maria Cañas sagt: Hätte sie die 20.000 Euro in jungen Jahren erhalten, hätte sie es leichter gehabt.
Das Erbe bestimmt die Zukunftsaussichten
In dem Konzept steckt gesellschaftlicher Zündstoff, denn es geht um grundsätzliche Fragen: Wie können alle Menschen gleiche Chancen im Leben bekommen? Wie kann eine Gesellschaft die Vermögen fair unter ihren Mitgliedern verteilen? Und wie können alle Generationen gerecht bedacht werden? Wie kann Vermögen überhaupt angehäuft und gehalten werden?
Fakt ist: Das Vermögen der Familien, also das Erbe, bestimmt den Lebensweg von jungen Menschen in Spanien. "Die Vermögensungleichheit ist viel größer als die Einkommensungleichheit", so José Ignacio Conde-Ruíz, stellvertretender Direktor der Stiftung für angewandte Wirtschaftsstudien (FEDEA), gegenüber der DW. Er findet das besorgniserregend.
Laut Daten des Zentrums für Wirtschaftspolitik (EsadeEcPol) hat das Familieneinkommen einen solchen Einfluss, dass die Kinder der reichsten zehn Prozent der Bevölkerung im Erwachsenenalter über ein durchschnittliches Jahreseinkommen von fast 30.000 Euro pro Person verfügen und das reichste ein Prozent über ein Jahreseinkommen von fast 40.000 Euro. Im Gegensatz dazu verfügen die Nachkommen der ärmsten zehn Prozent über ein durchschnittliches Jahreseinkommen von knapp 17.000 Euro. Ein sozialer Aufstieg gelingt dabei nur den wenigsten.
"Wir haben eine große Vermögensungleichheit, die von Generation zu Generation weitergegeben wird", sagt Jorge Galindo, stellvertretender Direktor des EsadeEcPol, im Gespräch mit der DW. Das Grunderbe "könnte ein Weg sein, diese Weitergabe der Ungleichheit zu unterbrechen". Dadurch bekämen junge Menschen in Spanien mehr Freiheit, über ihr Leben zu entscheiden.
Doch selbst bei Befürwortern ist der Vorschlag im Detail umstritten. Soll das Geld wirklich allen Jugendlichen zur Verfügung stehen, egal, ob ihre Familie wohlhabend ist oder nicht? "Eine universelle Maßnahme wäre leichter umzusetzen, weil die Finanzierung über eine neue Steuer für Reiche erfolgt", argumentiert Conde-Ruíz. "Die jungen Leute, die aus einem privilegierteren Umfeld kommen, würden immer noch das Grunderbe erhalten, aber sie müssen auch eine Menge Steuern zahlen."
Experten wie Galindo halten dagegen. Die Maßnahme sei erheblich wirksamer, so der Politikwissenschaftler, wenn sie vom Einkommen oder Vermögen des Haushalts abhängig gemacht werde. Andere Fachleute sehen weitere Hebel, um ererbte Privilegien auszugleichen, etwa einen besseren Zugang zu bezahlbarem Wohnraum.
Soziale Ungleichheit in ganz Europa
Die sozialen und finanziellen Ungleichheiten in Spanien sind kein Einzelfall - auch junge Europäer und Europäerinnen in anderen Ländern blicken zunehmend pessimistisch in die Zukunft. In einer TUI-Jugendstudie von Mitte Juni 2023 sagten 68 Prozent der Befragten, das Einkommen in ihrem Heimatland sein "sehr" oder "eher" ungleich verteilt.
Mit der Idee des garantierten Grunderbes ist Spanien Vorreiter in Europa. In anderen EU-Staaten sehen die Maßnahmen für Chancengleichheit sehr unterschiedlich aus. In Deutschland gibt es mit den Hilfen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, dem sogenannten BAföG, zum Beispiel finanzielle Unterstützung für Studierende. Die Summe richtet sich dabei nach dem Gehalt der Eltern - je weniger sie verdienen, desto mehr können ihre Kinder bekommen. Eine Förderung für Studierende, die eher universell ausgerichtet ist, existiert in Schweden und Dänemark. Spaniens Arbeitsministerin Yolanda Díaz argumentiert, dass nach ihren Plänen junge Menschen selbst entscheiden können, wofür sie das Geld ausgeben - sie müssen es nicht in Bildung investieren.
Wie realistisch ist das Grunderbe?
Ob das garantierte Grunderbe in Spanien Wirklichkeit wird, steht allerdings noch in den Sternen. Denn zum einen ist es bisher nur ein Vorschlag in einem Wahlprogramm. Und zum anderen ist selbst in diesem Rahmen unklar, wie die Umsetzung konkret aussehen könnte. Wer soll die Steuern berappen, aus denen die Unterstützung finanziert wird? Und falls die Gelder aus dem bestehenden Haushalt kommen - wie genau würden sie dann eingesetzt? Wirtschaftswissenschaftler Conde-Ruíz gibt zu bedenken, dass die Politik sich schwer tue, dafür andere Unterstützungsleistungen einzuschränken, etwa die Renten.
Das führt zur Frage der Generationengerechtigkeit, und die ist in Spanien gerade hochaktuell. Denn jüngst sind die Renten um acht Prozent für alle Rentenbeziehende erhöht worden - die Jungen aber sind leer ausgegangen, so sehen es einige. Genau da setzt Yolanda Díaz' Plattform Sumar mit dem Grunderbe an. Es soll das Gleichgewicht zwischen den Generationen wiederherstellen.
"Der Staat würde jungen Menschen damit helfen, weil er versteht, dass die Wirtschaft des Landes später von Menschen geführt werden muss, die jetzt jung sind", so Maria Cañas. Für sie wäre das eine wichtige Investition in die Zukunft der jungen Spanier und Spanierinnen.
In einer früheren Version bezeichneten wir unseren Gesprächspartner Jorge Galindo als Direktor des EsadeEcPol. Er ist jedoch stellvertretender Direktor. Dies wurde korrigiert. Die Redaktion bittet, den Fehler zu entschuldigen.