Sierens China: Eine Ohrfeige für Siemens
27. Mai 2015Nun ist es viel früher passiert, als ich gedacht hätte. Die Deutsche Bahn kann es sich nicht mehr leisten, nur deutsche beziehungsweise westliche Züge zu kaufen. Sie macht ein Einkaufsbüro in China auf. Bahn-Vorstand Heike Hanagarth spricht bereits davon, dass in drei bis fünf Jahren China sogar eine "Schlüsselposition" beim Einkauf von Zügen und Technik haben werde. Regionalzüge und Loks will die Bahn erst einmal in China kaufen. Noch keine Hochgeschwindigkeitszüge. Doch wenn die Bahn erst einmal gut mit den Chinesen klarkommt, wenn der Preis und die Qualität stimmen, ist das nur noch ein kleiner Schritt bis dahin. China South Locomotive and Rolling Stock Corporation Limited (CSR) und China North Locomotive and Rolling Stock Industry Corporation (CNR), die beiden staatlichen Zugunternehmen Chinas, könnten dann zusätzlich zum ICE-Bauer Siemens zu einem der Hauptlieferanten der Deutschen Bahn werden.
Der chinesische Bahntechnikzulieferer TMT soll nun von der Bahn qualifiziert werden, um Ersatzteile wie Radsätze zu liefern. Bei der Bahn wundert man sich über die Aufregung. Denn die Bahn kaufe ja schon seit Jahren Regionalzüge und Loks bei den Kanadiern und den Franzosen. Da könne man doch auch bei den Chinesen kaufen. Dennoch besteht ein Unterschied: Während der kanadische Hersteller Bombardier und sein französischer Wettbewerber Alstom ihren Zenit erreicht haben, ist in China ein neuer Konkurrent mit einem riesigen Heimatmarkt entstanden, der sich gerade erst freispielt. Allein im letzten Jahr hat Peking Eisenbahnprojekte im Wert von 24,7 Milliarden US-Dollar im Ausland unterzeichnet. Und vor ein paar Tagen erst ist Chinas Premier Li Keqiang von seiner Südamerikareise zurückgekehrt und hat dort Verträge in Höhe von zehn Milliarden Dollar für eine Eisenbahnstrecke quer durch Südamerika unterschrieben - von der Atlantikküste in Brasilien über die Anden bis zur Pazifikküste in Peru.
Konkurrenzdruck wird größer
Den heißen Atem der Wettbewerber spürt Siemens mehr denn je, auch wenn der Konzern derzeit Technik an die Chinesen liefert. Zumal China seine Zugbauer gerade umstrukturiert. CSR und CNR werden zu einem der führenden Zughersteller der Welt fusionieren.
Sie allein könnten bald die Hälfte der Nachfrage des Weltmarkts für Züge bedienen, glaubt man bei der Bahn zu Recht. Konkret bedeutet dies, dass die Chinesen nun nicht mehr nur in Afrika, Südamerika oder anderen Schwellenländern ihre Züge verkaufen oder Schienen ausbauen, sondern auch in den westlichen Industrieländern. Nach England werden die Chinesen Hochgeschwindigkeitszüge liefern und dort auch die Strecken dazu bauen.
Dabei haben die Chinesen einen großen Vorteil: Wer so einen großen eigenen Markt hat, kann der Welt gute Preise machen. Zudem steht die Politik hinter den Unternehmen. Denn sie will das politische Prestige ernten, das mit solchen Lieferungen einhergeht. Nur eben nicht mehr nur in den Schwellenländern. Die deutsche Politik hingegen hat andere Schwerpunkte: Sie will die Defizite, die die Bahn jedes Jahr macht, so gering wie möglich halten. Denn die Lage wird schwieriger. Vergangenes Jahr ging der Bahngewinn im Schienenverkehr um über 30 Prozent zurück, weil immer mehr Kunden umsatteln und lieber Fernbus fahren. Die Streikwellen der Lokführer im vergangenen Jahr und auch jetzt wieder tun ihr Übriges, um auch den treusten Bahnfahrer zu vergraulen. Sie treiben die Bahn immer tiefer in die roten Zahlen.
Künftig kein Heimvorteil mehr
Das und auch der hohe Schuldenberg von über 16 Milliarden Euro zwingt den Staatskonzern, sich lieber heute als morgen nach günstigeren aber auch zuverlässigeren Partnern umzuschauen. Eine politische Ohrfeige für Siemens. Bei Siemens kann man sich nun nicht mehr darauf verlassen, dass im Zweifel deutsche Firmen von der Bahn bevorzugt werden. Für Siemens gibt es nun nur einen einzigen Weg: Ihre Produkte müssen bei gleichem Preis deutlich besser sein als die chinesischen. Das wird sehr schwierig. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass Siemens, wenn es 2017 die neue ICx-Generation an Hochgeschwindigkeitszügen ausliefert, das letzte Mal diesen lukrativen deutschen Markt für sich alleine hat.
DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.