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Englischsprachige Blogosphäre

4. Dezember 2009

In der englischen Blogosphäre wachsen Dienste wie Twitter so schnell, dass manche Experten vom Aussterben der Blogs sprechen. Blogger Mark Glaser hingegen meint, dass Blogs und Microblogs aufeinander angewiesen sind.

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BOBs Jurymitglied und Blogger Mark Glaser
BOBs Jurymitglied und Blogger Mark GlaserBild: Mark Glaser

Ein Blog ist eine Serie chronologisch geordneter mittellanger oder langer Einträge, die auf einer Website veröffentlicht werden. Ein Microblog besteht im Gegensatz dazu aus winzigen, auf 140 Buchstaben begrenzten Posts, die häppchenweise auf Microblogging-Diensten wie Twitter und Facebook gesendet werden.

Während der laufenden Debatte über die Zukunft des Journalismus, die Finanzierung neuer Projekte und über journalistische Beiträge normaler Bürger, hat das Microbloggen ein explosives Wachstum erlebt. Nach der Einschätzung von Nielson Online, ist Twitter Jahr für Jahr um etwa 1382 Prozent gewachsen. Diese Statistik mag ein wenig durch den Hype um Twitter verzerrt sein, da viele Nutzer langfristig wohl nicht bei der Stange bleiben werden. Dennoch steht außer Frage, dass Twitter im Jahr 2009 einen Wendepunkt erreicht hat - sowohl als journalistisches Werkzeug, als auch für die Verbreitung neuer Ideen und Trends.

Da sich alle auf den Neuling Twitter konzentrieren, erscheint das Blog manchmal wie ein etwas älterer, ruhiger Verwandter, der sich in der hinteren Reihe eines Familienfotos versteckt. In einem Artikel für das Magazin Wired, ging Fachjournalist Paul Boutin sogar so weit, davor zu warnen, dass die Veröffentlichung neuer Blogs keinen Sinn mehr mache.

Sicher hat Microblogging in mancherlei Hinsicht die Stelle des normalen Bloggens eingenommen. Doch an den folgenden zwei Beispielen wird deutlich, wie Blogs dennoch relevant und wichtig bleiben können - auch wenn sich der Fokus der Medien- und Onlinegesellschaft verschoben haben mag.

PressThink liegt im Winterschlaf

Als erstes Beispiel soll das bedeutende Twitter-Feed von Jay Rosen dienen, Professor an der New Yorker University. Rosen hat zurzeit 27.000 Abonnenten auf Twitter und mehr als 9400 Posts geschrieben. Sein Wort dafür ist ‘mindcasting' (engl. Mind = der Gedanke, to cast = auswerfen).

Um das Medium besser zu verstehen, hat sich Rosen voll und ganz auf Twitter konzentriert und dabei sein ursprüngliches Blog PressThink völlig vernachlässigt. Der letzte Eintrag auf PressThink ist vom 12.04.2009. Als ich Rosen fragte, ob er PressThink aufgegeben habe, hat er - selbstverständlich auf Twitter - geantwortet: "Habe das Bloggen nicht aufgegeben, habe nur seitdem nichts Neues für PressThink, Huffington Post oder IdeaLab geschrieben. Unterrichte Tweeting-Podcasting."

Jetzt also umfasst sein Output das Unterrichten an der Uni, Tweeting und Podcasting. Wer nun also Rosens Gedanken folgen möchte, kann nicht mehr auf die längeren Posts auf PressThink zurückgreifen, sonder muss Rosens Twitter-Feed abonnieren. Schade, dass bei der ganzen Sache das Bloggen auf der Strecke bleibt.

Twitter als News-Feed

Meinen eigener Fall mag als zweites Beispiel dienen. Als ich vor einiger Zeit neun Tage lang im Krankenhaus lag, war Twitter mein einziges Kommunikationsmittel mit der Außenwelt. Vom Krankenbett aus habe ich tägliche Updates geschickt (und habe unzählige Glückwünsche bekommen, hauptsächlich von Leuten die ich gar nicht kannte, was ich irgendwie tröstend fand). In der Zeit im Krankenhaus wäre ich nie auf die Idee gekommen, etwas auf MediaShift zu schreiben.

