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Schneller nach Afghanistan abschieben

Andreas Gorzewski6. November 2015

Während syrische Flüchtlinge in Deutschland meist Schutz erhalten, sollen Afghanen immer öfter zurückgeschickt werden. Das beschloss die Koalition. Pro Asyl wirft der Regierung eine Einschränkung des Asylrechts vor.

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Eine Familie aus Afghanistan kommt am 31.08.2015 in München an - Foto: Sven Hoppe
Bild: dpa

Die Zahl der Schutzsuchenden aus Afghanistan schnellt weiter in die Höhe. Mehr als 31.000 Menschen kamen allein im Oktober nach Deutschland. Seit Jahresbeginn waren es insgesamt 67.000. Nach den Syrern stellen sie mittlerweile die zweitgrößte Flüchtlingsgruppe. Dem will die Bundesregierung nun einen Riegel vorschieben.

Die Koalitionsparteien CDU, CSU und SPD vereinbarten am Donnerstag unter anderem, die "Schaffung innerstaatlicher Fluchtalternativen" in Afghanistan zu beschleunigen. Bislang verhindern oft die Rechtslage in Deutschland, die Sicherheitslage in Afghanistan oder andere Gründe eine Rückführung von Flüchtlingen nach Kabul, Herat oder Mazar-e Scharif. Ob sich diese Gründe durch einen Kabinettsbeschluss aus der Welt schaffen lassen, ist jedoch zweifelhaft.

Zuständig für Asyl ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Dessen Entscheider prüfen, ob jemand individuell verfolgt wird. Da sie nicht den kompletten Überblick über die politischen, ethnischen und religiösen Konflikte in Afghanistan haben, wenden sich die Entscheider oftmals an das angeschlossene Informationszentrum Asyl und Migration (IZAM). Dort werden laut Bundesamt Lageberichte von Auswärtigem Amt, internationalen Institutionen und Nichtregierungsorganisationen ausgewertet. Zusätzlich hat das BAMF eigenes Verbindungspersonal in mehreren Ländern.

Regionale Unterschiede

Nach Einschätzung des afghanischstämmigen Politikwissenschaftlers Matin Baraki spielt bei der Entscheidung, wer in seine Heimat zurückgeschickt wird, die regionale Herkunft der Flüchtlinge eine Rolle. "Wenn sie aus Teilen Afghanistans kommen, in denen die Taliban ganz oder teilweise die Kontrolle haben, dann haben sie eine Chance auf einen Aufenthalt hier", sagt Baraki, der an der Universität Marburg lehrt.

Afghanen am 10.09.2015 in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen - Foto: Boris Roessler (dpa)
Afghanische Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen: "Schaffung innerstaatlicher Fluchtalternativen"Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Viele Paschtunen, Tadschiken, Hazara und Angehörige anderer Volksgruppen könnten jedoch nicht glaubhaft machen, dass sie nirgendwo im eigenen Land sicher seien. "Die Entscheider sagen, wenn du in Westafghanistan verfolgt bist, dann kannst du ja in Kabul leben", berichtet Baraki, der oft für Asylsuchende dolmetscht.

Internationale Organisationen betonen dagegen, dass die Sicherheitslage am Hindukusch vielerorts problematisch sei. Bombenanschläge und Angriffe von Taliban oder anderen Gruppen gebe es in vielen Regionen. Die UN-Mission für Afghanistan (UNAMA) berichtet von fast 1600 zivilen Toten allein im ersten Halbjahr. Die radikalislamischen Taliban überrannten im September kurzzeitig die zuvor als relativ sicher geltende Provinzhauptstadt Kundus.

Mehr als Dreiviertel geblieben

Trotzdem liegt die unmittelbare Anerkennungsquote von afghanischen Asylbewerbern unter 50 Prozent. Die Zahl zeigt aber nicht das ganze Bild. Viel mehr Afghanen werden geduldet, andere ziehen vor die Verwaltungsgerichte und erstreiten sich Asyl oder zumindest ein Bleiberecht. Laut der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl durften im ersten Halbjahr 76,4 Prozent der Schutzsuchenden aus Afghanistan in Deutschland bleiben.

Afghanische Binneflüchtlinge in Kabul am 08.10.15 - Foto: H. Sirat (DW)
Binnenflüchtlinge in Kabul: "Wenn du in Westafghanistan verfolgt bist, dann kannst du ja in Kabul leben"Bild: DW/H. Sirat

Gerichtsurteile zeigen, was im Einzelfall eine Rolle spielen kann: Das Oberverwaltungsgericht Niedersachen stellte klar, dass westlich geprägte afghanische Frauen bei einer Rückkehr Gewalt und schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sein können. Einem Afghanen, der in Deutschland zum Christentum übertrat, bescheinigten Richter in Hannover Anspruch auf Schutz. Seine Hinwendung zum Christentum sei glaubhaft. In seinem Herkunftsland drohe ihm nach dem Abfall vom Islam Strafe. Für die westafghanische Provinz Herat wollte der bayerische Verwaltungsgerichtshof keine pauschale Schutzbedürftigkeit gelten lassen. Die Gefahr, Schaden an Leib und Leben zu erleiden, habe dort bei 0,05 Prozent pro Person und Jahr gelegen. Allerdings bezog sich das Urteil vom Ende 2014 auf Zahlen von 2012.

Duldung als Chance

Der Marburger Politologe Baraki berichtet, dass viele Afghanen in den vergangenen Jahren auch ohne Chance auf Asyl hier bleiben durften. Sie willigten ihm zufolge ein, ihren Antrag zurückzuziehen und sich einen afghanischen Pass ausstellen zu lassen, falls sie keinen mehr hatten. Das Dokument ist für eine mögliche Rückführung wichtig. Im Gegenzug erhielten sie eine zweijährige Erlaubnis, in Deutschland zu bleiben. "Wenn sie in diesen zwei Jahren auf eigenen Beinen stehen können, also keine Sozialhilfe mehr in Anspruch nehmen, dann haben sie einen unbefristeten Aufenthalt bekommen", schildert Baraki das Verfahren.

Abschiebungen waren bisher selten. Sie sind mit hohem Aufwand und Kosten verbunden. Baraki erinnert sich aus seinem Umfeld nur an etwa zehn Fälle. "Nur die Leute sind abgeschoben worden, die kriminelle Handlungen begangen hatten", sagt er. Nun gebe es jedoch eine neue Situation. Deutschland verhandle mit der Regierung in Kabul über ein Rücknahmeabkommen.

Abschreckung beklagt

Darüber hinaus sollen Asylverfahren künftig einschließlich einer Entscheidung über mögliche Rechtsmittel binnen drei Wochen abgeschlossen sein. Das beschlossen CDU, CSU und SPD. Pro Asyl wirft der Bundesregierung vor, mit den Maßnahmen vor allem auf Afghanen abzuzielen. Der Hilfsorganisation zufolge will die Regierung außerdem die Entscheidungsgrundlagen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge überarbeiten und anpassen. "Die Anerkennungsquoten sollen gedrückt und Menschen entrechtet werden, damit sie abschiebungsreif sind", kritisiert Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. Das Schicksal der bereits hier lebenden Flüchtlinge solle offenbar als Abschreckung dienen, beklagt die Organisation.

Matin Baraki ist jedoch skeptisch, ob die Verschärfungen auch zu den angestrebten Ergebnissen führen: "So einfach, wie man sich das in der Bundesregierung denkt und wie es in den Medien verbreitet wird, wird das nicht gehen."