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Musik

Socalled: Ein Rapper singt jiddische Lieder

Philipp Jedicke
21. September 2018

Socalled ist ein Kultur-Multitasker. Der Kanadier ist Pianist, Rapper, Produzent, Filme- und Theatermacher, Puppenbauer, Fotograf, Comiczeichner und Magier. Jetzt bringt er ein Album mit jiddischen Volksliedern heraus.

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Rapper Socalled
Bild: Peter Hönnemann

In "The Socalled Movie", einem Film über seine Kunst, sagt Socalled alias Joshua Dolgin: "Ich bin der Mahatma Gandhi des HipHop. Denn ich bin wirklich dünn." Der 41-Jährige ist bekannt für seinen absurden Humor. Dolgin wurde in Ottawa in eine jüdische Familie hineingeboren und entdeckte seine Liebe zu traditionellen jiddischen Liedern eigentlich eher zufällig. Mitte der Neunziger war er ständig auf der Suche nach guten Samples für seine HipHop-Tracks. Zunächst wühlte er nach alten Platten in der Sammlung seiner Eltern, dann auf Flohmärkten und in Second-Hand-Läden, bis er schließlich auf ein Album des jiddischen Sängers Aaron Lebedeff stieß, dessen flamboyantes Aussehen in faszinierte.

"Diese Musik war voller Funkiness, Riffs und sehr gutem Material für Samples. Es schrie förmlich nach einer Neuauflage. Also nutzte ich es in meinen eigenen Produktionen." Über die Jahre wuchs sein Interesse in eine wahre Sammelleidenschaft und Expertise. Bei einem Klezmer-Workshop kam der Klarinettist David Krakauer (u.a. The Klezmatics) auf Socalled zu und engagierte ihn als Beat-Komponisten. In der Folge arbeitete Socalled mit zahlreichen Bands und Künstlern aus dem Bereich Klezmer, Yiddish Folk und World Music. Sein Album HiphopKhasene wurde 2003 mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Jetzt hat Socalled zusammen mit dem Hamburger Kaiser Quartett mit "Di Frosh" sein erstes Album mit traditionellen jiddischen Liedern aufgenommen, die er auch selbst eingesungen hat.

Rapper Socalled mit dem Kaiser Quartett
Socalled (links) und das Hamburger Kaiser Quartett Bild: Peter Hönnemann

Mehr als ein Jiddisch-Revival?

Dolgin und sein Alter Ego Socalled gehören zur Speerspitze eines regelrechten Jiddisch-Revivals, das von den Nullerjahren bis heute andauert. Heute, behauptet er, sei dieses Revival bereits Schnee von gestern. "Wir leben in einer neuen jiddischen Ära." Überbordender Optimismus oder Fakt? Simon Neuberg, Professor für Jiddische Sprache, Sprachgeschichte und Literatur an der Universität Trier, meint, dass es zwar so gut wie unmöglich sei, für die Sprecher außerhalb der orthodoxen Familien Zahlenangaben zu riskieren, weil "die Sprecher sehr verstreut sind, überall eine kleine Minderheit darstellen und überall mehrsprachig sind. Es gibt aber, wie gesagt, in der Tat mehr weltliche junge Jiddischsprecher heute als vor 30 Jahren. Man kann sehr wohl sagen, dass das Interesse wächst, dass die Mehrsprachigkeit heute aufgewertet wird, während sie noch vor relativ kurzer Zeit noch als schädlich betrachtet wurde."

