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Polenhilfe

13. Dezember 2011

Vor 30 Jahren, am 13. Dezember 1981, übernahm ein Militärrat die Regierung in Polen. Was weniger bekannt ist: Die schwierige Zeit danach überstand das polnische Volk auch dank deutscher Hilfe.

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Jaruzelski bei der Proklamation des Kriegsrechts im polnischen Fernsehen (Foto: dpa)
General Wojciech Jaruzelski verhängt das KriegsrechtBild: picture-alliance/ dpa

Das Weihnachtsfest 1982 wird Maria Jarmoszuk aus Warschau nie vergessen: Sie war damals 15 Jahre alt, ein Jahr zuvor hatte ein Militärrat die Regierung Polens übernommen und den Kriegszustand im Land ausgerufen. Ziel des Militärputsches war die Zerschlagung der oppositionellen Gewerkschaft "Solidarność", die mit 10 Millionen Mitgliedern in den vorangegangenen Monaten zu einer Massenbewegung geworden war. Während des Kriegszustandes wurden mindestens 50 Menschen getötet und über 5000 interniert.

Militärposten auf den Straßen Warschaus (Foto: ap)
Militärposten auf den Straßen WarschausBild: AP

Auch Maria Jarmoszuks Mutter wurde im Sommer 1982 festgenommen. Da ihr Vater im Ausland war, blieben die drei Töchter allein zuhause. Nur weil die älteste der drei Schwestern schon volljährig war, mussten die Kinder nicht ins Heim. Das Geldkonto der Mutter war eingefroren. Es hätte aber auch in den Läden nichts gegeben, was man zu Weihnachten hätte kaufen können, denn die Versorgungslage im Land war während des Kriegszustands katastrophal. Maria Jarmoszuk erinnert sich: "Der Gabentisch war fast leer, alles war so furchtbar traurig. Doch in dem Moment klingelte es an der Tür und jemand brachte ein Paket. Es waren Orangen drin und Nüsse, so groß wie ich sie noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Ich werde nie den Geruch dieser Orangen vergessen, das ganze Zimmer duftete danach."

Hilfe für die Nachbarn

Absender des Pakets war Familie Mayer aus München. Über ihre Kirchengemeinde hatten sie erfahren, dass drei Mädchen in Polen ohne Eltern waren, und halfen spontan. Und die Mayers waren nicht die einzigen: Über 30 Millionen Pakete schickten die Bürger der Bundesrepublik in den Monaten nach der Einführung des Kriegszustandes nach Polen. Pakete, die das nötigste enthielten, wie Mehl, Zucker, Babynahrung, Seife und Verbandszeug.

Unterstützung vom ehemaligen Feind (Foto: Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit)
Unterstützung vom alten FeindBild: Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit

Der Film "Pakete der Solidarität" des Berliner Regisseurs Lew Hohmann erinnert zum 30. Jahrestag des Militärputsches an die große Spendenwelle aus Westdeutschland. "Was mich sehr beeindruckt hat, war die enorme Einsatzbereitschaft und das Engagement der Leute, die geholfen haben," sagt der Regisseur. "Die Helfer haben sich selbst ans Steuer gesetzt, sind Risiken eingegangen und haben sich nicht entmutigen lassen durch Schikanen an der Grenze und der Behörden. Sie haben alles gegeben, um den Leuten in Polen zu helfen."

Für seinen Film hat Lew Hohmann die Helfer von damals aufgespürt. Zum Beispiel den Spediteur Georg Dietrich aus Offenburg, der die Laster seines Unternehmens mit Lebensmitteln bepackte und persönlich ins nordpolnische Olsztyn brachte, und der bis heute, mit fast 90 Jahren, immer noch einmal pro Jahr in den Ort fährt, um die Kinder einer Gehörlosenschule zu beschenken. Die Kinderärztin Krystyna Gräf aus Frankfurt am Main ist eine weitere Heldin aus Hohmanns Film. Sie schmuggelte Exilliteratur und Druckmaschinen für die im Untergrund wirkende Solidarność. Und auch Familie Mayer aus München schaut im Film zurück: "Angesichts der Situation in Polen war für uns klar, dass wir nicht sagen: Jetzt müssen wir hier wieder was geben und da wieder was", sagt Joseph Mayer. Die Familie schickte immer wieder Pakete. Und dass, obwohl allein eines rund 50 D-Mark kostete. "Aber das war in dieser Situation doch nicht unsere Art, so zu rechnen!" sagt Joseph Mayer.

