So transparent sind Politiker weltweit
15. April 2013Wie der Abgeordnete der Zukunft wohl aussieht? Vielleicht ja wie Florian Pronold, Chef der Sozialdemokraten im Bundesland Bayern und "gläserner Abgeordneter". Das bedeutet: Der Bundestagsabgeordnete legt all seine Einkünfte offen. Nicht, weil er muss, sondern weil er möchte. "Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit", sagt Pronold im DW-Gespräch.
45 Euro bekommt Pronold für jede Ratssitzung in seinem Heimatlandkreis, an der er teilnimmt. 5000 Euro bekam er 2011 für seine Mitarbeit im "Beirat für sparkassenpolitische Grundsatzfragen". Als Rechtsanwalt dagegen: keine Einkünfte, "meinem Beruf kann ich neben der Abgeordnetentätigkeit kaum nachgehen." Insgesamt hat Pronold 2011 gut 150.000 Euro verdient. Auch seine Zinseinnahmen weist der SPD-Politiker aus, sie lassen Rückschlüsse auf sein Vermögen zu. Pronold, der Pionier. Aber er sagt: "Mir wär's lieber, wir würden eine größere Transparenz insgesamt bekommen."
Deutschland: stufenweise der Transparenz entgegen
Den "Pronold-Standard" könnten Deutschlands Abgeordnete allenfalls freiwillig einführen - zu so viel Offenheit darf man sie nach höchstrichterlicher Auffassung nicht zwingen. Die aktuellen Regeln sind von völliger Transparenz weit entfernt: Angeben müssen die Abgeordneten alles, was ihnen mehr als 1000 Euro im Monat oder mehr als 10.000 Euro im Jahr einbringt. Genannt werden muss aber nicht der genaue Betrag, sondern nur eine Stufe: In die Stufen 1 und 2 fallen kleinere und mittlere vierstellige Beträge. In Stufe 3 schließlich landet jeder einmalig oder regelmäßig erhaltene Geldbetrag über 7000 Euro.
Ob ein Politiker also 7001 oder 70.000 Euro für einen Vortrag bekommt - nach der bisherigen Regelung reicht in beiden Fällen die Angabe "Stufe 3" - ohne Offenlegung des genauen Honorars. "Nicht ausreichend" findet das die Organisation "Lobbycontrol". Ihr Sprecher Timo Lange sagt: "Hier muss deutlich nachgebessert werden, und das hat der Bundestag auch beschlossen." Nach der Bundestagswahl im Herbst 2013 gelten für die Abgeordneten neue Veröffentlichungsregeln: Dann müssen Einkünfte bis 250.000 Euro angezeigt werden, unterteilt in zehn Stufen. Auslöser dieser Entwicklung war die Debatte um Peer Steinbrück. Der Kanzlerkandidat der Sozialdemokratischen Partei (SPD) hatte sehr viel Geld mit Vorträgen verdient.
Großbritannien: Ein Parlament verkommt zum Selbstbedienungsladen
In Großbritannien gab es einen anderen Auslöser: Es war ein Freitag im Frühling, an dem die Bevölkerung dort das Vertrauen verlor. Am 8. Mai 2009 veröffentlichte der "Daily Telegraph" die ersten Geheiminformationen über Politiker, die bei ihren Abrechnungen hemmungslos betrogen hatten. Abgeordnete aller Parteien hatten sich Kosten erstatten lassen für Zweitwohnungen, die es nicht gab oder in denen sie nicht wohnten. Ihre tatsächlichen Wohnungen dagegen hatten sie mit Steuerzahlergeld renovieren lassen. Zum Symbol der Abgehobenheit wurde ein "Entenhaus": Ein Politiker hatte es sich für annähernd 2000 Euro in seinen Teich bauen lassen - und dann die Erstattung aus Steuergeldern beantragt.
"Für viele war der Ausgaben-Skandal ein einschneidendes Ereignis der jüngeren britischen Politikgeschichte", sagt Daniel Hough, Korruptionsexperte von der Universität Sussex. "Die harsche Kritik am politischen System brachte viele Abgeordnete zum Nachdenken, worum es in der Politik eigentlich geht." Großbritannien hat inzwischen eine neue Behörde, die die Abrechnungen der Politiker kontrolliert - und hat auch sonst fortschrittliche Regelungen. "In Großbritannien müssen Abgeordnete ihre Nebeneinkünfte auf Euro und Cent veröffentlichen", sagt Timo Lange. "Das ist etwas, das wir als 'Lobbycontrol' für Deutschland auch fordern."
Frankreich: Cahuzac und die Folgen
In Frankreich hat die die sozialistische Regierung am Montag (15.04.2013) die Vermögen aller 38 Minister veröffentlicht. Michèle Delaunay etwa, Ministerin für Senioren. 5,4 Millionen Euro besitzen sie und ihr Ehemann. Größtenteils ererbt, sagt Delaunay, die für sich Nachteile der neuen Offenheit sieht: "Die Opposition wird es sich nicht nehmen lassen, das Bild der reichen Sozialistin auszuschlachten." Die Veröffentlichung ist Folge des Skandals um Jérôme Cahuzac. Der inzwischen zurückgetretene Haushalts-Minister hatte sein geheimes und prall gefülltes Schwarzgeldkonto wochenlang verleugnet. Nun will die linke Parlamentsmehrheit in Frankreich nach den Ministern auch den Abgeordneten und Senatoren in Bücher, Taschen und Tresore schauen. Florian Pronold begrüßt das: "Ich würde mir wünschen, dass wir so etwas auch in Deutschland durchsetzen."
Hoffnung in Myanmar, Offenheit in Schweden
Von Transparenz wird auch andernorts geträumt: Im südostasiatischen Myanmar wollen Abgeordnete ein Anti-Korruptionsgesetz nach dem Vorbild Malaysias und Singapurs. Die Nachrichtenagentur Reuters zitiert den Abgeordneten Thein Nyunt: "Sobald es in Kraft ist, wird dieses Gesetz von den Machthabern eine Erklärung verlangen, wie ihr Reichtum zustande gekommen ist."
Am weitesten, am transparentesten ist vielleicht Nordeuropa: "In skandinavischen Ländern gibt es zum Beispiel bei allen Bürgern die Möglichkeit, die Steuererklärung für einen gewissen Zeitraum einzusehen", sagt Pronold. "Ich glaube, diese Tradition wird es in Deutschland nie geben." Zu unterschiedlich seien die jeweiligen politischen Kulturen. Dass es eine weltweite Entwicklung gibt hin zu mehr Transparenz, das glaubt der gläserne Abgeordnete aber doch. "Der Trend ist unumkehrbar. Nämlich, dass Bürgerinnen und Bürger einen echten Einblick bekommen, was Abgeordnete verdienen und ob sie Nebentätigkeiten haben."