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PolitikItalien

Silvio Berlusconi: Abschied von Italiens Cavaliere

12. Juni 2023

Silvio Berlusconi spaltete die italienische und die internationale Öffentlichkeit wie kaum ein anderer Politiker. Der nun verstorbene Cavaliere ("Ritter") gilt als einer der Wegbereiter des politischen Populismus.

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Italien Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi
Silvio Berlusconi (* 29. September 1936 in Mailand; † 12. Juni 2023 in Segrate bei Mailand)Bild: Fabrizio Corradetti/ipa-agency/Live Media/picture alliance

In Erinnerung wird er vor allem wegen seiner Faxen bleiben. Wie er etwa im Jahr 2002 hinter dem Kopf des spanischen Außenministers Josep Piqué zwei ausgestreckte Finger hervorragen ließ - eine Geste, die in Italien für einen betrogenen Ehemann steht. Oder wie er dem damaligen französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy 2008 in Paris während einer Pressekonferenz die Hände von hinten um den Hals legte, als wolle er ihn angreifen. Oder auch, wie er den britischen Premier Tony Blair im Sommer 2004 mit einer Bandana, einem über dem Kopf zusammengeknüpften Kopftuch, empfing.

Italien Flash-Galerie Silvio Berlusconi auf Sardinien mit Tony Blair 2004
Silvio Berlusconi auf Sardinien mit Tony Blair 2004Bild: AP

Da war er, der große italienische Junge; der Scherzbold und Lausbub, ein Schelm ganz nach dem Herzen vieler Italiener. Ein Politiker, der, so schien es, nicht so steif war wie die anderen, sondern auch mal spontan sein konnte. Tatsächlich verhielt es sich anders, schreibt der italienische Journalist Giuseppe "Beppe" Severgnini, der dem Phänomen Berlusconi ein ganzes Buch gewidmet hat. Berlusconis Gesten seien kalkuliert gewesen, ist Severgnini überzeugt, und ebenso seine kleinen Grenzüberschreitungen. Vielen Italienern seien sie peinlich - nur ihm selbst und seinen Anhängern nicht. "Berlusconi versteht, dass die Kritik aus dem Ausland und die Verlegenheit einiger seiner Landsleute seine Popularität in den unteren Schichten nur steigert - bei jenen, die früher Links wählten und nun für ihn stimmen."

Das "Material der Träume"

Und seine Landsleute stimmten in Massen für ihn. 1994, als er erstmals als Premier kandidierte, holte er aus dem Stand fast 43 Prozent der Stimmen. Die Frage, warum so viele Italiener auf ihn setzten, führt schnurstracks in jene Bereiche, in denen die Politik aufhört, rational zu sein - wenn sie es denn jemals war. Ein solides politisches Programm habe Berlusconi nicht, schrieb in jenem Jahr der Publizist Ernesto Galli della Loggia in der Zeitung Corriere della Sera: Der Politiker Berlusconi strahle den falschen Geschmack von Plastik aus. Die Ideen, die er vortrage, seien nichts als simple Allgemeinplätze. Und doch: "Politik hat mit dem Herzen und der Phantasie zu tun. Mit Hoffnung, mit dem Material, aus dem die Träume sind. Und das ist es, was dem gemäßigten Block in Italien derzeit so bitter fehlt."

Italien | Treffen Silvio Berlusconi Wladimir Putin im Jahr 2019
Zum russischen Präsidenten Wladimir Putin pflegte Berlusconi eine langjährige Freundschaft Bild: Alexey Druzhinin/AFP/Getty Images

Mitte der 90er Jahre brauchten die Italiener dringend Stoff zum Träumen. Die De-Industrialisierung hatte die Wirtschaft an den Rand einer Rezession gebracht; Privatisierungen hatten Massenentlassungen zur Folge, der Arbeitsmarkt wurde dereguliert. Hinzu kam die politische Depression: Im Frühjahr und Sommer 1992 waren die beiden Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino von der Mafia ermordet worden; die Beziehungen einiger Politiker zum organsierten Verbrechen waren nicht über alle Zweifel erhaben, Korruption war ein weit verbreitetes Phänomen. Der Begriff Tangentopoli ("Stadt der Korruption"), gemünzt zunächst auf die Stadt Mailand, wurde zum Symbol der Misere jener Jahre.

Große Erwartungen

Und dann kam Berlusconi: "Il Cavaliere" (Der Ritter), wie er bald genannt wurde; der Selfmade-Man, der versprach, mit seiner Partei Forza Italia (Vorwärts Italien) wieder Ordnung ins Land zu bringen. Seine eigenen Erfolge in der Wirtschaft, kündigte der schwerreiche Unternehmer und Milliardär an, werde er nun auf nationaler Ebene wiederholen. Die Wähler glaubten ihm - vor allem wohl, weil sie ihm unbedingt glauben wollten. Sie hofften auf ein Wunder namens Berlusconi. Und so sahen sie ihm nach, dass zur Herkunft seines Vermögens manche Fragen offen blieben; ebenso auch die Konflikte, die sich aus seinen politischen Ämtern und seinen wirtschaftlichen Interessen ergaben.

