Weltrisikobericht 2014
16. September 2014Was haben Afghanistan und die Niederlande gemeinsam? Im gerade veröffentlichten Weltrisikobericht tauchen beide Länder im Index unter "hochgefährdet" auf. Die Autoren bescheinigen den Niederlanden, aufgrund ihrer Nähe zur Nordsee, ein "hohes Risiko", obwohl das Land durchaus über vorbildlichen Katastrophenschutz, medizinische Versorgung und gute Regierungsführung verfügt.
Eritrea dagegen ist deutlich weniger gefährdet. Dort gibt es zwar einen mangelhaften Katastrophenschutz und unzureichende medizinische Versorgung, aber so gut wie keine Gefahr durch Naturkatastrophen. Auch Japan ist hochgefährdet - mehr etwa als die Staaten Westafrikas, die gerade gegen Ebola kämpfen.
Krieg ist keine Naturkatastrophe
Die USA liegen beim Risiko fast gleich auf mit Brasilien und Argentinien. Interessant dabei: Auch Syriens Städte sind ähnlich gerankt: mit "geringem Risiko." Ein Grund: Krieg gilt nicht als Naturkatastrophe - und auf die konzentriert sich der Bericht.
"Die Niederlande sind einem starken Meeresspiegelanstieg - wenn es dazu kommt - natürlich besonders ausgesetzt. Die Vereinigten Staaten sind an der Ostküste von Wirbelstürmen und Überschwemmungen bedroht, in Kalifornien auch durch Erdbeben, und auch Japan ist sehr stark erdbebengefährdet," erklärt Projektleiter Peter Mucke im Interview mit der Deutschen Welle. "Insofern sind diese Länder, trotz sehr guter gesellschaftlicher Bedingungen und Möglichkeiten, den Katastrophen zu begegnen, letztendlich auch von Katastrophen bedroht."
Rahmenbedingungen bestimmen Epidemie-Risiko
Der Weltrisiko-Index betrachtet Epidemien nicht für sich als "Naturgefahr". Allerdings sei der Bericht durchaus auch geeignet, Risiken, wie etwa den jüngste Ebola-Ausbruch in Westafrika abzubilden. "Unsere Analysen der gesellschaftlichen Situation zeigen sehr wohl auch die Bedingungen, wenn eine Epidemie wie Ebola auftritt", sagt Mucke. "Wir zeigen Tendenzen: welche Länder haben die entsprechenden Möglichkeiten, auf so etwas zu reagieren: Krankenhauskapazitäten, Rettungssysteme bis hin zur Möglichkeit, Quarantänestationen aufzubauen." Hier spielen Fragen wie die Wohnsituation der Menschen oder die Regierungsführung eines Landes eine wichtige Rolle.
In den Index fließen nämlich neben der angenommenen Gefährdung des urbanen Raumes durch mögliche Naturkatastrophen wie Erdbeben, Stürme, Vulkanausbrüche, Extremwetterereignisse oder Dürren auch die "Anfälligkeit, Bewältigungskapazitäten und Anpassungskapazitäten" des Staates ein - also die Fähigkeit, mit den Herausforderungen klarzukommen.
Guter Katastrophenschutz verbessert das Ranking
Der Weltrisikobericht versucht so, einen Überblick zu geben und Fragen zu beantworten: Wie anfällig sind Städte und Ballungszentren eines Landes? Wie gut ist ihre Infrastruktur? Funktioniert die Nahrungsmittelversorgung in der Regel reibungslos? Unter welchen Bedingungen wohnen die Menschen? Können sie schwere Rückschläge ökonomisch verkraften und sind sie sozial abgesichert? Kann zum Beispiel eine Katastrophe zum Zusammenbruch des Staatswesens führen? Wie gut haben Behörden vorgesorgt? Ist der Katastrophenschutz gut aufgestellt? Gibt es Frühwarnsysteme und ausreichend medizinische Kapazitäten für die Versorgung Kranker oder Verletzter? Und sind die Staaten in der Lage, sich an Veränderungen anzupassen, etwa an Veränderungen des Klimas?
Seit 2011 geben das Institute for Environment and Human Security der United Nations University Bonn in Kooperation mit dem Bündnis Entwicklung Hilft gemeinsam den Weltrisikobericht heraus. Bisher betrachtete er immer Staaten als Ganzes, sagt Mucke. "In diesem Jahr haben wir den städtischen Raum gesondert analysiert, weil man Unterschiede bei Risiken - etwa zwischen städtischem und ländlichem Raum – nicht verallgemeinern darf."
Die Stadt als Gefahr oder Chance im Notfall
Die Herausgeber haben 171 Staaten miteinander verglichen, wobei Katar, Malta und Saudi-Arabien als Staaten mit geringstem Risiko die Liste anführen, während Vanuatu, die Philippinen und Tonga als am meisten gefährdet gelten.
Auch der Urbanisierungsgrad der Länder ist in die Berechnung eingeflossen. In Belgien, Malta und Uruguay wohnt der größte Teil der Bevölkerung in urbanen Räumen. Die wenigsten Städter gibt es in Burundi, Papua Neuguinea und Uganda.
Noch wichtiger für die Betrachtung der Risiken und der Anpassungsfähigkeit ist die Wachstumsdynamik der Städte, denn wenn viele Menschen als Neubürger in die Städte ziehen, fällt es den Behörden möglicherweise schwerer, sich auf die potenziellen Bedrohungen vorzubereiten oder an die Veränderungen anzupassen.
"Für uns ist es interessant zu sehen, ob urbane Räume eher Risikotreiber sind oder ob sie nicht auch Optionen und Chancen bieten, Risiken gegenüber Naturgefahren zu reduzieren," sagt der Mitautor der Studie Dr. Jörn Birkmann gegenüber der Deutschen Welle. Denn in Städten erreicht Hilfe die Menschen auch schneller.
Nicht nur Megacities zählen
Am schnellsten wachsen urbane Räume in Südostasien, China, auf dem Subkontinent, der arabischen Halbinsel und in vielen Staaten Afrikas südlich der Sahara. Dabei interessieren Birkmann nicht nur die Megastädte wie Sao Paolo, Jakarta oder Shanghai, sondern auch kleinteiligere urbane Räume: "Hier sind auch kleine und mittlere Städte enthalten, die sicherlich für die Zukunft der urbanen Risiken eine besondere Bedeutung haben," sagt der Geologe Birkmann.
Entwicklungspolitiker Mucke hofft, dass der Weltrisikobericht bei mehreren bevorstehenden hochrangigen entwicklungspolitischen Konferenzen den Blick auf den urbanen Raum lenkt: "Das ist ein Raum mit hohen Wachstumsraten. Jetzt gibt es die Möglichkeit, dass wir für die Katastrophenvorsorge wegweisende Entscheidungen treffen können".