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Baku-Tagebuch: Touristenpflichten

Suzanne Cords25. Mai 2012

Die Altstadt gehört zum Weltkulturerbe, die Jugendstil-Prachtbauten sind ein Erbe der ersten Ölbarone, und Reiseführer schwärmen von Bakus Nachtleben. Unterwegs mit DW-Reporterin Suzanne Cords.

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Suzanne cords und Matthias Klaus vor Taxi (Foto: DW)
Bild: DW

Die ESC-Organisatoren meinen es gut mit den Besuchern aus dem Westen. Alle zwei Stunden gibt es eine kostenlose Sightseeing Bus Tour zu den Highlights der 2,5 Millionenmetropole. Und davon, verspricht die azerische Reiseführerin, gibt es viele.

Zunächst fährt der Bus allerdings durch eine Hochhauslandschaft im Bau. Stählerne Kolosse im Glasmantel und uniforme Apartmenthäusergerippe lassen erahnen, wie es hier mal aussehen soll. Mitten drin das gerade fertig gestellte Heydar Aliyev-Kulturzentrum, das seinen Namen dem verstorbenen Vater des jetzigen Präsidenten verdankt. Er gilt als Volksheld, der Aserbaidschan von der russischen Herrschaft befreite und 1991 in die Unabhängigkeit führte. An jeder dritten Straßenecke lächelt er von großen Werbetafeln auf sein Volk hinab. Ganz nebenbei hat er seinem Sohn Ilham den Präsidententitel vererbt, und unter seiner Herrschaft holte sich das junge Land auch die Hoheit über die reichen Erdölvorkommen zurück.

Hochhäuser (Foto: DW)
Überall wird gebautBild: DW

Schwarzes Gold und Prachtboulevards

Der Ölboom begann Ende des 19. Jahrhunderts, damals wurde in und um Baku mehr schwarzes Gold gefördert als in den gesamten USA. Die Firma der schwedischen Investorengebrüder "Nobel Brothers Petroleum Producing Company" ließ die ersten Öltanker und Pipelines der Welt bauen. Der sagenhafte Reichtum der Ölbarone endete mit der russischen Revolution: Die Bolschewiki enteigneten die Herren der Ölquellen.

Poster mit Heydar Aliyev (Foto: DW)
Der Präsidentenvater ist allgegenwärtigBild: DW

Doch sie hinterließen der Nachwelt unzählige Prachtbauten, die jetzt im großen Stil renoviert werden. "Rechts sehen Sie ein Gebäude im Jugendstil, das vor fünf Jahren in neuem Glanz erstand", tönt blechern die Lautsprecherdurchsage durch den Touristenbus. "Zu Ihrer Linken hingegen sehen Sie ein wunderschönes fünfstöckiges Haus im neugotischen Stil, das vor zwei Jahren renoviert wurde. Dort befindet sich ein Museum. Und das Gebäude dort vorn wird gerade renoviert. Dort hat mal ein großer azerischer Poet gewohnt, jetzt ist es ein Museum."

Der hübsche Park mit dem überdimensionalen Springbrunnen, wo man zum Einatmen der herrlichen Luft kurz aussteigen soll, ist dem großen Heydar Alijev gewidmet. Und wenn wir bitte wieder einsteigen, dort vorne ist noch ein Jugendstilbau, der wurde erst vor zwei Jahren neu aufgebaut, und jetzt hat dort ein Museum seine Heimat gefunden.

Jugendstilbau und Brunnen. (Foto: DW)
Jugendstilbau mit Brunnen in BakuBild: DW

Ansonsten haben in den Schaufenstern entlang der Prachtboulevards Nobelgeschäfte Einzug gehalten: Gucci, Prada, Valentino, WMF oder Daniel Hechter profitieren vom Reichtum des aufstrebenden Landes. Auch deren Domizile wurden, wen wundert's, erst kürzlich frisch aufgepeppt.

Nach einer weiteren Stunde, in der ich die Renovierungsdaten von halb Baku erfahre, schalte ich innerlich ab. Fast hätte ich nicht mitbekommen, dass in den letzten zehn Jahren 770 Springbrunnen gebaut wurden, die fröhlich vor sich hinsprudeln und von denen viele - wem wohl - gewidmet sind? Richtig: dem ehemaligen Landesvater Heydar Aliyev.