Sollten wir uns tatsächlich in einer neuen Ära der weltlichen jiddischen Kultur befinden, dann ist Socalled zugleich Chronist und Innovator. In seiner Wohnung mitten in einem jüdisch-orthodoxen Viertel in Montreal stapeln sich mehr als 5000 Langspielplatten – zwischen selbstgebauten Puppen, zahllosen Büchern, Skizzen, Karten und Bildern. Auf den ersten Blick wird klar: Hier wohnt ein Sammler. Dazwischen flitzt ein wollknäuelhafter Schoßhund namens Poopsie hin und her, Socalleds Ein und Alles. Natürlich kann Poopsie neben Kunststücken auch Klavier spielen und dazu singen. Auf das Verhältnis zwischen ihm und den orthodoxen Juden seines Viertels angesprochen, sagt Socalled: "Im Grunde sind die Chassidim sehr unter sich. Dennoch gibt es einen ständigen Austausch zwischen uns. Sie sind neugierig auf mich und ich auf sie. Sie wissen nicht so recht, was sie von mir halten sollen: Wenn fette jüdische Beats aus meinem Fenster krachen, stehen kleine Gruppen junger Chassidim vor meinem Fenster und wissen nicht, was sie da sehen. Ich verwirre sie gerne."

Socalled und Deutschland

Im Laufe seiner Karriere hat Socalled mit vielen internationalen Stars gearbeitet, darunter so unterschiedliche Künstler wie Funk-Legende Fred Wesley (u.a. Posaunist von James Brown), Pianist Chilly Gonzales, US-Komponist Irving Fields, der Trompeter Boban Marković oder der Hamburger Rapper Samy Deluxe. Für dessen Track "Mimimi" aus dem Top-5-Album "Berühmte letzte Worte" hat Socalled unter anderem Beats und Samples geliefert. Auf die Zusammenarbeit mit Samy Deluxe angesprochen, sagt der Kanadier: "Es war eine natürliche und leichte Zusammenarbeit, die mir sehr viel Spaß gemacht hat. Samy Deluxe ist ein großartiger Musiker und Poet, er ist offen und 'old school'. Das heißt er mag die Art, wie ich Musik mache und den Sound, den ich kreiere."

CDCover "Di Frosh“  Socalled dem Kaiser Quartett
Das Plattencover von Socalleds neuestem Werk "Di Frosh"

Überhaupt ist Hamburg in den letzten Jahren eine zweite Heimat für Socalled geworden. Hier feierte er mit seinem Anarcho-Musical "The Season" Premiere im renommierten Theater auf Kampnagel, er fand hier mit Membran sein Label für sein aktuelles Album "Di Frosh" und hier traf er auch auf das Kaiser Quartett, das bereits mit Boy, Gregory Porter, Jarvis Cocker, Chilly Gonzales und gearbeitet hat. In letzter Zeit hat sich für mich musikalisch viel hier in Deutschland ergeben. Auch durch die Festivals des Jiddisch-Revivals bin ich immer wieder hier, Yiddish Summer in Weimar, das Internationale Klezmer Festival Fürth, das Jüdische Museum in Berlin..."

Leidenschaft als Antrieb

Socalled ist in der Carnegie Hall, im Pariser Olympia und im Apollo Theater in Harlem aufgetreten. Er gibt Musik-Workshops und Masterclasses auf der ganzen Welt. Er schreibt Musicals, Theaterstücke, Kochbücher und hat gerade mit "The Housesitter" einen schwulen Arthaus-Porno im Haus seiner Eltern gedreht. Woher nimmt er die Energie für so viele unterschiedliche Projekte? Für Socalled ist die Antwort klar: "Ich muss mich nicht zur Arbeit zwingen, ich bin inspiriert. Ich habe eine Menge Interessen, sehr unterschiedliche, also wird die Arbeit nie langweilig. Manchmal geht mir ein Teil davon auf die Nerven – Klavierüben, Texte schreiben, Songs transkribieren, Puppen bauen, Comics zeichnen oder Fotografieren. Dann finde ich neue Energie, indem ich das nächste Projekt starte. Meine Leidenschaften treiben mich an, jede einzelne füttert die nächste."

"Socalled Sings Di Frosh And Other Yiddish Songs With The Kaiser Quartett" erscheint am 21. September.