Sorge vor neuer Gewalt in den Favelas
25. März 2014Die Aktion war angekündigt worden, nun wurde sie wahr: Gut 4.000 Soldaten sind am Sonntag (30.03.2014) in das Armenviertel Complexo do Maré im Norden von Rio de Janeiro einmarschiert. Unterstützt wurden sie von Einheiten des polizeilichen Sondereinsatzkommandos BOPE, das in den letzten Jahren vor allem auf den Kampf gegen die Drogenkriminalität im Umfeld der Favelas eingesetzt wurde. Unter dem Schutz des neu geschaffenen Gesetzes zur Nationalen Sicherheit ("Garantia da Lei e da Ordem", GLO) haben die Truppen weitreichende Vollmachten: Sie können sämtliche Viertel durchstreifen, Privathäuser durchsuchen, Verdächtige festnehmen und in Haft nehmen. Bei ähnlichen Aktionen im Jahr 2010 im Complexo do Alemão, einem anderen Armutsviertel, konnten sich die Einsatzkräfte bereits auf derartige Vollmachten berufen. Bislang blieb es auch im Complexo do Maré ruhig.
Lange soll das Militär nciht in dem Favela-Verbund bleiben: Schon nach einigen tagen sollen sie sich wieder zurückziehen. Dann sollen dort dauerhaft Einheiten der Befriedungspolizei im Complexo do Maré installiert werden. Dies sollen, dem Beispiel in anderen Favelas folgend, Kontakt zu den Bewohnern aufnehmen und über vertrauensbildende Maßnahmen sowie Sozialprogramme Schritt für Schritt die Sicherheit zu entwickeln.
Rückkehr der organisierten Kriminalität?
Der Einsatz findet vior dem Hintergrund zuletzt weder gestiegener Gewalt in mehreren Favelas statt. Zwar war es in den letzten Jahren gelungen, mehrere Armenviertel in und um Rio de Janeiro zu befrieden. Doch viele der bekämpften Banden zogen sich zurück oder gründeten sich neu – und zwar in entlegeneren Gebieten, zu denen die BOPE-Einheiten weniger leichten Zugang haben. Die Folgen der Bandenherrschaft sind verheerend: So starben im Jahr 2013 in Rio de Janeiro 1323 Menschen eines gewaltsamen Todes – im Vergleich zum Vorjahr war das ein Anstieg von zehn Prozent. Darauf, dass die Drogenhändler auch im Complexo do Maré wieder auf dem Vormarsch sind, deuten auch die beträchtlichen Mengen von Waffen, Sprengstoff und Rauschgift hin, die die Polizisten bei Razzien am Wochenende sicherstellten. Zugleich wurden in einigen Favela auch Station der Befriedungspolizei angegriffen. Die Bewohner fühlten sich durch ihre Präsenz gegängelt. Auch äußerten sie Klagen über angeblich korrupte Polizeibeamte.
Der Rückschritt könnte auch daran liegen, dass die derzeitige Strategie der Verbrechensbekämpfung zahlreiche Schwachpunkte aufweise, erklärt João Trajano, Koordinator des Laboratoriums für Gewaltanalyse der Universität von Rio de Janeiro. "Es wird weder in die Früherkennung noch in neue Aufklärungsmöglichkeiten investiert. Und die Befriedungstruppen sind zu einem Spielball in den Händen der Politik geworden."
Diskussion um angemessene Politik
Unter diesen Umständen, fürchtet Trajano, könnte die bisherige Befriedungsstrategie mehr und mehr in den Hintergrund treten. Liefe es ganz schlecht, so seine Sorge, könnte an die Stelle der Befriedungspolitik eine Besatzungspolitik treten. "Die derzeitige Situation ist besorgniserregend, das Programm riskant", sagt Trajano. Würden die Sondereinsatzkräfte nun wieder langfristig aktiv, würde dies auch die Sicherheit der Befriedungskräfte gefährden.
Ähnlich sieht es auch Paulo Jorge, Soziologe an der Katholischen Universität von Rio de Janeiro (PUC). Die Gewalt in den Favelas sei weniger durch polizeiliche als durch sozialpolitische Instrumente zu bändigen. Die Bewohner der nun besetzten Quartiere hätten sehr auf neue Projekte für Gesundheitserziehung, auf Kultur-, Freizeit- und Ausbildungsprogramme für junge Menschen gehofft. Dann aber hätten sie feststellen musste, dass es dazu nicht kam. "Stattdessen kommt es nun zur Besatzung."
Gut zweieinhalb Monate vor der Fußballweltmeisterschaft ist die Sicherheitslage in den Favelas von Rio de Janeiro brüchig. Doch Gouverneur Sérgio Cabral gibt sich optimistisch. Sämtliche Sicherheitskräfte arbeiteten zusammen, um Frieden und Sicherheit zu garantieren." Dabei werden die Polizeikräfte viel zu tun haben: In Rio gibt es mehr als 1000 Favelas, in denen ein Fünftel der gesamten Stadtbevölkerung lebt. Irgendwo, wissen die Polizisten, flackert die Gewalt immer auf.