Ein neues Bild von Deutschland

Viele Westdeutsche schickten ihre Pakete direkt an eine bestimmte Familie oder direkt an einen bestimmten Ort, wie zum Beispiel in ihre früheren Wohnorte in den ehemals deutschen Gebieten. Für viele Deutsche war das Päckchenpacken auch eine Form des Protestes gegen das gewaltsame Regime in der Volksrepublik Polen. Im Laufe der Monate wurde die Polenhilfe zu einer "echten Volksbewegung", wie das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" im Frühjahr 1982 titelte. Heute jedoch spreche kaum mehr jemand in Deutschland über die Aktion, sagt Hohmann: "Ich habe festgestellt, dass die Erinnerung daran in Deutschland verschüttet ist. Das ist verloren gegangen, während es in Polen unheimlich lebendig ist. Selbst Jugendliche wissen, dass ihre Eltern oder Großeltern Pakete bekommen haben."

Hilfe kam auch aus anderen europäischen Ländern, aus den USA und aus Japan. Dass aus Westdeutschland aber so viele Sendungen kamen, lag auch daran, dass die Bundesregierung ab Februar 1982 die Portopflicht für Hilfspakete nach Polen aufhob. Diese Form der Unterstützung, die der polnischen Regierung natürlich ein Dorn im Auge war, wurde größtenteils von der katholische Kirche koordiniert. Trotzdem verzichtete die Partei darauf, die Hilfssendungen im größerem Umfang zu behindern. Die Machthaber wussten schließlich, dass sie ihr Volk nicht mehr ernähren konnten. Gerade die Pakete aus der Bundesrepublik entwickelten mit der Zeit eine Wirkung, die weit über Orangen, Nüsse und Babynahrung hinausging. Maria Jarmoszuk sagt heute: "Für die ältere Generation, also die, die noch den Krieg erlebt hatten, war die Aktion besonders wichtig. Ihr Bild von den Deutschen war ja bis dahin nur von der Nazizeit und von der sowjetischen Propaganda geprägt. Jetzt aber veränderte sich ihr Bild der Deutschen auf einmal ins Positive!"

Einfluss auf den Fall der Berliner Mauer

Maria Jarmoszuk als Kind (Foto: privat)
Maria Jarmoszuk als KindBild: Maria Jarmoszuk

Viele Familien aus Deutschland und Polen hielten auch nach der Hilfsaktion Kontakt. Aus der Paketaktion entwickelten sich Freundschaften, so auch zwischen Familie Mayer aus München und den Jarmoszuks aus Warschau. "Die Aktion hat uns zusammengeschweißt. Wir wurden Freunde. Als meine Eltern wieder zuhause waren, wollten sie zwar keine Pakete mehr von den Mayers, stattdessen aber kamen Briefe", sagt Maria Jarmoszuk. "Später fing ich an, Germanistik zu studieren, und war oft bei ihnen in München und wurde quasi ein Teil der Familie."

Der ehemalige Gewerkschaftsführer Lech Wałęsa sagt im Film "Pakete der Solidarität" deutlich, dass der Kampf der Solidarność ohne die Hilfe aus dem Ausland nicht sehr aussichtsreich gewesen wäre. Für Regisseur Lew Hohmann ist darüber hinaus klar, dass letztendlich die Deutschen selbst von ihrer Hilfsbereitschaft am meisten profitierten: "Was man nicht vergessen darf: Solidarność war ja für die demokratische Bewegung in der DDR eine Hoffnung, dass etwas Ähnliches bei ihnen auch passieren könnte. Ich denke, dass diese Hilfsaktion, die zur Stärkung der Solidarność beigetragen hat, somit auch Einfluss hatte auf den Fall der Berliner Mauer."

Den Kriegszustand in Polen hob der Militärrat erst im Juli 1983 auf. Und noch bis 1989 sollte es dauern, bis die Solidarność-Bewegung die Machthaber an einen Runden Tisch zwang – und aus den ersten freien Wahlen als Sieger hervorging.

Lew Hohmanns Film feiert am 14. Dezember in Hamburg Deutschland-Premiere. Er wird zunächst in einigen Kinos zu sehen sein und dann im kommenden Frühjahr ins deutsche Fernsehen kommen.

Autor: Friedel Taube
Redaktion: Nils Naumann / Rolf Breuch