Sowohl für mich, als auch die anderen Autoren ist MediaShift zu einer professionellen Sache geworden, bei der das Persönliche ausgeklammert wird. Wie so viele andere Mediablogs - GigaOm, PaidContent, ReadWriteWeb - ist MediaShift eine Art Onlinemagazine geworden, und keine Plattform für private Gedanken einer einzelnen Person.

In der Zwischenzeit vereinnahmte Twitter aber völlig mein tägliches Arbeitsleben und wurde zu einem Forum für Kurzinfos, Einblicke und Verknüpfungen zu all den maßgeblichen Geschichten des Tages. Immer wenn ich einen Vorschlag für eine neue Website, ein neues Blog oder einen neuen Internetdienst bekam, habe ich einfach darüber getweetet. Twitter war wie ein News-Feed, der mich mit interessanten Nachrichten versorgte und mir gleichseitig erlaubte, eigene Nachrichten mit anderen zu teilen. Es war eine Art wechselseitiger RSS-Feed - unschlagbar.

Aber während ich im Krankenhaus lag, habe ich mich irgendwann gelangweilt. Ich habe mich dann entschieden "10 Rettungsmaßnahmen der Zeitungsindustrie" zu tweeten - eine nach der anderen. Die Rückmeldungen waren riesig und es gab sogar einen User, der alle Tweets auf einer einzelnen URL gesammelt hat. Also stellte sich die Frage, warum war ich es eigentlich nicht selbst, der die Sachen sammelte? Ich hätte sie einfach auf meinen eignes Blog stellen können.

Genau das habe ich letztendlich dann auch getan. Diesmal war die Reaktion allerdings eher enttäuschend und viele Leser waren sogar recht kritisch. Weil ich einfach wiederholt hatte, was ich zuvor schon auf Twitter gepostet hatte, war der Eintrag zu oberflächlich geworden, und es fehlte der Schritt in die Tiefe.

Microblogging + Blogging = Erfolg

Beispiele wie diese haben mich davon überzeugt, dass Microblogging und Blogging gleichzeitig existieren können - und sogar voneinander abhängig sind. Ohne Jay Rosens Blog-Aufsätze hätte ich das Gefühl, dass mir etwas verloren gegangen wäre. Und wenn ich mich allein auf Twitter-Feeds verlasse, fehlen mir an vielen Stellen Tiefe und Details in den Einträgen.

Bei vielen meiner eigenen Tweets füge ich Links zu längeren Blog-Posts oder Artikeln hinzu. Das Tweet ist also eine Art Teaser oder eine Schlagzeile, eine Werbung für das längere Blog. Klar haben manche Leute Twitter zur Kunstform erhoben, aber für die meisten bleibt der Link zu den längeren Gedankengängen wichtig. Mittlerweile habe ich sogar festgestellt, dass Twitter der zweitwichtigste Referrer zu meinem Blog ist. Das bedeutet, dass Twitter bei der Verbreitung meines Blogs eine zentrale Rolle spielt.

Blogging wird also durchaus nicht durch Microblogging ersetzt, auch wenn dies hier und da mal der Fall sein mag. Microblogs sind vielmehr eine Plattform, auf der man Ideen ausprobiert, Meinungen erforscht und Informationsquellen bekommt - bevor man einen längeren Blogartikel darüber schreibt. Das Blog hingegen ist der Ort, an dem schließlich längere Gedanken ausgearbeitet und diskutiert werden. Die zwei Formen des Bloggens stehen also Seite an Seite, sie stehen im wechselseitigen Austausch, damit am Ende sowohl tiefer gehende Reflektionen als auch kurze Gedanken verbreiten werden können.

Mark Glaser ist leitender Redakteur bei "PBS MediaShift" und "PBS Idea Lab". Er ist zudem Autor des zweiwöchentlichen OPA Intelligence Reports für "The Online Publishers Association". Glaser lebt in San Francisco zusammen mit seinem Sohn Julian. Marks Twitteradresse ist: "@mediatwit". Mark Glaser ist Jurymitglied bei den Deutsche Welle Blog Awards in den Jahren 2006, 2007, 2008 und 2009/2010.

Autor: Mark Glaser / Kate Laycock
Redaktion: Petra Füchsel