Portrait Fanprojekt Essen
16. Januar 2012Wenn Michael Welling, 1. Vorsitzender des Fußballvereins Rot-Weiss Essen, über seinen Verein spricht, ist er mit ganzem Herzen dabei. Und das, obwohl die glorreichen Zeiten an der Hafenstraße längst vorüber sind. Der ehemalige Bundesligist kickt aktuell in der Regionalliga, das ist die vierthöchste Liga in Deutschland. Dennoch hat RWE eine treue Fangemeinde – mehrere Tausend Anhänger kommen Woche für Woche ins Stadion oder nehmen die Auswärtsfahrten auf sich. Als "leidensfähig, leidensgeprüft, unkaputtbar" bezeichnet Welling die typischen Fans. "Teilweise augenzwinkernd, eine Form der Selbstironie, mit der Situation umzugehen. Sicherlich auch ein sehr derber Charakter, rotzig-trotzig würde ich es auch skizzieren wollen."
Früher spielte Rot-Weiss ganz oben mit, wurde 1955 sogar deutscher Meister (damals noch Oberliga West) und pendelte bis Mitte der 80er Jahre zwischen 1. und 2. Liga. Dann kamen Finanzprobleme und der Absturz – sogar bis in die 5. Liga. Da fällt es einem heutzutage nicht immer leicht, zu seinem Verein zu stehen, weiß auch Roland Sauskat vom AWO-Fanprojekt Essen. "Das ist ja im Ruhrgebiet so: Man arbeitet mit Dortmundern, mit Bochumern, mit Gelsenkirchenern zusammen, da gibt es immer diese Frotzeleien." Man werde sogar schon mal im Scherz gefragt, ob die Spiele auf einem Ascheplatz ausgetragen werden. "Da wäre man schon mal gern wieder in der 1. oder 2. Liga."
Büro im Stadion
Sauskat sitzt nicht mit Schalkern oder Dortmundern in seinem Büro. Er arbeitet seit 1996 für das Fanprojekt, er ist Mitarbeiter der Arbeiterwohlfahrt in Essen und hat Sozialwissenschaften und Sport studiert. Als RWE-Fan wurde er von seinem Vorgänger angesprochen, es sei noch eine Stelle zu besetzen. Etwas später kam dann auch noch Claudia Wilhelm dazu. Beide teilten sich bisher ein kleines Büro gleich unter der Haupttribüne des Essener Stadions. Mitten drin, sozusagen. Für RWE ein Glücksfall, meint der 1. Vorsitzende Welling, der in den letzten Jahren einen "unglaublichen Entwicklungsprozess" beobachtet hat: "Ein Hauptgrund war sicherlich die Arbeit des AWO-Fanprojekts. Das hat sich mit der damals – das ist unbestritten so – sehr gewaltbereiten Szene beschäftigt haben, dort agiert haben, die Zugang gefunden haben und dann bewirkt haben, dass das weniger wird."
Damals, vor 15 Jahren, ging es vor allem darum, Kontakt zu den Hooligans zu bekommen. Jugendarbeit zu leisten, um gegen Gewalt, Ausgrenzung und Rassismus zu arbeiten. Der Weg in die Szene ging immer über den Fußball. Das Fanprojekt organisierte Fußballspiele, Kickerturniere, gemeinsame Abende mit den gegnerischen Fangruppen, erklärt Sauskat. Bei diesem Kennenlernen hätten die Jugendlichen dann gemerkt, dass sie eigentlich alle die gleichen Probleme haben. Zwar andere Vereinsfarben, aber die gleichen Probleme mit den Eltern, Ordnungskräften oder auch Arbeit zu finden. "Das haben wir versucht zu steuern."
"Gewalt kann auch auf acht Quadratmetern enden"
Gemeinsamkeiten schaffen, aber auch Abschreckung erzielen gehört zu den Aufgaben des AWO-Fanprojekts Essen: Sauskat organisierte für gewaltbereite Essener Fußballfans Gefängnisbesichtigungen und Fußballspiele gegen Gefängnisinsassen, "um denen auch zu zeigen, wo Gewalt enden kann: Auch mal für eine Zeit auf acht Quadratmetern. Ich glaube schon, dass der ein oder andere dann mal umgedacht hat, ob das die Sache überhaupt wert ist."
Die Dienst- und Fachaufsicht liegt bei der bei AWO, die sich auch um Finanzierung und Anträge kümmert. Das Geld bekommt das Fanprojekt verlässlich zugesagt durch eine Drittelfinanzierung, an der sich Kommune (Stadt Essen), das Land NRW und der DFB beteiligen. Jeder Euro sei gut angelegtes Geld, beteuerte zuletzt die NRW-Sportministerin Ute Schäfer. Vor allem bei einem Verein wie Rot-Weiss Essen, bei dem selbst in der 5. Liga über 7.000 Zuschauer ins Stadion kamen. Wo jugendliche Fans gern in das kleine, rot-weiß ausstaffierte gemütliche Fanprojekt-Büro kamen, um über mehr zu sprechen als über den letzten Auswärtserfolg. Das war vor 15 Jahren so und das soll so bleiben - auch wenn das Fanprojekt umziehen muss: In die neue Arena neben dem alten Georg-Melches-Stadion, möglichst nah dran an den Fans. Und den Problemfans, weiß auch Ministerin Schäfer: "Fußballfanprojekte, die sozialpädagogisch ausgerichtet sind, haben sich mehr als bewährt. Sie helfen, junge Menschen in ihrer Persönlichkeit zu stabilisieren, extremistische oder rassistische Einstellungen zu bekämpfen."
Autorin: Olivia Fritz
Redaktion: Wolfgang van Kann