Vier Stunden soll die Tour dauern, nach zwei Stunden verzichte ich freiwillig auf den Abstecher zum Dagüstü-Park auf einem Hügel der Stadt, von dem man einen sagenhaften Blick haben soll. Noch mehr Daten verkrafte ich nicht, und eine fröhliche Gruppe unverkennbar homosexueller Spanier sieht das genauso. "Schwul sein in Baku, wurde davor nicht gewarnt?" frage ich neugierig. "Wir haben bisher keine Probleme gehabt", lachen sie, "außerdem war der ESC schon immer das Fest der Gays." Immerhin wurde den Veranstaltern von der Regierung versichert, sie hätten in Baku nichts zu befürchten.

Spanier beim ESC (Foto: DW)
Diese Spanier fühlen sich beim ESC willkommenBild: DW

Jungfrauenschicksal mit Fernblick

Zeit, endlich die "Icheriseher", die Altstadt zu erkunden, der ich gestern nur einen Kurzbesuch abgestattet habe. Direkt ins Auge fällt der 28 Meter hohe "Giz Galasi", der Jungfrauenturm. Der Legende nach soll die Sultanstochter sich vor über 1000 Jahren von seiner Plattform ins Meer gestürzt haben, weil sie ihre große Liebe nicht heiraten durfte.

Heute ächzen Touristen die 131 steilen Stufen hinauf und genießen den Blick über die Stadt. Ich habe noch die Stimme der Reiseleiterin im Ohr: "Baku ist die Schnittstelle zwischen Ost und West", hatte sie stolz verkündet. Von oben wird das besonders deutlich. Die futuristischen Flame Towers überragen die Jahrhunderte alten Festungsmauern der Altstadt. Der Blick fällt auf den Business District mit seinen Glastürmen, die neu aufgeschüttete, kilometerlange Uferpromenade an der Bucht des Kaspischen Meers und geht in die Ferne zur Crystal Hall. Daneben ragt der zweithöchste Fahnenmast der Welt empor, an deren Spitze in 162 Meter luftiger Höhe die azerische Flagge den Windböen trotzt. Auf dem Hügel über Baku steht ein gigantischer Fernsehturm und ein wenig weiter ein Bohrturm, der als Symbol für den Reichtum der Stadt errichtet wurde. Demnächst soll in Baku der mit 1050 Meter höchste Wolkenkratzer der Welt entstehen. Man zeigt, was man hat. Am besten kommt die Metropole nachts zur Geltung, wenn sie im Lichterglanz erstrahlt und Animationen über die Häuserfassaden huschen.

Ein Streifzug durch 1001 Nacht

Ich verliere mich derweil in den verwinkelten Gassen der "Icheriseher", wo der imposante Shirwanshah-Palast, Karawansereien, traditionelle Hamam-Dampfbäder und Moscheen zum Besuch einladen. Es ist eine Zeitreise in vergangene orientalische Pracht. Die geschäftige Hektik und der Verkehrslärm sind hinter den Stadtmauern zurück geblieben. Wäsche trocknet auf Holzbalkonen, und die Frauen klönen vor kleinen Tante-Emma-Läden, vor denen einladend Gemüse- und Obstberge aufgebaut sind. Das erinnert mich daran, dass ich Hunger habe.

Gebäude mit Wäscheleine. (Foto: DW)
Die Altstadt von Baku hat ihren ganz eigenen CharmeBild: DW

Hinter der nächsten Ecke verbirgt sich ein Restaurant mit echter azerischer Küche. Gegen den Durst ordere ich zunächst einen Ayran. In der hiesigen Variante schwimmt allerdings eine Menge Dill herum, inklusive kleiner Holzstückchen. Na ja, ein Gülüstan-Zucker-Drink tut es auch.

Als Hauptgericht bestelle ich ein "Toyruk atinden sac", das mir die Kellnerin wärmstens ans Herz legt. In einer kleinen gusseisernen Pfanne kommen ein paar Hühnerknochen mit Fritten an einer Tomate in öliger Substanz. Meine Begleitung hat sich für ein Blätterteiggericht entschieden. Die Fleischfüllung ist undefinierbar, es könnte Hammel sein – oder auch Ziegenhoden. Dessert wollen wir keins, dafür einen echten azerischen Mokka, der allerdings sehr wässrig daher kommt.

So viel Kritik am einheimischen Essen bleibt nicht ungestraft: Stunden später ereilt uns die Rache des Montezuma - oder ist es eher die des Heydar Aliyev? Vom Nachtleben müssen wir daher heute Abstand nehmen, aber morgen ist ja auch noch ein Tag. Willkommen in Aserbaidschan.