"Shrinking Cities" - ein Projekt geht zu Ende
24. Januar 2006"Ich bin Haus 24620 …", begrüßt das verlassene, halb verfallene Holzhaus den Besucher. Es stammt aus der Detroiter Innenstadt. Jetzt steht es im "Zentrum für zeitgenössische Kultur" in Halle an der Saale und gehört zu den "Shrinking cities".
"Schrumpfende Städte" ist ein dreijähriges Projekt der Kulturstiftung des Bundes. Sein Konzept war es, sich mit dem Phänomen der Schrumpfstädte auseinanderzusetzen, dabei aber über den Abriss leerer Gebäude hinauszugehen. Mit diesem Anspruch wurden Stadtgeografen, Kulturwissenschaftler, Architekten, Ethnologen, Journalisten und Künstler für das Projekt gewonnen. Die Leitung hatte der Berliner Architekt Philipp Oswalt.
Die Situation in Ostdeutschland ist nicht einzigartig
Dreh- und Angelpunkt war für Philipp Oswalt und seine Kollegen die Situation in Ostdeutschland: mit 1,3 Million leer stehender Wohnungen, rund 17% Arbeitslosigkeit und anhaltender Abwanderung der Menschen. So wurden in einer ersten Projektphase die ostdeutschen Städte Halle und Leipzig beispielhaft mit drei anderen Schrumpfstädten verglichen. Bei etwa 400 solcher Städte weltweit war die Auswahl schwierig. "Abadan im Iran hat beispielsweise 90% seiner Einwohner verloren," erklärt Philipp Oswalt. "Das Kriterium war es aber, eine Vergleichbarkeit zu Ostdeutschland herzustellen."
Ausgewählt wurden schließlich die amerikanische Großstadt Detroit, Manchester/Liverpool in Großbritannien und die russische Stadt Ivanovo, etwa 300 km nördlich von Moskau. Sie erleben jeweils eine eigenständige Art von Schrumpfung: In Detroit verwaist die Innenstadt, weil seine Einwohner in die Vororte ziehen. "Sogar ihre Toten nehmen sie mit", erklärt Philipp Oswalt. Manchester und Liverpool haben in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen Großteil ihrer alten Industrien verloren. Und Ivanovo ist von einem Niedergang betroffen, den Philipp Oswalt "postsozialistisch" nennt. Er meint damit den marktwirtschaftlichen Existenzkampf, den die Textilstadt nach der Auflösung des sowjetischen Wirtschaftsraumes 1991 verloren hat.
"Kein Masterplan"
In Halle/Leipzig traten und treten diese Probleme gleichzeitig auf. Fotos, Filme oder Installationen dokumentieren die Besonderheiten der vier Städte. Eine erste Ausstellung fand 2004 in Berlin statt. In aktualisierter Form ist sie nun in Halle zu sehen.
Doch wie sollte nun mit diesen Schrumpfstädten umgegangen werden? In der zweiten Projektphase "Interventionen" wurde 2004 ein Ideenwettbewerb ausgeschrieben und Arbeitsstipendien vergeben. Ziel war es, Lösungsansätze zu entwickeln: für Halle, Leipzig und andere schrumpfende Städte. Allerdings "kein städtebaulicher Masterplan", wie Philipp Oswalt betont.
Neun einfallsreiche, produktive, aber auch ironische Ideen wurden von der Jury prämiert und können nun in der "Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst" besichtigt werden. "Da wir uns verweigert haben, sofort praktikable Lösungen zu bieten, ist die Ausstellung erst einmal etwas irritierend. Man muss sich auf die abstrakte Ebene der Ideenfindung einlassen", erklärt Philipp Oswalt angesichts der teils schwer zugänglichen Ausstellungsstücke.
Pilze im Plattenbau und Kühe auf der Straße
So wird beispielsweise vorgeschlagen, Edelpilze in einem leer stehenden Plattenbau zu kultivieren. Oder es wird die Stadt Halle als Sonderwirtschaftszone Chinas vorgestellt. Andere Ideen lassen den Besucher eher schmunzeln: Etwa die fünf Kühe, die zwei Wochen lang in der Liverpooler Innenstadt lebten: zur Belebung der innerstädtischen Klein-Landwirtschaft.
Doch ist das realitätsnah? "Das hier kann nur ein Ideenpool sein. Hier geht es um das Anstoßen eines Bewusstseinsprozesses, der dann in praktischer Politik enden könnte", antwortet Philipp Oswalt. "Wie etwa damals bei der Umweltbewegung."
Der Erfolg beider Ausstellungen scheint ihm Recht zu geben. Buchpublikationen und ein Atlas der schrumpfenden Städte werden die Ergebnisse des Projekts festhalten. "Als Gedächtnis sozusagen."
Beide Ausstellungen zum Projekt "Schrumpfende Städte" sind noch bis zum 29.1.2006 zu besichtigen. Im "Zentrum für zeitgenössische Kultur" in Halle-Neustadt (Albert-Einstein-Straße 41) wird die "Internationale Untersuchung" präsentiert. Die "Interventionen" sind in der Leipziger "Galerie für zeitgenössische Kunst" in der Karl-Tauchnitz-Straße 11 ausgestellt.