Italien Silvio Berlusconi AC Monza
Häufig wiedergewählt: Berlusconi war viermal Ministerpräsident Italiens sowie übergangsweise Außen-, Wirtschafts- und GesundheitsministerBild: Alessandro Bremec/LaPresse/ZUMA Press/dpa/picture alliance

"Silvio Berlusconi ist in die Politik eingetreten, um seine Firmen zu verteidigen", hatte dessen Assistent Marcello Dell'Utri bereits im Dezember 1994 verkündet. Doch das interessierte seine Wähler wenig - sie sahen sich weiterhin durch ihn vertreten. Berlusconi, schreibt Giuseppe Severgnini, sei die auf den aktuellen Stand gebrachte Autobiographie der Italiener: "eine Autobiographie voller Auslassungen und Nachsicht mit sich selbst."

Comeback als Europapolitiker

Auch die 30 gegen ihn eingeleiteten Gerichtsverfahren beeindruckten die Italiener ebenso wenig wie seine Überheblichkeit: "Ich sage in aller Aufrichtigkeit, dass ich glaube, der bei weitem beste Präsident zu sein und gewesen zu sein, den die Republik Italien in den 150 Jahren ihrer Geschichte hatte", erklärte Berlusconi 2009, in seiner vierten Regierungszeit. Auch seine Affären mit sehr jungen Frauen irritierten viele seiner Wähler kaum, im Gegenteil: Der zum Schlagwort gewordene Begriff "Bunga Bunga", ein ironisches Kürzel für die dem Premier zur Last gelegten Sexparties, hielt Einzug in die Populärkultur.

Italien Mailand 2022 | Silvio Berlusconi, Forza Italia
Bis zuletzt in der italienischen Politik aktiv: Silvio Berlusconi im September 2022Bild: ANSA/AFP via Getty Images

Im Sommer 2013 wurde Berlusconi wegen Steuerbetrugs verurteilt. Er kassierte ein sechsjähriges Ämterverbot, das jedoch schon 2018 wegen "guter Führung" aufgehoben wurde. Prompt kandidierte der Medienunternehmer und Politiker wieder - zwar nicht als Regierungschef, dafür aber als Spitzenkandidat der Forza Italia bei der Europawahl 2019. Berlusconi war bereits bei den EU-Wahlen 1994, 1999, 2004 und 2009 angetreten. Im Parlament saß er aber nur von 1999 bis 2001. Die anderen drei Male hatte er das Mandat lieber an nachrückende Parteikollegen abgetreten. Doch 2019 wollte Berlusconi die Geschicke der EU selbst in die Hand nehmen und zog als meistgewählter italienischer Kandidat ins EU-Parlament ein - mit 82 Jahren. Nur ein Jahr später zeigte sich: Auch ein "Cavaliere" ist verwundbar. Anfang September 2020 gab Silvio Berlusconi bekannt, er habe sich mit Corona infiziert. Kurz darauf diagnostizierten Ärzte eine Lungenentzündung.

Italien I Politikerin I Giorgia Meloni
Früher Ministerin in Berlusconis Kabinett: die aktuelle Regierungschefin Giorgia MeloniBild: Vincenzo Pinto/AFP/Getty Images

Doch der Politiker erholte sich und trat bei den Parlamentswahlen im Sommer 2022 als Spitzenkandidat seiner "Forza Italia" an. Die Partei hatte zuvor eine Allianz mit den Postfaschisten der "Fratelli d'Italia" und der rechten Lega gebildet. An frühere Erfolge konnten Berlusconis Konservative aber nicht anknüpfen - lediglich acht Prozent der Wähler stimmten für sie. In den Koalitionsverhandlungen spielte die Partei schon keine dominierende Rolle mehr. Gegen Postfaschistin Giorgia Meloni konnte Berlusconi einen Großteil seiner Forderungen nicht durchsetzen. Damit hatten sich die Rollen umgekehrt: Ihre ersten Regierungserfahrungen sammelte Meloni noch als Jugendministerin unter Berlusconi. Nach der Wahl im Sommer 2022 zeigte sie ihrem Lehrmeister, was er zeitlebens für kaum denkbar hielt: Eine moderne Frau wies ihn, den Cavagliere, in die Schranken.

Am 12. Juni ist Berlusconi im Alter von 86 Jahren in Segrate bei Mailand gestorben.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika